Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist mit ihrem Beethoven-Zyklus zu Weltruhm gelangt. Seit Jahren begleitet sie Julia Baier mit ihrer Leica und zeigt sie in den großen Konzerthäusern der Welt, bei CD-Einspielungen, im Backstage-Bereich und bei ausgelassenen Ausflügen. Ein Gespräch über die Visualisierung von Musik mit Blick auf das Beethoven-Jahr 2020.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen?
Die gemeinsame Geschichte begann im Jahr 2000. Damals studierte ich Fotografie an der Hochschule für Künste Bremen und das noch junge Orchester war auf der Suche nach einem neuen Fotografen. Bei einem Konzert am Strand von Bremerhaven, zu dem das Orchester meine Fotoklasse eingeladen hatte, nahm unserer Kooperation ihren Anfang: Das Orchester wählte mich als zukünftige Fotografin aus. Seitdem begleite ich Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen auf alle großen Bühnen der Welt, denn mit ihren radikal neuen Interpretationen klassischer Werke hat sie sich einen Platz an der Spitze in der Klassikwelt erspielt. 2020 feiern wir also unser 20-jähriges Jubiläum!

Wie gern lassen sich Musiker überhaupt fotografieren?
Durch die langjährige Zusammenarbeit ist ein Vertrauensverhältnis entstanden, das die wichtigste Grundlage für meine Bilder ist. Über all die Jahre kenne ich jedes Mitglied des Orchesters, die Abläufe und die Anforderungen an mich sehr gut. Jede Tour und jedes Konzert ist eine besondere Situation, in der den Musikern Höchstleistungen abverlangt werden. Dementsprechend muss ich mich mit viel Fingerspitzengefühl in die Abläufe und als stille Beobachterin in das große Ganze einfügen. Das gelingt nur, weil mich die Musiker so gut kennen und meine Aufnahmen schätzen. Wann immer wir gemeinsam unterwegs sind, kommt bei mir das Gefühl auf, Teil der Orchesterfamilie zu werden, was mich unglaublich glücklich macht. Als Fotografin bin ich ja oft eine allein reisende Einzelkämpferin, sodass ich diese Gruppenunternehmung als Highlight in meinem Leben als Fotografin empfinde.

Wie haben die Musiker auf Sie und Ihre Kamera reagiert?
In der Enge der Backstage-Bereiche komme ich meist nicht darum herum, dass mich die Musiker wahrnehmen. Es gibt keine allgemeine Antwort auf diese Frage, denn alle haben sie eine eigenständige Persönlichkeit und gehen unterschiedlich mit der Situation um, fotografiert zu werden. Manch eine schaut souverän in die Kamera, manch einer ist schüchtern. So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Reaktionen. Im Optimalfall spüre ich bei der Annäherung, ob ich gerade störe oder nicht. Die Verständigung verläuft nonverbal. Ich habe gelernt, diese Zeichen zu lesen. Manche lassen sich auch wirklich gern fotografieren und nutzen die Kamera, um kleine Performances aufs Parkett zu legen.

Was waren für Sie die bewegendsten Momente bei diesem Projekt?
Ich würde sagen, das ganze Projekt ist außergewöhnlich und bewegend. Jedes Konzert, sei es im Teatro Colón in Buenos Aires oder im Kurhaus Wiesbaden, fühlt sich wie ein Geschenk an. Ich komme in den Genuss von Weltklasse-Musik und all die gemeinsamen Proben und Konzerte haben mir die klassische Musik nähergebracht. Durch das konzentrierte Arbeiten in den Proben beginne ich zum Beispiel, Beethoven oder Brahms besser zu verstehen.
Außerdem gestalte ich durch meine Aufnahmen die Geschichte der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen mit. Ich habe bald 20 Jahre dieses ungewöhnlichen Orchesters miterlebt und diese Erfahrung in Bildern „aufgeschrieben“ – das ist ein großer Schatz, den ich und das Orchester gemeinsam hüten. Vor fünf Jahren habe ich bereits einmal Bilanz gezogen und das Projekt In Tune – Variations on an Orchestra ins Leben gerufen, bestehend aus einer großen Ausstellung und einem Buch. Aktuell denken wir über eine neue Ausstellung im Beethovenjahr 2020 nach. Lassen Sie sich überraschen!
Ein konkreter Glücksmoment fällt mir noch ein. Ich war mit einer Gruppe von fünf Musikern an den Ipanema-Strand in Rio de Janeiro gefahren, um dort Aufnahmen im Stadtkontext zu machen. Leider hatten wir einen der zehn Regentage pro Jahr in Rio erwischt – etwas enttäuscht fuhren wir trotzdem los. Vor meinem inneren Auge hatte ich mir schon Fotos am Strand zwischen knappen Badehosen und Surfbrettern vorgestellt … Wir kamen an den leergefegten Strand, und die Gruppe lief über den Sand. Von links kam plötzlich eine Welle und alle machten einen ungeplanten, gemeinsamen Satz nach rechts. In diesem Moment löste ich aus: Die Musiker tanzen wie eine Notengruppe über den hellen Strand. Für mich schwingt in diesem Bild Zeitlosigkeit mit und Musik – in meinen Augen ist mir hier eine Visualisierung von Musik gelungen.

 

Hat sich Ihr Blick auf klassische Musik seither verändert?
Ich glaube nicht, dass sich mein fotografischer Blick auf die klassische Musik verändert hat, aber ich würde sagen, dass sie für mich über das Fotografieren greifbarer geworden ist. Ich habe als Kind und Jugendliche zwei Instrumente gespielt und im Chor gesungen. Aus meiner heutigen Sicht bin ich aber nie tief in die Welt der Musik eingetaucht.
Durch das Fotografieren öffnest du immer deine Kanäle und konzentrierst dich komplett auf das, was vor deiner Kamera passiert. Deine Energie ist also voll und ganz im Außen, in diesem Fall bei der Musik. Durch diese Öffnung erreichst du eine Sensibilität, die auch wieder nach innen abstrahlt und ich würde behaupten, manch klassisches Stück nun auf einer tieferen Ebene besser zu verstehen. Natürlich noch verstärkt durch die ständigen Wiederholungen einzelner musikalischer Passagen und Motive in den Probensituationen.

Warum haben Sie sich bei diesem Projekt erneut für Schwarz-Weiß entschieden?
Die Entscheidung lag nicht allein bei mir. Da auch Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen selbst die Bilder einsetzt, war das auch dessen Entscheidung. Das Orchester will als hochwertig, aber auch ungewöhnlich wahrgenommen werden, daher dieses Grundsatzvotum. Das kommt mir natürlich entgegen, da ich die meisten meiner Projekte in Schwarz-Weiß fotografiere. Zudem ist eine solche Entscheidung auch den Begebenheiten geschuldet. Schlechte Lichtverhältnisse im Backstage-Bereich, extreme Lichtsituationen auf der Bühne, die interessanten Formen der klassischen Instrumente und eine an Farben arme Umgebung ¬– nicht zuletzt die schwarz-weiße Konzertkleidung – sprechen für den Einsatz von Schwarz-Weiß als Stilmittel.

 

Welches Equipment haben Sie benutzt? Und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Die hier gezeigten Bilder aus den letzten Jahren sind mit der Leica SL und den Objektiven Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/24–90 ASPH. und dem Apo-Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/90–280 entstanden. Die beiden Objektive decken alles ab, was ich an Brennweiten in diesem Kontext benötige. Ich arbeite sonst immer mit Festbrennweiten und selten mit längeren als 90 mm; für die Aufnahmen während des Konzerts sind die Zoomobjektive aber notwendig, weil ich mich nicht im Raum bewegen kann und eine recht große Distanz zu überbrücken habe.
Was ich an der Leica SL großartig finde, ist der elektronische, lautlose Verschluss! Ich sitze ja während der Proben zwischen den Stühlen des Orchesters, da stört jedes noch so leise Geräusch. Während des Konzerts natürlich auch, das heißt mit dieser Kamera kann ich auch während der leisesten Passagen auslösen. In diesen Momenten sind die Gesichtsausdrücke oft am eindrücklichsten, daher empfinde ich die Kamera als große Bereicherung.

Leica SL2

Es ist Ihre Entscheidung.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Mein nächstes Projekt ist, angefangene Projekte zu beenden. Seit geraumer Zeit versuche ich, mich mit neuen Serien zurückzuhalten, da so viele interessante Projekte noch auf meinen Festplatten schlummern und auf ihren Abschluss warten. So will ich endlich mein anderes Langzeitprojekt, Badekulturen auf der ganzen Welt zu fotografieren, editieren und zu einem großen Buch und/oder einer Ausstellung zusammenzufassen. Das braucht Zeit und Muse – aber ich freue mich darauf, in mein Archiv abzutauchen! Denn abgeschlossene Projekte haben etwas ungemein Befriedigendes.

Julia Baier ist freischaffende Fotografin und lebt in Berlin. Neben Aufträgen für internationale Agenturen, Magazine und Zeitungen arbeitet sie an freien, fotografischen Themen. Wenn sie nicht mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unterwegs ist, gilt eine ihrer großen Vorlieben dem Wasser und Badekulturen weltweit. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet und in zahlreichen internationalen Ausstellungen gezeigt. Seit 2019 ist Baier Mitglied des internationalen Fotografenkollektivs UP Photographers.

Julia Baier © Marion Schade, 2019

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