Seit einigen Jahren ist die Bretagne nicht nur die neue Heimat des Fotografen Stéphane Lavoué, sondern auch das Thema einer komplexen Serie. Unter dem Titel Am Rande der Welt war er mit ihr bereits Finalist beim Leica Oskar Barnack Award 2018, in diesem Jahr erscheint die Serie nun als Buch und wird in Ausstellungen präsentiert. In Les Mois Noirs schafft Lavoué einen Kosmos von Bildern, die auf intime Weise das Leben und die Traditionen in dieser kargen und windgepeitschten Region illustrieren. Der Fotograf porträtierte seine Nachbarn, Landschaften und einzigartige Arbeitsstätten. Tradition und Gegenwart verweben sich in seiner Serie zu einem eindrucksvollen Profil der Region Pays Bigouden. Wir sprachen mit dem Fotografen über die Besonderheiten der Bretagne und seinen fotografischen Ansatz.

Sie haben Ihre neue Serie fast vor Ihrer eigenen Haustür gefunden, wie lange leben Sie schon in der Bretagne?

Ich lebe seit 2015 in Pointe de Penmarch, einer Gemeinde im Pays Bigouden im Südwesten des Departements Finistère.

Was hat Sie bewogen, in diese Region zu ziehen?

Nach 15 Jahren hatte ich genug von Paris, wo ich im Auftrag der nationalen und internationalen Presse gearbeitet habe. Ich wollte mich auf meine persönlichen Projekte konzentrieren. Meine Frau stammt aus diesem Dorf. Wir hatten bereits 2012 das Bild- und Ton-Projekt L’equipage in der Region realisiert.

Wie ist die Idee für Les Mois Noirs entstanden?

Ich habe Paris verlassen, um mein Verhältnis zur Fotografie zu ändern. Ich wollte mich mehr auf langfristige Projekte einlassen. In meinem neuen Umfeld habe ich mich zuerst mit der Fischerei-Industrie befasst. Ich wurde auch in das Projekt La France Vue d’Ici integriert, das von Images Singulières, dem besten französischen Fotofestival, in Sète gesteuert wird. (weitere Informationen: www.lafrancevuedici.fr)

Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an der Landschaft und den Menschen dort?

Die Landschaft ist rau, abgelegen und noch nicht vom Tourismus geprägt. Die Fischerei-Industrie hat hier noch große Bedeutung. Für die Serie habe ich jetzt den Titel Les Mois Noirs gewählt. Er lehnt sich an das Bretonische an: Der November heißt dort Miz Du, schwarzer Monat. Das bezieht sich auf den Beginn des Winters und das schlechte Wetter.

Wie gehen Sie bei den Porträts vor – wie wichtig sind die Orte, die Inszenierung, die Kleidung, die Requisiten?

Durch meine Frau bin ich ja mit einer einheimischen Familie verbunden. Das hat mir sehr geholfen, Zugang zu Orten und Menschen zu bekommen. Meine erste Anregung ist das Licht, Available Light. Es bestimmt den Ort und was ich vom Model möchte. Ich versuche auch, Objekte oder Kleidung, die auf unsere Zeit verweisen, im Bild zu vermeiden. Und manchmal, wenn ich mit einem geduldigen Model das richtige Licht an der richtigen Stelle finde, gelingt mir ein gutes Bild.

Ihren Porträts sieht man die kunsthistorischen Einflüsse an – welche Künstler haben Sie inspiriert? 

Es gibt keinen wirklich klaren Einfluss. Ich habe einen Abschluss als Holzingenieur. Aber ich bin in den 80er-Jahren in Berlin aufgewachsen. Meine Eltern zwangen meinen Bruder und mich, alle Wochenenden in Museen zu verbringen. Wir mochten es nicht, aber ich muss zugeben, dass das vielleicht zu meinem visuellen Empfinden beigetragen hat. Als ich mich im amerikanischen Sektor in Berlin herumtrieb, entdeckte ich gleichzeitig die Skateboard-Kultur und den Punk. Und, ehrlicherweise muss ich sagen, dass mir Jean Gaumys unglaubliches Werk über die Fischerei und das Meer immer im Gedächtnis geblieben ist.

 

Ihre Landschaften haben auch sehr starke malerische Aspekte – auf welche Weise erreichen sie das?

Landschaften sind für mich eine sehr schwierige Disziplin. Ich versuche, dem Bild eine dritte Dimension hinzuzufügen, ich würde es als eine Art Dicke bezeichnen. Ich habe viel Zeit mit den Großeltern meiner Frau verbracht. Sie haben mir viele erstaunliche Geschichten aus der früheren Welt der Fischer erzählt, der großen Zeit des Pays Bigouden. Meine Faszination dafür weckte in mir den Ehrgeiz, zeitlose Bilder zu schaffen.

Welche Ausrüstung haben Sie für die Erstellung der Serie verwendet?

Alle Aufnahmen wurden mit einer Leica M (Typ 240) und einem 35er- und 50er-Summilux-M gemacht.

Sie waren bereits zweimal Finalist beim Leica Oskar Barnack Award, 2018 und 2016 mit der Serie The Kingdom aus dem nordöstlichen Vermont – welche Bedeutung hatte die Teilnahme am LOBA für Sie?

Die Nominierungen waren hilfreich. Der LOBA hat dazu beigetragen, meine Arbeit weiter zu verbreiten.

Ist die Serie abgeschlossen oder arbeiten Sie noch daran?

Nein, es ist vollbracht! Mein neues Buch Les Mois Noirs erscheint im April 2020 bei Editions 77, im selben Verlag also wie mein letztes Buch The Kingdom. Gleichzeitig werden zwei wichtige Ausstellungen in zwei Museen in der Bretagne meine Arbeiten präsentieren: Le Port-Musée in Douarnenez (ab dem 10. April) und Les Champs Libres et Musée de Bretagne in Rennes (ab dem 2. Juni).

Vielen Dank und viel Glück bei der Buchveröffentlichung und allen weiteren Aktivitäten!

Stéphane Lavoué

Lavoué (www.stephanelavoue.fr) wurde 1976 in Mulhouse, Frankreich, geboren und arbeitete als Holzingenieur im brasilianischen Amazonasgebiet. Er fotografierte nur sporadisch. Es waren die Bilder von Sebastião Salgado, die ihn dazu brachten, die Fotografie zum Beruf zu machen. 2001 absolvierte er einen Kurs an der Pariser Fotografieschule Centre Iris und arbeitete danach für die nationale und internationale Presse. Seine Bilder wurden in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt.

2020 feiert der renommierte Leica Oskar Barnack Award sein 40-jähriges Jubiläum. Die Leica Camera AG möchte aus diesem Anlass das Prestige des Preises durch ein neues Einreichungsverfahren, das auf Nominierungen beruht, weiter steigern. Ausführliche Informationen zu den Nominierten und den Preisen finden Sie unter leica-oskar-barnack-award.com.