In ihrer Serie Places präsentiert Julia Gillard einen nostalgischen Blick auf die New Yorker Street Photography. Mit einem bemerkenswerten Blick für das Ungewöhnliche findet sie echte New Yorker Charaktere.

Ihre Aufnahmen haben eine nostalgische Anmutung und erinnern an das Werk von Klassikern wie Joel Meyerowitz. Ist das ein Zufall?
Nein, das ist Absicht. Danach halte ich Ausschau. Ich suche nach Menschen und Momenten, die zeitlich nur vage zuzuordnen sind. Ich möchte Bilder aufnehmen, die den Eindruck erwecken, sie seien nicht heute, sondern früher gemacht worden.
Hatten Sie eine fotografische Ausbildung oder sind Sie Autodidaktin?
Ich habe etwa als 20-Jährige mit dem Fotografieren begonnen. Zuerst fotografierte ich meine Freunde und die Orte, an die ich reiste – ein ziemlich typischer Anfang. Dann zog ich nach New York. Ich arbeitete nachts in einem Restaurant und verbrachte meine Tage damit, die Straßen und Viertel der Stadt mit meiner Kamera zu erkunden. Ich lief und lief. Ich interessierte mich nun viel mehr dafür, Fremde zu fotografieren als Freunde. Jahre später studierte ich zum ersten Mal Fotografie am International Center of Photography, aber es waren die ersten Jahre, in denen ich in New York lebte und durch die Stadt wanderte, in denen ich lernte, mit meiner Kamera zu sehen.

Nach welchen Motiven suchen Sie?
Das hängt vom Tag ab, aber im Allgemeinen suche ich nach Menschen. Ich suche nach Farbe und Form, etwas Gewöhnliches, das auch schön ist, etwas Lustiges, etwas Einsames, etwas Fröhliches, etwas Aufrichtiges.

Welcher Typ Mensch fällt Ihnen auf?
Ich fühle mich vor allem zu alten und jungen Menschen hingezogen, also zum Anfang und Ende des Lebensspektrums, wo es ein bisschen mehr Freiheit gibt, man selbst zu sein. Ich interessiere mich dafür, wie sie sich diese Personen durch den Tag bewegen und wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentieren.

Wie fangen Sie die entscheidenden Momente ein?
Indem ich gehe und schaue. Ich gehe viel zu Fuß. New York enttäuscht selten. Die Stadt ist ein Pfau. Alle sind hier, ein Menschenmeer, triumphierend und erdrückend zugleich. Die New Yorker Straßen sind ein Theater, eine nicht enden wollende Vorstellung.

Was macht New Yorkerinnen und New Yorker besonders?
New Yorkerinnen und New Yorker fühlen sich in der Öffentlichkeit wohl. Wir leben in einer extrovertierten Stadt und sind ein großherziger Menschenschlag.

Warum fotografieren Sie analog?
Weil ich finde, dass die Bilder besser aussehen. Mein Fokus liegt genauso stark, wenn nicht stärker, auf dem Akt des Schauens als auf dem Bild selbst. Eine Digitalkamera ist in vielerlei Hinsicht erstaunlich und hilfreich, aber für das Fotografieren auf der Straße, für meine täglichen Spaziergänge, funktioniert Film für mich besser. Ich kann mich besser mit dem Rhythmus der Stadt synchronisieren, wenn mir die Ablenkung durch den Blick auf das, was ich gerade aufgenommen habe, erspart bleibt. Die Verzögerung beim Betrachten der Aufnahme selbst ist für mich ein wichtiger Teil des Prozesses.

Die Leica. Gestern. Heute. Morgen.

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Warum Leica? Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrer M6 gemacht?
Meine erste Leica war eine M4, in die ich mich sofort verliebt hatte. Vor langen Jahren bekam ich eine M6, und auch das ist für mich eine ganz besondere Kamera. Sie ist klein, schnell und leise; sie erlaubt es mir, auf der Straße auf gutartige Art und Weise zu fotografieren. Die Leute scheinen mich nicht zu bemerken, das ist ein wichtiges Element für meine Art zu fotografieren und für die Bilder, die ich mache. Ich möchte unbemerkt bleiben. Ich will die Szenen, die ich sehe, nach Möglichkeit nicht stören und dafür ist die M6 perfekt geeignet.

Ist mit Places das Thema New York für Sie abgeschlossen oder machen Sie weiter?
Ich glaube nicht, dass ich jemals fertig werde, New York zu fotografieren. Es ist ein so besonderer Ort, der jeden Tag auf eine unerklärliche Weise wieder neu für mich ist, es ist unglaublich. Ich kann tausendmal durch einen Block gehen und tausend verschiedene Erfahrungen machen. Ironischerweise verstehe ich die Stadt jetzt als ein Tier, das sich ständig verändert und bewegt. Aber jetzt ist die Stadt still, die Stadt ist ruhig, schwer beladen von Trauer und Unsicherheit.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Ich bin gerade im Fotomagazin The Journal of Grievances vorgestellt worden, das im Verlag Antics Publications, New York und Bogotá, erscheint.

Julia Gillard
Die New Yorker Fotografin widmet sich der Street Photography mit dem Auge für offene Räume eines Menschen aus dem mittleren Westen der USA. Als Absolventin des Fotojournalismus- und Dokumentarstudienprogramms des International Center of Photography (ICP) wurden Gillards Arbeiten in der New York Historical Society, im ICP und im Brooklyn Museum ausgestellt. Ihre Fotografien wurden in der „New York Times“, der „Financial Times“, in „Mother Jones“ und „Photograph Magazine“ veröffentlicht. Gillard ist Gastkünstlerin am Bard College und an der St. John’s University und ist Fotoredakteurin des „Diner Journal“, einer unabhängigen Zeitschrift mit Originalkunst, Literatur und Rezepten. Sie können ihr auf Instagram folgen oder ihre Website besuchen.