Die M11-P ist Leicas erste Kamera, die die Zertifizierung gemäss der Content Authenticity Initiative (CAI) ermöglicht. Die Authentizität eines Bildes kann damit also eindeutig belegt werden, was gerade in Zeiten von durch KI (künstliche Intelligenz) generierten Bildern und einem wachsenden Misstrauen gegenüber der Wahrhaftigkeit von Bildern interessant ist. Wie das die Dokumentarfotografie beeinflusst, haben wir mit dem Fotografen Dominic Nahr und dem Bildredakteur Gilles Steinmann von der NZZ besprochen.

Die Leica M11-P könne für Reportagefotografinnen und -fotografen ein echter Gamechanger sein, unterstreicht Dominic Nahr im Gespräch, doch dazu später mehr. Tatsächlich ist die M11-P nicht nur eine noch robustere und dezenter auftretende Variante der M11, sondern sie bietet als erste Leica überhaupt eine technische Besonderheit, die sie von allen anderen Kameras unterscheidet. Vereinfacht gesagt, signiert die M11-P ihre Bilddaten während der Aufnahme, sodass später verifiziert werden kann, dass das abgebildete Ereignis authentisch ist und nicht manipuliert wurde. In diese Signatur sind unter anderem ein Thumbnail und Tiefeninformationen eingebettet. Gerade letztere verhindern, dass etwa ein KI-generiertes Foto einfach abfotografiert werden kann, denn eine zweidimensionale Darstellung eines dreidimensionalen Raums kann dank CAI als solche entlarvt werden. Diese Signatur setzt eine zusätzliche Hardware, einen Chip, voraus, der in die Kamera integriert ist. So entstand die Idee, den NZZ-Journalisten Nahr und Steinmann eine Leica M11-P zur Verfügung zu stellen und ihre Erfahrungen damit zu erörtern.

«Transparenz ist der Schlüssel zur Wahrheit», betont Dominic Nahr, der mit seiner Kamera seit Jahren das Schicksal von Migranten in der Schweiz begleitet. Nahr, seit 2021 Mitglied des Fototeams der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), hat viel über die Krisen und Kriegsschauplätze der Welt berichtet, zuletzt aus der Ukraine. Er hat schon für das Time Magazine gearbeitet und wurde durch die Agentur Magnum Photos vertreten. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den World Press Photo Award, den Leica Oskar Barnack Award und den Swiss Press Photo Award. Immer wieder lotet er die Grenzen des visuellen Erzählens neu aus. Gilles Steinmann ist Leiter der Bildredaktion und seit 16 Jahren Fotoredakteur für verschiedene Schweizer Magazine; er hat über 150 Fotoessays veröffentlicht.

Auslöser für das gemeinsame Projekt für die NZZ war schliesslich die Vorstellung der M11-P: « Es soll die Bedeutung der Wahrheit unterstreichen und erklären, wie die Leica M11-P mit dem integrierten CAI-Mechanismus ein Mittel sein kann, um den Prozess, den wir als Fotografinnen und Fotografen durchlaufen, unseren Rezipierenden näherzubringen. So geben wir ihnen die Möglichkeit, mehr darüber zu erfahren, was wir tun, wie wir arbeiten, und vor allem, wie wir Bilder bearbeiten. So zeigen wir, dass wir Wert darauf legen, mit unserer Arbeit so klar und offen wie möglich zu sein », sagt Nahr.

Die Geschichte, die er hier in seinen Bildern erzählt, ist ein Beispiel dafür, wie eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft aussehen kann. Der Fotograf begleitet Hafid schon eine Weile. Was die Betrachterinnen und Betrachter zu sehen bekommen, sind nicht etwa Elendsbilder von Flucht und Misshandlung oder von erbärmlichen Zustanden in Flüchtlingslagern, sondern Bilder einer gelungenen Integration. Sie zeigen das Leben eines Anfang 40-jährigen Mannes und seiner Kinder, sie zeigen ein ganz normales Leben – quasi ein Homestory – einen enthusiastischen Musiker, einen Menschen, der sich engagiert und der für andere da ist. Die Wurzeln ausserhalb der Schweiz mag erahnen, wer Hafid und den anderen Musikern ins Gesicht schaut oder wer seinen Namen liest, der Migrationshintergrund ist dabei kaum von Bedeutung. Gerade in so einen Zusammenhang spielt Authentizität eine grosse Rolle. Wir haben mit Dominic Nahr und Gilles Steinmann über die Leica M11-P und die CAI gesprochen.

Musik spielt eine wichtige Rolle im Leben des Anfang 40-jährigen Hafid, der in Algerien geboren wurde, und der über Deutschland in die Schweiz gekommen ist. Er ist Singer-Songwriter seiner Band Šuma Čovjek, die Konzertfotos hat Dominic Nahr während des Abschlusskonzerts zum Album „Fatamorgana“ im „Altes Kino“ in Mels, Sarganserland, aufgenommen. Šuma Čovjek hebt sich vom klassischen Balkan-Pop ab. In ihren Songs mischen die Schweizer mit Migrationshintergrund die Sprachen Französisch, Kroatisch und Arabisch. Ausserdem arbeitet Hafid seit über zehn Jahren in der Schweiz als Co-Programmkoordinator einer NGO für Mosambik, Simbabwe und Südafrika. Er befasst sich hier vor allem mit dem Thema „sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“. Also mit dem uneingeschränkten körperlichen und seelischen Wohlbefinden in Bezug auf alle Bereiche der Sexualität und Fortpflanzung des Menschen, dazu zählen Themen wie Aufklärung und Familienplanung.


Mit den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung wurde die Fotografie ein Stück weit ehrlicher, da nun den meisten Rezipierenden klar war, dass ein Bild nicht automatisch ein Abbild der Wirklichkeit sein muss. Gleichzeitig hat die Fotografie damit an Authentizität verloren. Wie begegnen Sie diesem Dilemma?

Gilles Steinmann: Wir haben seit jeher die Pflicht, Bilder unverändert zu veröffentlichen. Da darf kein Pixel verschoben werden. Lassen wir das zu, verspielen wir unsere Glaubwürdigkeit. Wir verzichten bei der NZZ auf fotorealistische Illustrationen; Visualisierungen werden konsequent als solche ausgewiesen.

Was können Fotografinnen und Fotografen beitragen, um die Bedeutung der Dokumentarfotografie zu stärken und – ganz konkret – um die Wahrhaftigkeit ihrer Dokumentationen zu untermauern?

Dominic Nahr: Fotografie hat sich immer an der Grenze von Realität und Fiktion bewegt. Schon in den Zeiten, in denen Abzüge in der Dunkelkammer entstanden sind, hatten Fotografen die Möglichkeit, etwa die Blickrichtung einer trauernden Mutter zu verändern oder Objekte durch Verdunkeln der Schwarztöne zu entfernen. Künstliche Intelligenz (KI) ist nur eine weitere Entwicklung, ein Werkzeug, das parallel dazu existiert, so wie seit den Zeiten von Photoshop die digitale Bildbearbeitung. Eines der Hauptziele meiner Arbeit ist es, meinem Stil treu zu bleiben und nicht der Versuchung zu erliegen, neue Technologien in meine visuelle Sprache einzubauen. Es ist gut zu wissen, was alles möglich ist, aber ich habe mich stets darauf konzentriert, gerade so viel Bildbearbeitung zu betreiben, wie eben nötig ist, damit der Stil eines jeden Bildes vergleichbar ist mit dem Ziel, dass eine Szene so wahrgenommen wird, wie ich sie gesehen und gefühlt habe.

Mit den Jahren haben sich die Kamerasensoren weiterentwickelt und mit ihnen auch die Möglichkeit, die Darstellung der Bilder in der Postproduktion zu optimieren, aber auch zu manipulieren. Für mehr Transparenz habe ich 2018 eine regelmässige Kolumne für ein lokales Magazin in Zürich produziert. Ich bin jede Woche mit meiner analogen Kamera rausgegangen und habe danach eine Geschichte mit einem « Tearsheet » und einem Foto präsentiert. Es war für mich eine Möglichkeit, nicht nur bei der Bearbeitung des Fotos transparent zu sein, sondern auch zu zeigen, wie das Foto entstanden ist. Zwei Dinge sind in diesem Zusammenhang wichtig: 1. Die Geschichte und die dazugehörende Recherche unterstreichen die Wahrhaftigkeit der Bilder. 2. Die Veröffentlichung eines Fotos durch eine glaubwürdige Institution ist ebenso geeignet, die Glaubwürdigkeit eines Fotos zu untermauern.

Leica stellt mit der M11-P ein erstes Kameramodell vor, das den CAI-Standard unterstützt. Kann diese Kamera ein Gamechanger sein, um neues Vertrauen in das Medium Fotografie herzustellen oder vorhandenes zu stärken?

Nahr: Ich denke, es gibt vor allem Zweifel an Bildern, die in sozialen Medien kursieren, und dieser Zweifel hat sich nun sicher auch auf Institutionen ausgeweitet. Dennoch glaube ich, dass die Anzahl der Zweifelnden klein ist. Aber das negiert nicht die Tatsache, dass wir stets auf dem neuesten Stand sein sollten, um mit unserer Arbeit transparent zu sein. Ich möchte die Menschen dazu einladen zu verstehen, wie ein Foto nachbearbeitet wird. Für mich ist die M11-P absolut ein Gamechanger. Sie ermöglicht es mir, ein Bild zu machen und der Betrachterin oder dem Betrachter meinen Gedankengang in der Bearbeitung nachvollziehbar aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass das Bild ohne Manipulation entwickelt wurde. Ob ein Foto mehr oder weniger Kontrast hat, ist nicht der Punkt. Es geht darum zu zeigen, dass das, was der Sensor erfasst hat, auch das ist, was vor der Linse war. Wie Sie sagten, es soll dazu dienen, vorhandenes Vertrauen in die Fotografen und ihre Arbeit zu stärken.

Wie wirken sich die Möglichkeiten der CAI auf den Alltag von Redaktionen und Fotografinnen aus?

Steinmann: Die CAI löst mehrere Probleme gleichzeitig. Wir können jederzeit transparent zeigen, ob etwas am Bild geändert wurde. Im Zeitalter von KI-generierten Bildern und Falschnachrichten ist die CAI eine Antwort, um die Ansprüche des Qualitätsjournalismus zu unterstützen. Zudem können Fotografinnen und Fotografen rückverfolgen, ob ihr Bild ungefragt kopiert wurde. So können sie ihr Urheberrecht besser wahren.

Nahr: Wir tun unser Bestes, mit Fotografen zusammenzuarbeiten, die wir kennen und überprüft haben. Wir arbeiten mit geprüften Nachrichtenagenturen, und wir betrachten alle Fotos, die von einem bestimmten Ereignis eingehen. Die Sicherheitsmassnahmen sind schon lange festgelegt, und das Vertrauen in die Arbeit geht von der Redaktion zu diesen Unternehmen oder Fotografen. Die CAI kann ein zusätzlicher Kontrollmechanismus für Redakteure sein, das Originalbild zu betrachten, falls es einmal Zweifel an seiner Authentizität gibt. Einfach gesagt: CAI ermöglicht es, die Raw-Datei zu sehen und alle Bearbeitungsebenen in einem Schritt zu betrachten.

Sollten wir künftig Bilder kennzeichnen, bei denen es keine kameraseitige CAI-Zertifizierung gibt?

Nahr: Ich weiss nicht, ob das nicht ein Überschreiten des Vertrauens ist. Aber vielleicht ist dies ein notwendiger Schritt aufgrund des möglichen zukünftigen Misstrauens der Öffentlichkeit gegenüber der Fotografie durch KI. Wenn das Misstrauen aus den sozialen Medien beginnt, die Dokumentarfotografie zu beeinflussen, könnte es notwendig werden, konkrete Massnahmen zu ergreifen, um dem Publikum unsere Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit zu verdeutlichen. Als Fotograf bin ich von allen Technologien begeistert, die die Betrachtenden in unseren Prozess einbeziehen.

Beeinflusst die Tatsache, dass die Fotos der Leica M11-P quasi einen Echtheitsstempel tragen, die Erzählweise einer Geschichte?

Nahr: Das denke ich nicht. Als Fotograf für die NZZ arbeite ich immer eng mit einem Korrespondenten zusammen, und wir diskutieren und arbeiten gemeinsam an einer Geschichte vor Ort. Diese sowie die Charaktere, Szenen, Emotionen und Informationen der Reportage werden dann in einer Verschmelzung von Bild und Text erzählt. Je enger diese beiden Linien miteinander verwoben werden können, desto näher kommen wir an ein authentisches Ergebnis.

 

Für Hafid ist es von grosser Bedeutung, für seine Kinder da zu sein, deshalb zog er in eine ruhigere Gegend, wo ihre Schule und die Möglichkeit für ganz unterschiedliche Aktivitäten nah bei einander liegen. Seine 7-jährige Tochter Souad ist sehr aktiv und abenteuerlustig und tobt sich gerne beim Skateboarden und beim Fußballtraining aus. Zuhause findet sie Ruhe beim Beobachten der Fische im Aquarium. Angefangen mit fünf Fischen, sind es inzwischen bereits ein Dutzend. Es ist eine grosse Verantwortung für die Kinder, täglich nach ihnen zu sehen und sich um ihr Wohlbefinden zu kümmern. „Es ist schwer, aber wichtig, Orte ohne digitale Ablenkung zu haben“, erzählt Hafid. „Keine digitalen Schnuller. Diese Räume, in denen wir etwas gemeinsam unternehmen oder uns gemeinsam beschäftigen können, entstehen so wertvolle und schöne Momente.“ Diese finden Hafid und seine Kinder in der Wohnung ihrer Großmutter.


Gilles Steinmann

Gilles Steinmann ist der Leiter der Bildredaktion bei der Tageszeitung «NEUE ZÜRCHER ZEITUNG» (NZZ) in der Schweiz. Er ist seit über 16 Jahren als Fotoredakteur tätig, hat für verschiedene grosse Schweizer Publikationen gearbeitet und war an der Berichterstattung über einige der historischsten globalen Nachrichten beteiligt.

https://www.nzz.ch/impressum/gilles-steinmann-ld.1288088

 

 


Dominic Nahr

Die Bilder von Dominic Nahr sind auf unzähligen Titelseiten erschienen. Sie erzählen Geschichten, die keiner Worte benötigen. So nah. So wahr. So kraftvoll. So echt. Dominic Nahr ist Fotograf und Bildredaktor bei der NZZ und seit 2018 Ambassador von Leica Camera.

https://leica-camera.blog/de-ch/category/topics-de-ch/leica-ambassador-dominic-nahr/ 

https://www.nzz.ch/impressum/dominic-nahr-dna-ld.1661941