Wahala zeigt dramatische Szenerien, so surreal wie aus einem Film – und doch sind es Situationen, die jeden einzelnen Menschen auf der Welt betreffen. Wir befinden uns in einem ökonomischen Wettlauf, den die Fotografien von Robin Hinsch unverblümt vor Augen führen. Im Interview erzählt der Hamburger Fotograf von der Arbeit im Niger-Delta, den Hindernissen, die es dabei zu überwinden galt und dem schmalen Grat zwischen dokumentarischer und assoziativer Bildsprache.

Bitte erzählen Sie uns, worum es in Ihrem Projekt geht.
Die Fotografien in Wahala hinterfragen unser Verhältnis zur Natur und Umwelt. Das Projekt ist eine Ursprungsanalyse. Woher kommen die Rohstoffe, die unsere globale Ökonomie befeuern? Woher kommt das Öl, das unsere Autos, Flugzeuge und Schiffe antreibt und somit essenziell für unsere globale Wirtschaft ist? In Wahala, wird ein System skizziert, das unter sich selbst ächzt und in den letzten 100 Jahren zu erheblichen Veränderungen auf unserem Planeten geführt hat – ein System, das sich nur noch durch totale Rohstoffausbeutung und soziale Skrupellosigkeit am Leben hält. Die Geschichte der Nutzung von fossilen Brennstoffen ist eine der Ausbeutung. Die heutige Situation ist eine Fortführung kolonialer Strukturen und Prozesse.
Mit dem Beginn der Ölförderung 1959 in Nigeria hätte die nationale Wirtschaft eigentlich einen Aufschwung nehmen müssen. Dieser blieb jedoch bis zum heutigen Tage aus. Der durch die internationalen Konzerne im Ausland generierte Wohlstand fließt nicht zurück ins Land. Bedingt durch die Anfälligkeit der nigerianischen Wirtschaft für Korruption kommt es zu schlecht durchgeführten Wartungsarbeiten, Unfällen und Diebstählen. So wird das einst vielfältige Ökosystem im Niger-Delta immer weiter ruiniert. Die unter diesen Umständen lebenden Menschen werden beinahe völlig allein gelassen. Deshalb bleibt vielen Nigerianern nichts anderes übrig, als selbst aktiv zu werden. So entwickelte sich aus anfänglichen kleinen Diebstählen eine eigene Ökonomie im Schatten der internationalen Konzerne. Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass sich die Situation sowohl ökologisch als auch sozial immer weiter verschlechtert.

Wann und warum haben Sie angefangen, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen?
Bisher hatte ich keine Arbeit fotografiert, die sich ganz gezielt und dezidiert ökologischen Fragestellungen widmet. Jedoch ist es für mich eine logische Konsequenz meiner bisherigen Arbeit, mich auch mit diesen Themen zu beschäftigen. Dieser Gedanke trieb mich schon länger um. Die Idee, im Niger-Delta zu arbeiten, entwickelte ich, nachdem mich der Choreograf Moritz Frischkorn gefragt hatte, ob ich an seinem neuen Stück The Great Report mitarbeiten würde. Er bat mich, ein Projekt zu entwickeln, das sich mit der Weltwirtschaft und der damit verbundenen Logistik auseinandersetzt.

Haben Sie sich an fotografischen Vorbildern orientiert?
Für dieses Projekt gab es keine speziellen Vorbilder. Aber Künstlerinnen und Künstler wie Yagazie Emezi, Akinbode Akinbiyi, George Osodi oder Teju Cole waren spannende Entdeckungen während der Recherche.

Wie würden Sie Ihre fotografische Herangehensweise bei diesem Projekt beschreiben?
Generell interessiere ich mich dafür, die Verhältnisse zwischen dem dokumentarischen Bild und der Funktion eines Bildes als Ideenträger auszuloten: Inwieweit kann ich ein dokumentarisches Bild abstrahieren, sodass es immer noch Informationsträger bleibt, und inwieweit kann eine atmosphärische, assoziative Fotografie dokumentarisch sein. In diesem Punkt erscheint Wahala vermutlich als eine Fortführung meiner bisherigen Arbeit.

Welche größeren Herausforderungen waren bei diesem Projekt zu stemmen?
Für die Arbeit in Nigeria galt es einige Hürden zu nehmen. Zum einen bürokratische, wie das passende Journalistenvisum und Arbeitsgenehmigungen. Aber auch die Recherche war sehr intensiv. Man darf nicht vergessen, dass bewaffnete Unruhen im Norden und Süden keine Seltenheit sind. Im Niger-Delta gibt es seit Jahrzehnten militante Gruppen, die versuchen, die Ölindustrie zu sabotieren. Häufig kommt es zu Entführungen. Ohne Fyneface Dumnamene Fyneface, ein Aktivist aus Port Harcourt, wäre vieles nicht möglich gewesen.

Denken Sie, dass Fotografie generell ein Stück weit politisch ist oder sein sollte?
Fotografie ist an sich politisch. Daran besteht für mich kein Zweifel. Daher sollte Fotografie sich auch immer wieder damit beschäftigen, bestehende Verhältnisse anzuzweifeln und infrage zu stellen.

Gibt es bereits Reaktionen auf dieses Projekt?
Leider, aber das war auch nicht zu erwarten, gab es bisher keine direkten Reaktionen auf die Arbeit. Aber das wäre auch vermessen zu glauben. Ich hoffe und glaube daran, dass es vielleicht die eine oder den anderen dazu bewegt, darüber nachzudenken, wie sie in der Zukunft mit fossilen Brennstoffen umgehen wollen. Das Projekt wurde allerdings bereits im Guardian und im Magazin FuturZwei veröffentlicht und in verschiedenen Ausstellungen gezeigt. Darüber hinaus wurde die Arbeit u. a. mit dem International Photography Grant und dem Sony World Photography Award in der Kategorie Environment ausgezeichnet.

Was hat Sie dieses Projekt persönlich gelehrt?
Dass wir uns noch viel mehr und energischer mit unserer Umwelt auseinandersetzen müssen.

Inwiefern hat die M10 Ihnen dabei geholfen, Ihre Zielsetzungen zu verwirklichen?
Gerade wenn man viel unterwegs ist, nicht viel mitnehmen kann und etwas Zurückhaltung gefragt ist, ist die Leica eine ausgezeichnete Begleiterin.

Robin Hinsch studierte Fotografie in Karlsruhe, Hannover und Hamburg und schloss sein Studium mit einem Master in Fotografie an der HAW Hamburg ab. Seit 2014 arbeitet er selbstständig als Fotograf für internationale Magazine und Zeitungen wie The Guardian, Der Spiegel, Sunday Times Magazine, Die Zeit oder das SZ Magazin. Darüber hinaus wurden seine Arbeiten, die in Ländern wie Syrien, Nigeria, China oder der Ukraine entstanden sind, international ausgestellt und vielfach ausgezeichnet. Seit 2016 ist Robin Hinsch berufenes Mitglied der Deutschen Fotografischen Akademie. 2017 gründete er den Ausstellungsraum Studio 45 in Hamburg und kuratiert dort eine Ausstellungsreihe, die sich der Förderung junger internationaler Fotografie verschrieben hat. Weitere Informationen finden Sie auf seiner Webseite und seinem Instagram-Kanal.