Ohne Menschen und mit hängenden Palmblättern: Seit 2015 fotografiert Christian Werner regelmäßig in Los Angeles, zumeist Details und selten Landschaften. Seine Aufnahmen zeigen eine müde und ausgebrannt wirkende Stadt, weit weg vom Ideal des amerikanischen Traums. Wir sprachen mit dem Berliner Fotografen über Sehnsuchtsorte und die Herausforderung, den Fokus nicht zu verlieren.

Was verbindet Sie mit Los Angeles?

Ich habe Los Angeles immer als eine sehr symbolträchtige Stadt gesehen, seit einigen Jahren ist die Metropole ein echter Sehnsuchtsort für mich: Ich verbinde Los Angeles nicht nur mit Schönheit, sondern auch mit einem starken Gefühl der Melancholie, wie eine Vorahnung vom Ende der westlichen Zivilisation. Los Angeles ist der Ort, der für mich am weitesten von der Provinzialität Westdeutschlands – von wo ich stamme – entfernt ist. Ein Ort, an dem man sich sofort und immer wieder neu erfinden oder auch einfach verschwinden kann, wenn man das will. Ausbrechen aus bürgerlichen Zwängen und katholischer Demut in die endlosen Weiten und das ewige Licht. Gleichzeitig aber auch zu groß, zu grell, zu künstlich und zu übertrieben. Oder psychologisch ausgedrückt: Es ist eine Art ängstlicher Spannung, die mich mit Los Angeles verbindet.

Wo ist es einfacher zu fotografieren: daheim oder im Ausland?

Wenn ich mich an einem fremden Ort befinde, ist mein Auge immer viel aufmerksamer für Symbole, Orte und Situationen als in einer vertrauten Umgebung. Das macht es natürlich einfacher. In Los Angeles war es aber auch eine Herausforderung, den Fokus nicht zu verlieren. Die Stadt ist visuell so intensiv, dass zunächst fast alles interessant und fototauglich erscheint. Aber wenn alles zusammenpasst, verlieren einzelne Dinge an Bedeutung.

Ihr Fotobuch Los Angeles ist im Frühjahr 2019 im Korbinian Verlag erschienen. Welches Bild mögen sie ganz besonders?

Natürlich enthält das Buch Bilder, die ich persönlich anderen vorziehe, aber mir sind die Komposition und die Dramaturgie des Buchs am wichtigsten. Ich habe mir viel Zeit für die Bearbeitung genommen, habe die Aufnahmen monatelang betrachtet, Seite an Seite, und wählte dann erneut aus. Dabei fielen einige Bilder, für die ich mich schon entschieden hatte, unter den Tisch, da sie den Fluss der Geschichte in eine unerwünschte Richtung gelenkt hätten. Kill your darlings!

Hatten Sie das Buch schon im Kopf, als Sie fotografiert haben?

Schon auf meiner ersten Reise nach Los Angeles hatte ich das Bedürfnis, mich einer visuellen Erzählung über die Stadt zu widmen und ein größeres Projekt zu verwirklichen. Es brauchte jedoch eine Weile und weitere Besuche, bis ich meinen ganz eigenen Ansatz fand. Los Angeles ist ein einschüchterndes Motiv für einen Fotografen, und sicherlich auch ein heikles. Die Stadt gehört zu den drei meistfotografierten Orten der Welt. Die Annahme, dass es hier noch Geheimnisse zu entdecken gibt, erscheint erst einmal höchst unwahrscheinlich.

Warum haben Sie es vermieden, Menschen zu fotografieren?

Ich habe mich relativ schnell entschieden, in dieses Buch keine Porträts aufzunehmen. Für mich ging es darum, die eigenartigen Orte zu zeigen, die die Filmindustrie als Sets verwendet. Ich habe auch bewusst keine Bilder mit deutlich sichtbarer Schrift oder Symbolen aufgenommen. Für dieses Buch hielt ich sie für zu kraftvoll, ich fürchtete, sie würden von dem ablenken, was ich eigentlich zeigen wollte. Die Tatsache, dass in diesen Stadtlandschaften absolut niemand zu sehen ist, unterstreicht die leicht dystopische Stimmung des Buches zusätzlich.

Am Ende des Buches kommen aber Menschen zu Wort. Statt eines klassischen Katalogtextes hat der Autor Tom Kummer fünf fiktive Interviews mit idealtypischen Einwohnern von Los Angeles geführt. So berichten etwa der Life Coach Dr. John, die Helikopterpilotin Julie Kay und der Tennistrainer Tomas aus ihrem Leben. Dieses Format spielt mit der Verschiebung von Realität und Fiktion, die schon immer zu Los Angeles gehörte.

Welche Kamera haben Sie verwendet?

Dieses Projekt habe ich ausschließlich mit Leica Kameras fotografiert, vor allem mit der Leica M-P und M10, die für diese Art der Street Photography prädestiniert sind, wenn man mit relativ leichtem Gepäck unterwegs sein will. Einige der Bilder entstanden auch mit einer Leica S, die sehr spezielle Qualitäten hat und die Farben brillant wiedergibt. Auch wenn ich immer noch gerne mit Film arbeite – speziell, wenn es um Porträts geht – war es mir sehr wichtig, dieses Projekt digital zu fotografieren, damit die Bilder eine moderne und objektive Anmutung haben. Ich wollte ohne ästhetische Tricks auskommen, um das Los Angeles dieser Tage zu beschreiben.

Gibt es andere Orte, die Sie in Bildern festhalten möchten?

Wirklich gern würde ich nach Tokio reisen und herausfinden, welche Ansatzpunkte ich dort finden könnte, um die Stadt auf eine interessante und vielleicht sogar neue Weise zu porträtieren.

 

Der Berliner Leica Fotograf Christian Werner (geb. 1977) arbeitet für viele nationale und internationale Zeitschriften wie das „Zeit Magazin“, „Ssense“, „032c“ und „Numéro“. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen Langzeitprojekte, die in mehreren Büchern erschienen sind. Gerade wurde der Band Bonn. Atlantis der BRD veröffentlicht. Eine Auswahl dieser Fotografien erscheint in LFI 3.2019.

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