Transnistrien, das Niemandsland zwischen der Republik Moldau und der Ukraine, taucht selten in den Nachrichten auf. Eine Ausnahme bildeten nur die Unabhängigkeitskämpfe von 1990 und 1992, in denen sich Transnistrien von Moldau abspaltete, nur um danach sofort wieder in einen Ostblock-Dornröschenschlaf zu versinken. Genau solche isolierten Gegenden interessieren den französischen Fotografen Cédric Viollet, der auch schon in Lesotho und in Hongkong auf fotografische Entdeckungsreise ging.

Bei seinen drei Aufenthalten in Transnistrien nahm sich Viollet jeweils 20 Tage Zeit, um das Land mit einem kleinen Dacia zu bereisen. Ohne klares Ziel und zumeist zu Fuß unterwegs, weil er so am besten Kontakt zur Bevölkerung fand. Wir zeigen eine Auswahl bisher unveröffentlichter Aufnahmen aus seiner Serie „Eastern Exposures“ .

Wann haben Sie Ihre Leidenschaft für die Fotografie entdeckt?

Ich war Skateboarder und konnte nach mehreren Knochenbrüchen nicht mehr fahren. Also suchte ich eine andere Art des Umgangs mit meinen Skateboard-Freunden und begann, sie zu fotografieren. Ich nahm vor allem Porträts und Bilder ihrer Bewegungen auf. Es war die beste Schule.

Welcher Fotograf hat Sie am meisten beeinflusst und inspiriert?

Auf jeden Fall Josef Koudelka. Sein Buch „Exiles“ war das erste Fotobuch, das mir mein Vater geschenkt hatte. Ich bewundere bis heute, wie Koudelka sein Leben im Exil gestaltet hat und wie er nur mit dem Rucksack und einem Notizbuch die Welt bereist hat. Er war immer nah dran, spontan und komponierte seine Bilder dennoch sehr genau. So sieht Fotografie für mich aus.

Wie kamen Sie darauf, in Transnistrien zu fotografieren? Was hat Sie an dem Land fasziniert?

Zum ersten Mal war ich 2015 anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung der Pridnestrowischen Moldauischen Republik – wie sich das Land selbst nennt – dort. Mich interessieren isolierte Gebilde wie Transnistrien, Lesotho oder auch Hongkong, da jedes auf seine Art von der Außenwelt abgeschnitten ist. Meist sind es Regionen, die sich geografisch zwischen zwei größeren Ländern befinden. So wie Transnistrien von Moldau und der Ukraine quasi eingequetscht wird. Ich wusste erst gar nicht, wonach ich in Transnistrien eigentlich suche, da ich die Ex-UdSSR nicht kannte. Ich war nur neugierig auf das Land.

Wie haben Sie Einlass in das Land gefunden?

Als Journalist bekommt man kein Visum und selbst als Tourist entscheiden die Grenzbeamten vor Ort, ob man einen, zwei oder höchstens drei Tage im Land bleiben darf. Dann bekommt man einen Zettel, auf dem man alle Städte und alle Hotels eintragen muss, in denen man sich aufgehalten hat. Bei der Ausreise muss man diesen Rechenschaftsbeleg dann den Grenzbeamten übergeben – ein bisschen wie früher in Russland. Ich musste also immer wieder in die Nachbarländer ausreisen.

Sie waren also „undercover“ unterwegs?

Ja, und dabei haben mir meine Leica Kameras, eine M6 und eine M7 sehr geholfen, denn die Grenzer suchen stets nach großen Kameraausrüstungen mit großem Zoom, mit dem man womöglich jemanden heimlich beobachten könnte. Über Leica Kameras lachen sie eher und denken, das sei Spielzeug. Ich war auch in einem eher unspektakulären Leihwagen unterwegs, dem kleinsten Dacia, den es gibt, um mich möglichst unauffällig bewegen zu können. Nach der zwölften Einreise wurden die Grenzer dann doch misstrauisch, so wurde ich verhaftet und verhört. Daher muss ich das Projekt erst einmal ruhen lassen. Zum Glück hatte ich die Filme im Rücksitz des Autos versteckt. So war nicht alles verloren.

Die Bilder der Serie wechseln zwischen Schwarz-Weiß- und Farbaufnahmen. Welchen Hintergrund hat das?

Die Schwarz-Weiß-Bilder habe ich mit der M6 und einer 35er-Brennweite und die Farbbilder mit der M7 und einem 50-mm-Objektiv aufgenommen. Ich habe die Kamera immer intuitiv ausgewählt. In Schwarz-Weiß kann man sich mit der M6 mal einen Fehler leisten. Die M7 dagegen ist sehr präzise und schnell.

Die Serie besteht aus einer Mischung von Stillleben, Porträts und Landschaften. Welche Bedeutung hat das?

Ich habe lediglich das dokumentiert, was ich gesehen habe. Dabei wollte ich möglichst objektiv bleiben. Natürlich fotografiere ich die Motive, die mir auffallen, seien es Menschen, sei es auf der Straße oder in meinem Zimmer, aber ich bin nicht mit dem Ziel nach Transnistrien gefahren, bestimmte Bilder zu machen. Was die Porträts angeht: Es war nicht immer einfach, Zugang zu den Menschen zu bekommen. Besonders Frauen und junge Mädchen waren entweder scheu oder wollten posieren, damit sie möglichst gut aussehen. Das interessiert mich aber nicht. Daher handelt es sich zumeist um Porträts von Männern.

Wie haben Sie sich dort verständigt? Sprechen Sie Russisch?

Nein, ich spreche die Sprache nicht, was ich aber als Vorteil empfand. Da dort auch kaum jemand Englisch spricht, mussten wir andere Wege der Kommunikation finden. Manchmal haben wir etwas in den Staub auf meinem Auto gemalt oder mit Händen und Füßen erklärt. Im Grunde war es einfach: Ich habe eine Kamera und mache ein Foto. Punkt.

Ich finde die Bilder sehr poetisch, aber die Farben sind gedämpft und es herrscht eine eher triste Atmosphäre …

Ja, so habe ich das Land auch empfunden: in Monotonie gefangen. Vielleicht lag es daran, dass ich nie im Sommer da war, es war stets grau und regnerisch. Die Menschen scheinen glücklich zu sein, aber nicht so wie in Afrika oder Südamerika, sondern eher gedämpft. Es ist ein sehr armes Land, niemand hat Geld. Sie haben eine eigene Währung, die aber niemand außerhalb des Landes akzeptiert. Ich habe viele leere Häuser gesehen: leere Schwimmbäder und leere Eishallen, weil sich niemand den Eintritt leisten kann und in den Supermärkten gibt es nichts zu kaufen. In Transnistrien ist einfach alles leer.

Was ist Ihr nächstes Projekt?

Ich habe in Südaustralien in den Regionen um den Darling River fotografiert. Der Fluss ist 1570 Kilometer lang und die wichtigste Wasserressource dieser Gegend. In letzter Zeit kommt es zu Wasserknappheit, da der Strom verschmutzt und überlastet ist. Außerdem hat es dort seit drei Jahren nicht geregnet und der Darling River trocknet langsam aus.

 

Interview: Denise Klink/LFI

Ein weiteres Project von Cédric Viollet, aufgenommen in der marokkanischen Wüste mit der Leica SL, finden Sie in der aktuellen Ausgabe der LFI 2/2019.

Mehr Fotografie von Cédric Viollet sehen Sie auf Instagram.

Die Leica. Gestern. Heute. Morgen.

Jetzt M-System online entdecken!