Der preisgekrönte Tierfotograf Jasper Doest hatte bereits unzählige Tiere vor der Kamera. Als jedoch der Menschen zugetane Flamingo Bob in sein Leben trat, sah er sich neuen fotografischen Herausforderungen gegenüber. Doest berichtet, was bei seiner ersten Begegnung mit Bob geschah, wie der Vogel in der Zivilisation zurechtkommt und was Menschen von einem Flamingo lernen können.

Beschreiben Sie uns doch bitte Ihr erstes Treffen mit Bob.

Meine Cousine Odette Doest ist Tierärztin auf der Karibikinsel Curaçao. Sie hatte mich um Fotos gebeten, mit denen sie das Wartezimmer ihrer Praxis dekorieren wollte. Sie hat einen eigenartigen Sinn für Humor und dachte, dass es eine gute Idee wäre, Fotos von Eisbären, Seehunden und Polarfüchsen in einer karibischen Tierarztpraxis aufzuhängen. Ich konnte sie aber überzeugen, einheimische Wildtiere zu präsentieren, damit sich ihre Kunden mit der großartigen Natur der Insel beschäftigen können. Also buchte ich ein Ticket nach Curaçao und am Tag nach meiner Ankunft kam ein Flamingo in mein Schlafzimmer.

Was dachten Sie, als Sie Bob das erste Mal gesehen haben?

Es ist schwierig, die Gedanken zu beschreiben, die einem durch den Kopf schießen, wenn ein großer rosa Vogel morgens ins Schlafzimmer stolziert. Ich war fassungslos. Ich bin Fotograf, also nehme ich an, dass meine erste Reaktion darin bestand, es zu dokumentieren, da das Geschehen visuell sehr reizvoll war.

Warum hat Odette Bob bei sich aufgenommen?

Der Vogel war im Monat zuvor gegen das Hilton Hotel Curaçao geflogen. Obwohl er sich vollständig erholt hatte, ging Odette davon aus, dass er in der Wildnis nicht überleben würde. Es gab drei Möglichkeiten: Bob freizulassen, aber das würde er nicht überleben. Ihn einzuschläfern, eben weil er nicht mehr in der Wildnis leben konnte, oder sie konnte ihn behalten. Das hat sie getan. Sie nannte ihn Bob und machte ihn zum Botschafter der Umweltschutzorganisation, die sie leitet, um Kinder über Naturschutz und Tierschutz auf Curaçao aufzuklären.

Wie wurde Bob auf Curaçao berühmt?

Im Namen ihrer „Fundashon Dier en Onderwijs Cariben“ (FDOC) besucht Odette viele Schulen. Viele Kinder kommen nach Hause und erzählen Geschichten über Bob. Lokale Fernseh- und Radiosender haben ausführlich über sie und Bob berichtet und ich habe nach meinem Besuch die Geschichte über verschiedene Kanäle verbreitet. Bob war schon sehr populär, aber als ich begann, Bilder über das Instagram-Konto von „National Geographic“ zu teilen, ging es richtig los. Und jetzt reisen die Aufnahmen mit der Ausstellung World Press Photo 2019 um die Welt, weil ich in diesem Jahr zwei Auszeichnungen erhalten habe. So ist Bob nicht nur Botschafter der FDOC, sondern mausert sich allmählich zum Botschafter der Insel Curaçao.

Wie verhält sich Bob Menschen gegenüber?

Er ist sehr entspannt und fühlt sich nicht allzu sehr belästigt. Er macht einfach sein eigenes Ding. Flamingos haben normalerweise Angst vor Menschen, aber er verhält sich nicht so und scheint sich in Gesellschaft von Menschen wohlzufühlen. Unter Odettes Aufsicht dürfen ihn die Schulkinder streicheln und er ist sehr freundlich zu ihnen. Ich denke, es geht in diesem Fall auch darum, die richtige Balance zu finden. Odette ist sich sehr wohl bewusst, dass Bob kein Leben führt, das er sich ausgesucht hat. Also lässt sie ihm die Zeit, ein Flamingo zu sein. Er teilt das Haus mit zwei Artgenossen, die ebenfalls nicht freigelassen werden konnten, und sie verbringen die meiste Zeit zusammen. Odette hat in ihrem Hinterhof einen Salzwasserpool gebaut, den die Flamingos täglich benutzen, und sie nimmt Bob oft mit ans Meer, damit er Zeit in der Wildnis verbringt.

Was war die größte fotografische Herausforderung bei diesem Projekt?

Visuell gab es keine echten Herausforderungen, aber es war schwer, realistisch zu bleiben. Einen Flamingo in einem menschlichen Umfeld zu sehen, wirkt so aus dem Zusammenhang gerissen, dass ich einige Aufnahmen gemacht habe, die sehr lustig waren. Aber ich wollte keine Serie mit lustigen Flamingo-Fotos machen. Humor ist definitiv ein Weg, um Menschen für die Geschichte zu begeistern, aber ich musste die Bedeutung dessen, was Odette und Bob unter Naturschutzaspekten machen, erklären und die schwierigen Entscheidungssituationen zeigen, vor denen man bei der Rehabilitation von Wildtieren steht. Das war nur durch einen erzählerischen Ansatz möglich.

Sie haben verschiedene Leica Kameras verwendet, um das Leben von Bob festzuhalten. Welche war Ihr Favorit?

Ich begann mit der Leica M (Typ 240), wechselte aber zur M10, da ich oft im Haus fotografierte und deren höheren ISO-Umfang benötigte. Ich mag die Kamera sehr: Sie ist klein, sie ist nicht aufdringlich, und ich schätze die Tatsache, dass ich sie mit dem Visoflex verwenden kann, um bei den Aufnahmen Bobs Perspektive zu wahren. Seit kurzem benutze ich die Leica SL, sowohl mit den SL- als auch mit M-Objektiven. Ich habe einen Winkelsucher für die Kamera anfertigen lassen, um gezielt in das Vogelleben einzutauchen. Aber in puncto Fotografie-Erlebnis ist die M für mich unschlagbar.

Wie sehen Sie Bobs Zukunft?

Ich hoffe, dass er weiterhin ein glückliches Leben führen wird. Er ist jetzt etwa elf, zwölf Jahre alt und Flamingos können ziemlich alt werden. So kann ich mir meine Cousine schon als alte Dame vorstellen, die in einem Schaukelstuhl auf ihrer Veranda sitzt, zusammen mit ihrem Flamingo. Aber ein Grund, aus dem man Bob nicht freilassen kann, ist die Arthritis, an der in den Füßen leidet. Odette therapiert ihn zwar regelmäßig und tut alles, was sie kann, um ihm zu helfen, aber ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich alt wird. Darin steckt auch die generelle Lektion, dass es gut ist; wenn man Tag für Tag das Leben so nimmt, wie es kommt.

Was kann die Geschichte von Bob dem Betrachter erzählen?

Meine Arbeit konzentriert sich auf die Schnittstellen zwischen dem Menschen und der Natur. Ich schaffe visuelle Geschichten, die Einblicke in das nicht-menschliche Leben geben, mit dem wir uns diesen Planeten teilen. Ich sehe deutlich den unhaltbaren Charakter der gegenwärtigen menschlichen Konsummuster, glaube aber, dass nicht alles düster und verhängnisvoll sein sollte, wenn wir über den menschlichen Einfluss sprechen. Einfluss kann sowohl in die eine wie in die andere Richtung gehen und dafür ist diese Geschichte ein gutes Beispiel. So sehr sie sich um diesen schönen rosa Vogel dreht, so sehr geht es auch um die unglaubliche Arbeit einer starken unabhängigen Frau. Ich bin stolz darauf, dass sie meine Cousine ist. Für mich ist sie eine wahre Heldin des Naturschutzes und ein Beweis dafür, dass ein Individuum etwas bewirken kann, wenn es sich um die Welt kümmert, die uns umgibt. Empathie ist der Ausgangspunkt für positive Veränderungen – das kann uns diese Geschichte lehren.

Jasper Doest ist ein niederländischer Fotograf, der sich auf die Wechselwirkungen zwischen dem Menschen und der Natur konzentriert. Mit berührenden Bildern will er Brücken schlagen zwischen dem Betrachter und der Flora und Fauna, die uns jeden Tag umgeben. Seine einfühlsamen Fotografien wurden in Zeitschriften wie „National Geographic“ und „Geo“ veröffentlicht und mit dem World Press Photo Award und der Auszeichnung Wildlife Photographer of the Year gewürdigt.

Wenn Sie mehr von Jasper Doests Arbeit sehen möchten, besuchen Sie bitte seine Website oder sein Instagram-Profil.

 

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