Für die venezolanische Fotografin stellt die Ausbreitung der aggressiven Korallenart Unomia stolonifera nicht nur ein Umweltproblem, sondern auch eine kulturelle und emotionale Schwierigkeit dar. Mit jedem ihrer Tauchgänge und mit ihren Unterwasseraufnahmen bringt sie die Dringlichkeit für den Schutz des Meeres an die Oberfläche.
Unomia Stolonifera – was zeichnet die Koralle aus?
Die Weichkoralle aus dem Indopazifik ist aufgrund ihrer schnellen und aggressiven Ausbreitung eine besonders gefürchtete Art. Sie vermehrt sich sowohl sexuell als auch ungeschlechtlich, sodass sie extrem schnell neue Gebiete besiedeln kann. Im Jahr 2014 tauchte Unomia unerwartet vor der Küste Venezuelas auf, wahrscheinlich durch illegalen Handel für Aquarien eingeschleppt. Da es dort keine natürlichen Fressfeinde gibt, hat sie die lokalen Ökosysteme schnell überrannt und 80 Prozent der flachen Riffe und Hartsubstrate eingenommen. Diese Invasion hat andere Korallen und Seegräser verdrängt, die für die biologische Vielfalt der Meere wichtig sind.
Welche konkreten Folgen hat dies für Venezuela und seine Bevölkerung?
Die Folgen sind gravierend: Mit dem Verschwinden der einheimischen Arten gehen auch die Fischpopulationen, die auf diese Lebensräume angewiesen sind, rasch zurück. Der erschreckendste Aspekt ist die Geschwindigkeit dieser Zerstörung. Ganze Ökosysteme, die jahrhundertelang ein lebendiges Meeresleben und lokale Gemeinschaften beherbergten, werden in nur wenigen Jahren ausgelöscht. Was ich unter Wasser sah, war herzzerreißend – kilometerlange Küstenabschnitte, die von schleimigen, übelriechenden Korallen überwuchert waren, die die Fische vertrieben und die Korallen erstickt hatten, die seit Jahrhunderten gewachsen waren. Die Geschwindigkeit dieser Invasion ist erstaunlich.
Was hat Sie zu diesem Projekt veranlasst?
Dieses Projekt ist eine persönliche Mission, die durch meine tiefe Verbundenheit mit dem Karibischen Meer genährt wird – einem Ort, der für viele Venezolaner, mich eingeschlossen, eine besondere Bedeutung hat. Die Karibik ist unser Zufluchtsort, wo wir Frieden, Freude und Freiheit finden. Als ich von der alarmierenden Entdeckung erfuhr, fühlte ich mich zutiefst verpflichtet zu handeln. Für dieses Projekt musste ich maßgeblich in die Tiefen des Themas eintauchen: Ich begann mit dem Freitauchen und erlernte die Unterwasserfotografie; nicht nur als technische Herausforderung, sondern auch, um den Ernst der Lage voll zu erfassen. Ich wollte die Dringlichkeit, Zerbrechlichkeit und Schönheit dessen, was auf dem Spiel steht, einfangen.
Was zeigen Ihre Bilder?
Mein Hauptziel war es, auf eine bedrohliche, aber oft übersehene Krise hinzuweisen, die unser marines Ökosystem bedroht. Ich hoffte, diese verborgene Welt an die Oberfläche zu bringen – buchstäblich und im übertragenen Sinne –, damit die Menschen die Dringlichkeit des Geschehens wirklich sehen und spüren können. Ich wollte den starken Kontrast zwischen dem einst blühenden Meeresleben und den kargen, erstickten Meereslandschaften einfangen, die Unomia hinterlassen hat. Das Fehlen von Fischen und die toten Korallen – diese Bilder sollen ein Weckruf sein. Aber es geht nicht nur um die Verwüstung, sondern auch um die Widerstandsfähigkeit und das Engagement derer, die sich wehren. Es gibt eine kleine, aber entschlossene Gemeinschaft von Wissenschaftlern und Experten, die mit begrenzten Mitteln unermüdlich daran arbeiten, diese Invasion zu verstehen und zu bekämpfen. Ich wollte der Welt ihren Kampf, ihr Engagement und ihre Hoffnung zeigen.
Sie haben die Q3 verwendet und ein spezielles Unterwassergehäuse dafür bauen lassen. Wie funktioniert das genau, und was waren die technischen Voraussetzungen dafür?
Die kompakte Größe und die hohe Auflösung der Q3 machen sie ideal für Unterwasseraufnahmen, also ließ ich ein spezielles Unterwassergehäuse dafür bauen. Da es sich jedoch um eine Einzelanfertigung handelte, verfügte die Kamera nicht über die volle Funktionalität – es fehlte der Regler für die Blende, was eine zusätzliche Herausforderung darstellte. Trotzdem war das Gehäuse robust und natürlich wasserdicht. Es ermöglichte mir, die komplexen Details der Unterwasserwelt einzufangen, während ich die Einstellungen so gut wie möglich unter Wasser anpassen konnte.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie bei den Unterwasseraufnahmen?
Unter Wasser zu fotografieren war eine ganz neue Herausforderung – auch wenn man Korallen fotografiert, die – seien wir mal ehrlich – nicht gerade davonsprinten. Aber das macht es nicht gerade einfacher! Die Positionierung des Körpers unter Wasser ist ein Tanz mit den Gezeiten und dem Motiv. Das bedeutet, langsam zu arbeiten und sich seiner Umgebung sehr bewusst zu sein. Es bedeutet auch, dass man seine Ausrüstung mit äußerster Präzision handhaben muss, um die gewünschten Aufnahmen zu machen. Das Licht war eine weitere große Herausforderung, vor allem, weil ich gern in Farbe fotografiere. Wenn man tiefer geht, wird das Licht schwächer – Rottöne verschwinden, und alles wird blau. Ich entschied mich, mit natürlichem Licht zu arbeiten, um so wenig wie möglich einzugreifen, aber ich musste mir genau überlegen, wie ich die wahre Essenz der Szene einfangen konnte. Hinzu kam, dass ich eine Menge Ausrüstung mit mir herumschleppte, mich ständig ohne Anker bewegte und mit dem Druck zu kämpfen hatte, unter Wasser zu sein.
Wie hat die Kamera dabei abgeschnitten?
Die Kamera war absolut erstaunlich. Aber der Beginn dieses Prozesses war einfach nur nervenaufreibend. Stellen Sie sich Folgendes vor: Ich mache zum ersten Mal Unterwasserfotografie und bin kurz davor, meine wertvolle Kamera ins Meer zu tauchen. Mein Mentor, Matt Draper, lässt beiläufig die Bombe platzen: Wenn auch nur ein Sandkorn in das Gehäuse gelangen würde, wäre die ganze Mission im Eimer. So wurde ich jeden Morgen zu einem obsessiven, ritualisierten Sauberkeitsfanatiker, der das Gehäuse akribisch zusammenbaute, als wäre es eine Art heilige Kunst. Aber in dem Moment, in dem ich ins Wasser ging, war die ganze Angst wie weggeblasen. Ich habe Mist gebaut, experimentiert, bin tiefer gegangen, als ich es je für möglich gehalten hätte, und das hat mich schließlich völlig verändert. Unter Wasser kann man sich nicht hetzen – man bewegt sich langsam, lässt sich von der Strömung treiben, respektiert die Umgebung und lernt, das Licht auf eine Weise zu sehen, die man sich nie hätte vorstellen können. Das hat meine Herangehensweise an die Fotografie völlig verändert.
Die 1988 in Caracas, Venezuela, geborene Ana María Arévalo Gosen ist eine visuelle Geschichtenerzählerin, die heute in Madrid lebt. Sie reist häufig nach Lateinamerika, um an ihren Projekten zu arbeiten, die sich auf Frauenrechte, soziale Gerechtigkeit und Umweltthemen konzentrieren. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Leica Oskar Barnack Award und dem Camille Lepage Award 2021. Ihre Arbeiten wurden in internationalen Publikationen wie der New York Times, National Geographic und El País Semanal veröffentlicht und weltweit unter anderem beim Open Your Eyes Fotofestival in Zürich, der Fotografiska New York und im Ernst Leitz Museum ausgestellt. Mehr über ihre Arbeit finden Sie auf ihrer Webseite und ihrem Instagram-Profil.
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