Seine Welt sind Bilder. Bewegte. Stille. Ungemachte. Er erzählt Geschichten. Dramatische. Unfertige. Spontane. Und er lässt am liebsten einen freien Raum. Für den Betrachter. Für Gedanken. Für Interpretationen. Karim Patwa ist ein Künstler. Sein Leben ist Kunst. Seine Kamera ist Teil von ihm. Festgewachsen.
Am meisten verfolgen ihn die nicht gemachten Bilder. Jene Momente und Situationen, welche eigentlich in seinem Kopf schon gemachte Fotos waren. Aber er fuhr einfach weiter. Es war vor einigen Monaten in Frankreich. Auf dem Velo. Alleine für ein paar Wochen unterwegs. «Alleine ist es am besten. Aber klar, es gibt Hochs und Tiefs. Viele Gedanken gehen einem durch den Kopf. Und manchmal war ich einfach nicht bereit, das Bild zu schiessen». Ein Bild, welches in seinem Kopf existiert. Und irgendwie nicht mehr verschwindet. Menschen und Situationen in Frankreich. Der Mann mit der elastischen Hundeleine. «Wahrscheinlich konnte ich mich in dem Moment nicht durchdringen, den Menschen anzusprechen und das Bild zu schiessen». Er haderte noch minutenlang. Er hätte umdrehen können. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass ihn dies nicht loslassen wird. «Aber nein, ich fuhr einfach weiter».
Leica M als eigenes Organ
Bilder hat er trotzdem viele geschossen. Nicht irgendwelche. Natürlich nicht. Es sind Menschen. Eindrücke. Momente unserer Zeit. «Zum ersten Mal auf einer meiner Velotouren habe ich auf dieser Reise Menschen auch angesprochen bevor ich sie fotografiert habe. Es sind Gespräche und nette Begegnungen entstanden». Die Bilder haben ihren ganz eigenen Charakter. Man fragt sich, was vor und nach diesem einen kurzen Moment wohl passiert ist. Es ist dieser undefinierte, freie Raum, welcher Karim dem Betrachter so gerne schenkt. Welcher er absichtlich offen lässt. «Nicht jede Geschichte muss zu Ende erzählt werden. Manche Bilder treffen einen magischen Moment dessen Magie allerdings zerstört wird sobald man das Bild mit Worten zu erklären versucht. Sie schwingen seltsam atmosphärisch im Raum und verbreiten eine gewisse Sehnsucht, dort sein zu wollen». Der grossartige David Lynch spielt mit solch unerklärlichen Momenten. Und er war Inspiration für Karim, als dieser ein Jugendlicher war. «Ich bekam von meiner Mutter ein Buch geschenkt, mit Fotos, Malerei und Skizzen aus dem abgründigen David Lynch-Universum. Ja, der Typ hat mich an der Filmschule irgendwie geprägt».
Karim war natürlich nicht ganz alleine unterwegs in Frankreich. Immer mit ihm war seine Leica M. Immer umgehängt. Stets einsatzbereit. Ein Teil von ihm. «Es war immer schon Leica. Und ist es immer noch. Die Kamera fühlt sich an als wäre sie ein Organ von mir. Als wäre sie angewachsen». Er lacht nicht mal dabei. Es ist sein Ernst. «Sie passt und gehört zu mir. Bevor ich abdrücke, sehe ich das fertige Bild schon. Wie ein Tennisspieler, der im Moment des Aufschlags weiss, einen für den Gegner unerreichbaren Ball gespielt zu haben. Ein Ass. Ich vertraue der Leica M zu hundert Prozent. Es ist eine seltsame Selbstverständlichkeit». Er sieht die Bilder ja sogar dann, wenn er nicht abdrückt. Aber dies ist eine andere Geschichte. «Und natürlich ist sie perfekt zum Reisen. Sogar wenn ich mit dem Rennvelo irgendwo hinfahre nehme ich sie manchmal mit. Umgehängt». Karim ist Eins mit seiner Kamera. Nicht weil Leica draufsteht. Sondern weil es eine Leica ist. Nicht die Hülle interessiert den Künstler. Sondern der Inhalt.
Foto und Film verschmelzen
Die Fotografie war immer schon seine Passion. Filmregie hat er studiert. Vor seinem Studium machte er Bilder für eine Tageszeitung. Entwickelte seine Aufnahmen im Labor. Er kennt die Fotografie. Die Analogfotografie. Die Ur-Fotografie. Und liebt darum die Leica M. «Fotografie und Film verschmelzen manchmal auf ganz wundersame Weise. Aus einem Foto kann eine Filmszene entstehen. Das Unbekannte wird plötzlich konkret». Sein Film «Driften» war ein grosser Erfolg. Der Film ist ein Kunstwerk. Und Karim ist der Künstler. Ist Filmer. Fotografie ist seine Leidenschaft. Die Kamera ist Teil von allem. Alles scheint zu verschmelzen. Und macht sein Leben zu Kunst. «Es geht immer darum, eine Geschichte zu erzählen. Sei es im Film. Sei es ein Bild. Sei es auch einfach nur ein Schnappschuss». Karim Patwa fährt mit offenen Sinnen durch die Welt. Seine Intuition, welche auf Veloreisen wächst, sagt ihm wo er anhalten soll. Dann zäunt er mit seinem Blick das Gebiet ein. Wartet. Und am Ende kommt das Sujet auf ihn zu. Es sind dramatische und nebensächliche Geschichten. Es sind die Geschichten des Alltags, der einfachen Leute.
Die Bilder aus Frankreich erschienen als Foto-Reportrage im Zürcher Tagesanzeiger. Sie erzählen von der einsamen Velofahrt dieses spannenden Bildkünstlers durch die moderne Zeit. Durch die verschiedenen Welten und Kulturen Frankreichs. Sie dokumentieren einen kurzen Moment im Leben dieser so verschiedenen Menschen. Man möchte mehr über sie wissen. Was geschah vor dem Bild. Was danach. Und man möchte wissen wie all die Bilder aussehen, welche Karim in seinem Kopf hat.
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