Eis, Kälte und atemberaubende Schönheit: Dass die Arktis viel mehr zu bieten hat, als man erwartet, lässt sich am Werk des isländischen Fotografen immer wieder eindrücklich ablesen. Ragnar Axelsson oder einfach RAX – so die selbstgewählte Kurzform des Namens – gilt heute nicht nur als der bekannteste Fotograf seines Heimatlandes, sondern zählt längst auch weltweit zu den renommiertesten und vielfach ausgezeichneten Dokumentarfotografen. Dass seine Motive aber nicht einfach nur ungewöhnliche Einblicke in die Schönheit der Natur bieten, hat den Fotografen in Zeiten des globalen Klimawandels auch zu einem engagierten Akteur und Mahner werden lassen.

Über sein neues Buch, seine Arbeit und seine Erfahrungen berichtet der Fotograf im Interview mit dem Leica Blog.

Wann haben Sie Ihre neue Serie aufgenommen und wie lange haben Sie daran gearbeitet?

Islands Gletscher fotografiere ich bereits seit einigen Jahren, immer wenn ich mit dem Flugzeug unterwegs bin. Aber als Projekt ging es 2015 los, nachdem wir beschlossen hatten, ein Buch über die Gletscher in Island herauszubringen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie in 150 bis 200 Jahren verschwunden sein werden.

Welche Kindheitserinnerungen verbinden Sie mit den ersten Flügen über die Gletscher?

Für einen kleinen Jungen war es ein besonderer Moment, zum ersten Mal einen Gletscher zu sehen. Es war überwältigend und an dieses Gefühl angesichts der Schönheit der Gletscher und der Natur erinnere ich mich bis heute.

Was fasziniert Sie an Gletscherlandschaften?

Es ist immer spannend, in einem Flugzeug oder bei einem Auftrag die Gletscher zu fotografieren. Es gibt immer etwas Neues und Abenteuerliches zu sehen, neuartige Formen und Figuren im Eis oder in der Asche an der Oberfläche, die von Vulkanausbrüchen in Island stammt und kaum irgendwo sonst auf der Welt zu sehen ist.

Und es sind die Formen und Figuren und das besondere Licht, das die Gletscher ausstrahlen. Es ist eine außergewöhnliche Wunderwelt. Die Gletscher sind wie ein Buch, im Eis gibt es Informationen über das Wetter, die Hunderte von Jahren zurückreichen. Jedes Jahr verlieren wir fünf Jahre an Informationen, die die Gletscher aufbewahren. All diese Informationen verschmelzen mit dem Ozean und sind für immer verloren.

Welche Bedeutung haben die Gletscher für die Menschen auf Island?

Die Gletscher sind die Perlen Islands. Ihre Schönheit kann sprachlos machen. Die meisten von uns werden nicht mehr da sein, wenn die Gletscher weg sind, aber ich denke, ich werde mit dem unsterblichen Keith Richards dort sitzen und mir anschauen, wie es in 200 Jahren aussieht.

Spielt die Natur heute, nach den Erfahrungen mit der Wirtschaftskrise und den politischen Umbrüchen im Land, wieder eine größere Rolle in der isländischen Gesellschaft?

Die Natur fungiert von Jahr zu Jahr immer stärker als Botschafter des Landes. Sie ist der kritischste Teil der isländischen Identität und wir verstehen gut, welche Anziehungskraft sie auf Besucher aus der ganzen Welt ausübt, die unberührte Natur erleben wollen.

Verstehen Sie Gletscherbilder auch als eine Art Porträt?

Gute Frage! (lacht) Die Landschaft schlägt nicht zurück, sie lächelt, besonders Gletscher. Beide machen Spaß, aber ich komme gut mit Menschen aus und das liegt mir mehr, denke ich.

Wie beschreiben Sie die größten Unterschiede bei Porträts von Personen und Landschaften?

Nun ja, wenn man sich die Formen im Gletscher ansieht, findet man viele Figuren und Gesichter. So geht es mir jedenfalls. Ich stelle mir vor, dass der Eisberg mit mir spricht und versucht, uns etwas zu sagen. All diese Figuren verschmelzen irgendwann mit dem Ozean. Es ist ein langer Weg, der in manchen Fällen fast 1000 Jahre währt. Bald werden sie frei sein.

Macht es demütig, wenn man die Gletscher betrachtet? Was befürchten Sie für das globale Klima?

Ja, das tut es. Stellen Sie sich vor, wie Sie sich die Gletscher ansehen und darüber nachdenken, dass sie verschwinden. Was liegt unter dem Eis, welche neue Landschaft werden wir vorfinden? Die Arktis ist der Kühlschrank unseres Planeten, und jetzt schmilzt er. Und als Folge wird sich die Erde erwärmen. Es ist etwas, worüber man sich Sorgen machen muss, wir alle, die auf diesem Planeten leben. Wenn die Gletscher weg sind, reflektieren sie die Sonnenstrahlen nicht mehr und die dunkle Landoberfläche wird den Planeten erhitzen. Der Meeresspiegel wird steigen.

Mit welcher technischen Ausstattung und welchem Kamerasystem haben Sie fotografiert?

In den letzten drei Jahren entstanden die Bilder mit der Leica SL. Ich habe für das Projekt zwei Objektive verwendet, das Summilux-M 1:1.4/50 ASPH. und das Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/24–90 ASPH. Indem ich höher oder niedriger flog, konnte ich auch mit dem 50-mm-Objektiv „zoomen“.

Leica SL

Fast. Direct. Mirrorless.

Was können Sie uns zu Ihrem neuen Verlag sagen?

Qerndu Publishing wurde ausschließlich gegründet, um Bücher über die Arktis zu veröffentlichen. Wir halten es für unerlässlich, zu dokumentieren, wie sich das Leben dort verändert. Die Arktis wird weltweit eines der wichtigsten Themen in den kommenden Jahren sein.

An welchen Projekten arbeiten Sie gerade und welche planen Sie?

Es gibt ein paar große Projekte im Moment und ich freue mich sehr, in naher Zukunft darüber zu berichten. Das umfangreichste Projekt ist ein großes Buch über alle acht arktischen Länder, das die Schönheit des Lebens in der Arktis trotz der harten Bedingungen dort zeigt.

Vielen Dank und viel Erfolg für alle weiteren Projekte!

Ein Portfolio mit Arbeiten von Ragnar Axelsson finden Sie in der LFI 2/2016.

 

Ragnar Axelsson wurde am 6. März 1958 in der Nähe von Reykjavík geboren. Mit zehn Jahren lieh er sich eine alte Leica Kamera seines Vaters. Seine Aufnahmen entwickelte er selbst. Die Veränderungen der Natur interessierten Axelsson schon früh und bereits als 18-Jähriger wurde er Fotograf bei der isländischen Tageszeitung „Morgunblaðið“ – seither dokumentiert er die Natur und das Leben der Menschen im Norden. Seine Bilder erschienen u. a. in „Life“, „Geo“, „Polka“, „Newsweek“, im „Stern“ und in „Time“. Als Bücher veröffentlichte er bisher Faces of the North (2004, new edition 2015), Last Days of the Arctic (2010), Behind the Mountains (2013) und zuletzt, Ende vergangenen Jahres, Glacier. Nicht nur für seine Bücher hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Grand Prize beim Festival Photo de Mer in Vannes, Frankreich, und Islands höchste Auszeichnung, den Order of the Falcon, Knight’s Cross, für seine Arbeit in der Arktis. 2001 erhielt er eine ehrenhafte Erwähnung beim Leica Oskar Barnack Award.

Wenn Sie mehr von Ragnar Axelssons Fotografie sehen möchten, besuchen Sie seine Website.