Es sind Bilder der Zerstörung, welche Hans Hofmann in seinem neuen Buch «Ein Ort verschwindet – Papierfabrik Utzenstorf» präsentiert. Allerdings ist es eine poetische, in wunderschönen Bildern festgehaltene Zerstörung. Inhalt der Bilder sind die stillstehenden Maschinen und Fabrikhallen der Papierfabrik in Utzenstorf sowie der anschliessende Rückbau der Gebäude. Leica-Fotograf Hans Hofmann hat keine Mühen und Risiken gescheut, um diese spektakulären Bilder zu machen, welche die einzigen Überbleibsel einer langen industriellen Geschichte sind.

«Jedes Mal, wenn wieder ein Raum oder ein Gebäude verschwunden ist, empfinde ich eine leise Wehmut. Ich bin wohl der letzte Mensch, der die teilweise wunderschönen Räume sieht und geniesst. Ich versuche, mit meinen Fotos einerseits die besondere Schönheit der Architektur, anderseits den spektakulären Rückbau zu zeigen. Dabei möchte ich mit meinen Bildern sowohl das Vorher als auch das Nachher einfangen».

 

Leica M Monochrom oder die Schönheit einer Staubwolke

Anfangs 2017 erfuhr Hans Hofmann durch die Presse, dass die Papierfabrik Utzenstorf abgestellt wurde. Für den leidenschaftlichen Leica-Fotografen war sofort klar, dass er die  noch funktionsfähigen Fabrikgebäude auf Bildern festhalten möchte. Was er zu Beginn nicht wusste war, dass es ein Dreijahresprojekt werden würde, welches den Rückbau der gesamten Fabrikanlage miteinschloss und ihn auch während der Pandemie beschäftigte. «Ich nahm sofort Kontakt mit der Betriebsleitung auf, mit der Bitte, die stillgelegte Fabrik fotografieren zu dürfen. Ein paar Tage später schon führte mich ein ehemaliger Ingenieur durch die unveränderten Räume der ehemaligen Papierfabrik. Ich erinnere mich noch an die Äusserung des Ingenieurs, der unter Tränen sagte, dass doch alles noch einwandfrei funktioniere». Während drei Jahren hat Hans Hofmann einen Tag pro Woche in den Gebäuden fotografiert. Es herrschte eine unheimliche Stille inmitten der ehemals lauten Maschinen. Im Untergrund der Hallen hatte es nur wenig Licht.

Mit dem Start des Rückbaus verwandelte sich die Stille in lautes Getöse, begleitet von viel Staub und dem langsamen Verschwinden der einzelnen Räume und Maschinen. Hans Hofmann bewegte sich inmitten der Arbeiter, der kriegsähnlichen Umgebung, immer in Begleitung der beiden Kameras Leica M Monochrom 264 und Leica M 10 Monochrom. «Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schön eine Staubwolke sein kann, wenn man sie im richtigen Moment aufnimmt. Mit der Leica Monochrom konnte ich das wilde, manchmal auch gefährliche Geschehen optimal festhalten. Sie eignet sich auch bei schwierigen Lichtverhältnissen und erlaubt es mir, auf unnachahmliche Weise mit den Kontrasten zu arbeiten. Manche Bilder wirken wie aus einer anderen Zeit. Das schafft nur eine Leica. Vor allem die vielen Aufnahmen im fast lichtlosen Untergrund zeigen, was mit diesen Kameras möglich ist».

7’000 Fotos gemacht – 240 auserkoren

Zu Beginn seiner Mission hielten ihn die etwa 25 Arbeiter noch für einen Boulevardfotografen. Doch die Skepsis verflog rasch und es entstand ein vertrautes, freundschaftliches Verhältnis. Spätestens, als jeder Arbeiter ein Bild von sich bestaunen konnte, war das Eis gebrochen. «Das Fotografieren der Menschen bei der Arbeit bereitete mir besonders grosse Freude. Nach einiger Zeit kannte ich die meisten Arbeiter und die Beziehung wurde tatsächlich kollegial. Dazu beigetragen hat auch, dass ich immer wieder Fotos verteilte. Das Resultat war, dass ich kaum mehr beachtet wurde und darum näher an die Menschen ran konnte. So entstanden entspannte, aber dynamische Bilder». Weniger entspannt war das Fotografieren der Action inmitten der Abrissszenen. «Das Fotografieren der Abbruch-Arbeiten war vielseitig und anspruchsvoll. Wenn ich beispielsweise den Einsturz eines Gebäudeteils fotografieren wollte, musste ich unter Umständen sehr lange, aber immer voll konzentriert, warten, weil ich nicht einschätzen konnte, wann der Sturz beginnt. Und dann, wenn alles zusammenstürzte, musste alles sehr schnell gehen. Eine Besonderheit waren auch die sehr unterschiedlichen Lichtsituationen. Fotografieren bei vollem Sonnenschein mit harten Kontrasten oder im Kellerbereich mit sehr spärlichem Licht, welches oft nur durch ein Loch in der Wand hereinschien. Oder Bagger und Arbeiter, welche sich in der Finsternis bewegen. Da ist das präzise Abstimmen von Zeit, Blende und ISO wichtig».

Und dann herrscht plötzlich Stille. Dort, wo Hans Hofmann während drei Jahren wunderschöne Bilder machte, bleibt eine grosse Leere. An die Papierfabrik, welche 125 Jahre lang Zeitungspapier produzierte, erinnert nur noch das ehemalige Kesselhaus, welches unter Heimatschutz steht und deshalb nicht abgerissen werden durfte. Und natürlich die Bilder von Hans Hofmann, welche in einem Fotoband erscheinen und an einer Ausstellung auf dem Fabrikgelände präsentiert werden. Insgesamt 7’000 Bilder hat er in Utzenstorf gemacht, 240 davon werden im Buch veröffentlicht. «Klar musste ich bei der Auswahl auf viele schöne Bilder verzichten, was auch immer ein bisschen wehtut. Aber ich finde, die Bilder der Menschen, der Fabrik, der Skulptur-ähnlichen Maschinen und der oft an Kriegsbilder erinnernden zerstörten Gebäude sind mir gut gelungen. Insgesamt widerspiegeln sie wunderschön, was ich während der Arbeit und meiner Zeit in der Papierfabrik erlebt habe».

Die Ausstellung «Ein Ort verschwindet – Papierfabrik Utzenstorf findet vom 23. September 2022 bis bis am 8. Oktober 2022 auf dem ehemaligen Fabrikgelände statt.

Das Buch ist erhältlich unter www.hans-hofmann.com und kostet 55 Franken.