Olivier Vogelsang hat sich auf der Suche nach aussergewöhnlichen Momenten während dreier Jahre immer wieder in den berühmten Ausstellungshallen umgesehen, das Auge am Sucher seiner Leicas M und Q. Ein Buch zeichnet nun dieses spannende Eintauchen in eine Welt nach, die sich in einer ständigen Verwandlung befindet. Einzige Konstante: der Mensch.

Wie kam es zu diesem Fotoprojekt?

Schon lange habe ich für die Presse Anlässe in der Palexpo festgehalten. Dieser quirlige Ort, an dem sämtliche Bevölkerungsschichten in einem unablässigen Hin und Her durcheinanderwuseln, hat mich von Beginn weg in seinen Bann gezogen. Die Lichtverhältnisse liessen damals allerdings doch sehr zu wünschen übrig, was den Einsatz von Schwarz-Weiss und die Verwendung eines Blitzes voraussetzte. Nachdem vonseiten der Organisatoren der Entscheid gefallen war, die Messe Vollzeit zu betreiben, erleichterte der Einbau einer leistungsfähigeren LED-Beleuchtung die Aufgabe erheblich.

Sie waren als Fotograf in zahlreichen kriegerischen Konflikten im Ausland im Einsatz – war das Messegelände für Sie eine Möglichkeit, wieder zu den Wurzeln zurückzukehren?

In einer gewissen Weise ja. Ich habe immer die Meinung vertreten, es sei wichtig, fernab von der gewohnten Umgebung zu fotografieren, besonders in den ersten Jahren, in denen man die Tätigkeit ausübt. Man sollte aber die Fähigkeit nicht verlieren, mögliche Inspirationsquellen in der eigenen nahen und natürlichen Umgebung zu sehen. Im Verlauf der Jahre ist das für mich sogar zu einer Notwendigkeit geworden.

Wie haben Sie sich an das Sujet angenähert?

So diskret wie möglich, aber doch mit Jagdinstinkt! Meine Leica M begleitet mich im Alltag, sie ist immer mit dabei. Mit ihr habe ich das Gros der Fotos gemacht, von Januar 2014 bis März 2017. Meiner Meinung nach waren Schnelligkeit des Handlings und Diskretion zentral; eine Leica M (Typ 240) mit einem Summilux-M 35 mm f/1.4 ASPH stellte sicher, dass ich mich in der Masse unerkannt bewegen konnte und nichts anderes war als ein Besucher unter vielen.

Wann kam die Leica Q zum Einsatz?

Als ich das Projekt startete, war die Leica Q noch nicht auf dem Markt. Ich habe deshalb ausschliesslich meine M verwendet, die ich in- und auswendig kenne und an die ich schon lange gewohnt bin. 2015 habe ich dann meine Q erhalten. Von diesem Augenblick an habe ich mit beiden Gehäusen gearbeitet. Ich habe vom schnellen Autofokus der Q, ihrem geringen Gewicht und ihrer Fähigkeit profitiert, trotz schwieriger Lichtverhältnisse qualitativ hochstehende Bilder zu liefern.

Auf welche technischen Schwierigkeiten sind Sie aus der Sicht eines Fotografen gestossen?

In Innenräumen, in denen das natürliche Licht vollständig fehlt, muss man sich auf sehr lichtstarke Objektive verlassen können, um das Erhöhen der Filmempfindlichkeit so weit als möglich limitieren zu können. Das setzt natürlich die Verwendung grosser Blendenöffnungen voraus, und das wiederum bedeutet reduzierte Tiefenschärfen. Aber so ist das nun mal.

Aus welchen Gründen haben Sie sich dafür entschieden, ausschliesslich im Hochformat zu fotografieren?

Ich nehme damit natürlich die eindrückliche Höhe der Gebäude auf, der Entscheid ist aber auch eine Reaktion auf die Omnipräsenz des Querformats, das fast ein wenig zur unumstösslichen Regel geworden ist.

Sagen Sie uns etwas über ein paar Fotos …

Es gibt nur wenige Bilder in der Serie, auf denen keine Menschen zu sehen sind. Dieses hier ist eine Ausnahme, aber das war gar nicht so beabsichtigt. Mir war aufgefallen, dass man mit den Buchstaben des Logos spielen könnte, das vom kanadischen Flugzeugbauer Bombardier und den startenden Flugzeugen halb verdeckt war. Ich musste dann eigentlich nur noch die Elemente im Bildausschnitt in Einklang bringen, indem ich nach Möglichkeit noch einen Menschen mit ins Bild hineinnahm … der dann allerdings, trotz meiner Engelsgeduld, einfach nicht auftauchen wollte!

Ich bemerkte diese junge «Chamäleon»-Frau, von der nur ein paar Einzelheiten ihres Kleids und das Gesicht mit der weissen Mauer kontrastierten, als sie sich anschickte, die Treppen hinabzusteigen. Ein bisschen zu spät also, um den «voyeuristischen» Aspekt, den ich zuvor bemerkt hatte, noch festhalten zu können. Ich mache das nur ausnahmsweise. In dieser Situation aber habe ich sie angesprochen und sie gebeten, noch einmal die Treppe hochzusteigen. Sie hat das getan, ohne dass die Szene gestellt wirkte.

Eine ganz erstaunliche Szene, in der eine laute und aufgeregte Stimmung – Hunderte von Jugendlichen, die die Stände der Berufs- und Ausbildungsmesse auf der Suche nach einer beruflichen Inspiration entern – mit den konzentrierten Gesichtern der fotografierten Menschengruppe kontrastiert. Übrigens war ich an diesem Tag in Begleitung meiner Tochter, die damals ein Teenager war. Diese sehr realistische Vorführung hat sie anschliessend dazu veranlasst, ein Praktikum in einer Geburtsabteilung zu absolvieren … in dessen Verlauf sich allerdings ihr Interesse für den Beruf der Geburtshelferin nicht wirklich bestätigte.

Es gibt nur wenige Bilder in der Serie, auf denen keine Menschen zu sehen sind. Dieses hier ist eine Ausnahme, aber das war gar nicht so beabsichtigt. Mir war aufgefallen, dass man mit den Buchstaben des Logos spielen könnte, das vom kanadischen Flugzeugbauer Bombardier und den startenden Flugzeugen halb verdeckt war. Ich musste dann eigentlich nur noch die Elemente im Bildausschnitt in Einklang bringen, indem ich nach Möglichkeit noch einen Menschen mit ins Bild hineinnahm … der dann allerdings, trotz meiner Engelsgeduld, einfach nicht auftauchen wollte!

Ein gleichzeitig ungewöhnliches und witziges Zusammentreffen, das ich während der Herbstausstellung festgehalten habe. Ich habe mich dem jungen Mann langsam genähert, bis er mich schliesslich bemerkt hat. Wir haben ein paar Worte gewechselt, ich habe ihm die Fotos auf meinem Apparat gezeigt. Er hat die Komik, die der Situation innewohnte, sofort begriffen, und gab mir die Einwilligung, die Bilder zu verwenden.

Unglaublich redselig im Dienste von Haushaltsartikeln, bei denen man manchmal zwar nicht weiss, wozu sie gut sein sollen, die aber immer ihr Publikum finden. Mehr brauchte es nicht, um meine Aufmerksamkeit zu wecken … und natürlich hat er mich schliesslich zu einem unnötigen Kauf überredet!

Letzte Frage: Welches zusätzliche Material hätten Sie noch gerne in Ihrer Ausrüstung?

Da muss ich nicht lange überlegen: das APO-Summicron-M 1:2 / 50 mm ASPH! Ein Traum von einem Objektiv … das hoffentlich nicht nur ein Traum bleibt, sondern demnächst Wirklichkeit wird!

Biografie

Olivier Vogelsang wurde 1966 in Genf geboren und begann im Alter von 22 Jahren eine Fotografenausbildung in Paris. Rasch wird die Fotoreportage zu seinem bevorzugten Tätigkeitsfeld, im Fokus stehen Konfliktregionen, von denen er zahlreiche bereist. Seine Aufmerksamkeit richtet er vor allem auf Kroatien, Bosnien, den Kosovo, Kurdistan, Irak, Afghanistan, den Südsudan und Libyen. Seine Arbeiten legen Zeugnis ab von den schrecklichen Zerstörungen, die die Konflikte hinterlassen. Ein Buch, das voraussichtlich 2018 erscheinen wird, soll Zeugnis ablegen von seinen Jahren als Reporter mit der Leica und vom Übergang von der analogen zur digitalen Fotografie, den er vollzogen hat.

Parallel zu seiner gewohnten Tätigkeit arbeitet er auch an persönlichen Projekten, die zu Publikationen von Büchern führen, darunter «Switzerlanders» (2012) und dieses Jahr «Grand-messe».

www.disvoir.net

www.oliviervogelsang.com

Grand-messe, Till Schaap Edition, Vorwort von Laurence Boissier, 136 Seiten, CHF 39.–