Auf Island gibt es nur noch wenige Fischer, und die kämpfen um ihr Überleben. Die deutsch-russische Fotografin Nanna Heitmann ist ihnen bei ihrer anstrengenden und nicht ungefährlichen Arbeit gefolgt. Im Gespräch berichtet sie, wie sie mithilfe einer „Euphorie-Adrenalinwolke“ in den Arbeitsmodus kommt, von der schwierigen Tätigkeit auf See und warum der Klimawandel sie immer wieder bei unterschiedlichen Projekten begleitet.

Was ist für Sie die größte Herausforderung beim Fotografieren?

Der Anfang – meine Komfortzone zu verlassen und mich mit aller Energie und Aufmerksamkeit in ein neues Projekt fallen zu lassen. Habe ich diesen Zustand erst einmal erreicht, ist es, als schwebte ich in einer Euphorie-Adrenalinwolke. Hinzu kommen natürlich die ständigen Zweifel an meiner Arbeit.

Mit Ihrer klaren und ruhigen Bildsprache gelingen Ihnen Reportagen, die gleichzeitig künstlerisch wirken. Welche Parameter sind Ihnen beim Fotografieren besonders wichtig?

Das Wichtigste ist wohl, ein enges Verhältnis zu den Menschen aufzubauen, die ich fotografiere. Aber Licht und Komposition sind auch sehr wichtig für mich. Ich komme aus der Kunst und die Malerei ist immer eine Inspiration für mich. Ich bearbeite nicht viel, nur in Camera Raw, aber bei digitalen Bildern ist es mir trotzdem wichtig, Tiefen und Lichter zu korrigieren und die Farben etwas anzupassen.

Wie sind Sie auf den Wandel der Fischindustrie in Island aufmerksam geworden?

Das war ein Auftrag für die „New York Times“.

Wann ist die Serie entstanden und wie haben Sie sich vorbereitet?

Im August 2019, in vier Tagen, darunter eine Nacht auf dem Fischkutter. Der Auftrag kam sehr spontan. Ich erstelle aber immer ein Moodboard im Vorfeld und recherchiere Orte, die möglicherweise interessant für die Geschichte sind. In diesem Fall habe ich den Großteil mit der Journalistin vor Ort koordiniert.

Welche Konsequenzen des Klimawandels machen den isländischen Fischern bereits jetzt zu schaffen?

Die Fische wandern immer weiter nördlich, da sich die Gewässer immer mehr erwärmen. So kommt es zu Spannungen zwischen verschieden Ländern. Fische, die zuvor etwa isländische Fischer gefischt haben, befinden sich nun immer mehr in grönländischen Gewässern. Die Fischer auf dem Boot, auf dem ich war, finden immer wieder Fische im Netz, die sie nie zuvor gesehen haben.

Sie haben bei der Serie unter anderem mit der Leica M10 gearbeitet, an Land und auf Booten. Welche speziellen Bedingungen herrschten dort?

Die Kamera musste vor dem Meerwasser geschützt werden, dazu benutzte ich eine Plastiktüte. Das Fokussieren war schwer, da man sich meistens mit einem Arm festhalten muss, da das Boot ordentlich durch den Sturm schwankt.

Mit welchen Objektiven sind Sie am besten gefahren?

Ich arbeite mit einem 35er und einem 50er. Letzteres ist ideal für Porträts und mein absolutes Lieblingsobjektiv. Auf dem Fischkutter war es aber eng, so dass ich auch viel mit dem 35er gearbeitet habe.

Sie haben für eine Reportage fotografiert, aber könnten Sie sich auch vorstellen oder wünschen Sie es sogar, dass Ihre Fotografie eine größere politische Dimension erreicht?

Ich denke, gerade in Kombination, mit dem wunderbaren und informativen Text von Kendra-Pierre Louis beleuchtet der Text einen wichtigen Aspekt des Klimawandels, der in den Medien wenig Beachtung findet und durch die „New York Times“ sicher eine weite Reichweite hat. Ich denke, Journalismus ist dafür da, Menschen zu informieren und ein Bewusstsein für eine Thematik zu schaffen. Ich hoffe natürlich, dass auch diese kleine Geschichte einen kleinen Teil dazu beigetragen hat.

Welche Erkenntnisse über Klimawandel oder Umweltschutz haben Sie aus dem Projekt mitgenommen?

Nach 14 Stunden auf dem Boot ist vor allem mein Respekt gegenüber den Fischern gewachsen. Die Arbeit ist unglaublich entbehrungsreich und gefährlich. Mit dieser Geschichte wurde mir noch mehr bewusst, wie sehr der Klimawandel uns bereits betrifft und nicht erst eine Bedrohung in ferner Zukunft darstellt, sondern hier und jetzt präsent ist.

Werden Sie das Thema Klimawandel weiterverfolgen?

Fast alle Auftragsarbeiten und persönlichen Projekte beschäftigen sich bewusst oder unbewusst mit dem Thema Klimawandel. Überall ist bemerkbar wie sehr sich das Klima verändert. Am Yenissei, wo ich an meinem Langzeitprojekt „Hiding from Baba Yaga“ arbeite, werden die Winter immer kürzer und wärmer. In diesem Sommer werde ich zum nördlichen Lauf des Yenissei reisen. Sterbende Zedernwälder, Waldbrände und illegale Waldrodung stellen immer mehr eine Bedrohung für die Existenz der Menschen im Norden dar, die von einer intakten Natur leben.

 

Bio

Die deutsch-russische Dokumentarfotografin Nanna Heitmann wurde 1994 in Ulm geboren. Sie studierte an der Hochschule Hannover Fotojournalismus und Dokumentarfotografie mit einem Auslandssemester in Tomsk, Sibirien. Ihre Arbeiten wurden bereits in der „New York Times“, der „Time“, „M Le Magazine du Monde“, „De Volkskrant“, im „Stern“ und der „Zeit“ veröffentlicht. Sie gewann diverse Auszeichnungen, darunter den Vogue Italia-Preis des PH-Museums für Fotografinnen und den World Report Award. 2019 war sie Preisträgerin Newcomer beim Leica Oskar Barnack Award. Im selben Jahr wurde sie Nominee bei Magnum Photos.

Weitere Arbeiten von Nanna Heitmann finden Sie auf ihrer Website www.nannaheitmann.com und auf Instagram @nannaheitmann

 

 

Porträt Nanna Heitmann: © Nanna Heitmann

Alle anderen Aufnahmen: © Nanna Heitmann für die „New York Times“

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