Er ist ein Meister des „Schnappschuss-Porträts“: Mit großem Einfühlungsvermögen und Sensibilität gegenüber seinen Protagonisten erkundet Herbie Yamaguchi die Straßen auf der Suche nach den erfreulichen Momenten des Lebens – flüchtige Schätze, die er mit einer Leica M10 Monochrom festhält. Im Interview spricht der japanische Fotograf über Kommunikation, die von Herzen kommt, die Methode bei seinen Schnappschuss-Porträts und warum er in Schwarzweiß fotografiert.

Herr Yamaguchi, was hat Sie überhaupt dazu gebracht, andere Menschen zu fotografieren?
Eine Erfahrung, die ich gemacht habe, als ich noch ein Teenager war. Es gab diesen Moment, in dem ich spürte, dass der Ausdruck von Freude und Entzücken auf den Gesichtern der Menschen, das Leuchten und Funkeln in ihren Augen, einfach eine schöne Sache ist. Natürlich können menschliche Reaktionen auch beängstigend sein, aber auch das fasziniert mich. Ich wollte schon immer die Emotionen der Menschen einfangen.

Gab oder gibt es Fotografen, di eine besondere Bedeutung für sie haben?
Henri Cartier-Bresson, Bruce Davidson und Josef Koudelka, um nur drei zu nennen – aber es gibt noch viele andere.

Ihre Bilder sind voller Freude und positiver Momente. Wie stoßen Sie darauf – oder stoßen diese Momente auf Sie?
Wir alle benutzen Sprache, Mimik und Gestik, um zu kommunizieren. Aber ich glaube auch an einen Energieaustausch zwischen Individuen, an eine „Kommunikation der Herzen“, wenn Sie so wollen. Wenn ich Menschen fotografiere, stelle ich sie mir immer glücklich und in einer positiven Stimmung vor, bevor ich langsam und liebevoll den Auslöser drücke. Ich glaube, dass es möglich ist, dass diese Gefühle übertragen werden und sich im Bild widerspiegeln.

Könnten Ihre Bilder sprechen, was würden sie dem Betrachter erzählen?
Das hinge von der Perspektive des Betrachters ab. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass das Wichtigste im Leben Hoffnungen, Träume und freudige Momente sind. Deshalb möchte ich, dass meine Bilder diese Art von Positivität vermitteln. Als Kind wurde ich über ein Jahrzehnt lang wegen einer mit Tuberkulose zusammenhängenden Wirbelsäulenerkrankung behandelt, sodass ich nicht auf eine Kindheit voller Hoffnungen, Träume oder Freude zurückblicken kann. Ich denke, das ist der Grund, warum genau das ein wichtiges Thema in meiner Arbeit geworden ist.

Bitte erklären Sie uns, was Sie unter „Schnappschuss-Porträts“ verstehen.
Ich verwende eine Methode, die Schnappschuss- und Porträttechniken kombiniert. Der Realismus schneller, beiläufiger Schnappschüsse kombiniert mit der stärker kontrollierten Natur von Porträts führt zu eindrucksvolleren Bildern.

Man könnte sagen, dass Farbaufnahmen viel schneller und leichter positive Stimmungen erzeugen als Schwarzweiß-Bilder. Dennoch haben Sie sich für Schwarzweiß entschieden.
Mir gefällt die Ausdruckskraft von Schwarzweiß. Monochrome künstlerische Ausdrucksformen sind nicht auf die Fotografie beschränkt. Denken Sie zum Beispiel an traditionelle Formen der bildenden Kunst wie „sumi-e“ (asiatische Tuschemalerei), Marmorskulpturen oder Japans traditionelle „Hagi-yaki“-Töpferei. Das Fehlen von Farbe regt die Vorstellungskraft an und ermöglicht es dem Künstler, den Blick des Betrachters auf die Komposition des Bildes, das Spiel von Licht und Schatten, die Form und Textur des Objekts zu lenken.

Sie haben ein Jahrzehnt lang in London gelebt. Unterscheidet sich Street Photography in London von der in Ihrer Heimatstadt Tokio?
Ob Straßenfotografie einfach oder schwierig ist, hängt davon ab, inwieweit die Menschen an einem bestimmten Ort mit der Fotografie als Kunstform vertraut sind. Und manchmal ist es von Vorteil, Ausländer zu sein. Natürlich werden Sie Menschen begegnen, die sich gerne fotografieren lassen, und Menschen, die sich weigern, sodass im Grunde genommen kein großer Unterschied besteht. Was ich jedoch über Tokio sagen kann, ist, dass das Fotografieren an öffentlichen Orten heute, da die Rechte auf Privatsphäre und das eigene Porträt dort zunehmend anerkannt werden, etwas schwieriger ist als früher.

Was hat Ihnen an der Arbeit mit der M10 Monochrom am besten gefallen?
Ich bin ein langjähriger Nutzer der Leica M3, und was ich an dieser Kamera immer geschätzt habe, ist ihr angenehmes Gefühl in der Hand. Das Gehäuse der Leica M10 Monochrom fühlt sich sehr ähnlich an, sie besitzt die gleiche angenehme Haptik, sodass ich damit keinerlei Probleme hatte. Mir gefällt auch der nahezu geräuschlose Verschluss der M10 Monochrom, ein Feature, das Leica mit der M10-P eingeführt hat. Manche sagen, dass ein 40-Megapixel-Sensor in einer dedizierten Monochrom-Kamera effektiv eine Auflösung liefert, die der dreifachen Pixelzahl entspricht. Ich bin daher zuversichtlich, dass ich mit der M10 Monochrom jedes Detail, das ich sehe, einfangen kann.

Welche Tipps gäben Sie jungen Fotografen, die in der Steet und Porträtfotografie erfolgreich sein wollen?
Sei dir klar darüber, was der Betrachter sehen soll. Eine einzigartige Perspektive und Methode definieren dich als Fotograf. Anders ausgedrückt, man muss wissen, was man fotografieren möchte, sein Thema definieren und entscheiden, wie man es fotografieren möchte. Und übe: fotografieren, fotografieren und dann noch etwas mehr. Wenn man diese Entschlossenheit und Hingabe nicht besitzt, dürfte es schwierig sein, weiterzumachen. Glaub an dich und bleib engagiert. Ein Rat, den ich Berufsanfängern oft gebe, ist der, mit etwas zu experimentieren, das sich zwischen Objektiv und Motiv befindet, beispielsweise ein durchsichtiger Vorhang oder die Lichtreflexion einer Glasoberfläche. Das führt zu unerwarteten, kreativen Bildern. Was ich jungen Kollegen aber wirklich zu vermitteln versuche, ist, dass der eigentliche Draht zwischen dem Objektiv und dem Motiv das Herz des Fotografen ist.

Gibt es noch etwas anderes, was Sie erreichen möchten?
Ich möchte das Ausmaß meiner internationalen Aktivitäten erweitern und mehr mit Galerien und Medien in Übersee zusammenarbeiten. Da ich auch als Essayist, Lyriker und Moderator von Radiosendungen aktiv bin, möchte ich diese Plattformen künftig nutzen, um den Spaß und die Freude an der Fotografie möglichst vielen Menschen zu vermitteln.

Leica M

The Leica. Yesterday. Today. Tomorrow.

Herbie Yamaguchi, 1950 in Tokio geboren, begann zu fotografieren, als er in seinem zweiten Jahr in der Mittelstufe dem Foto-Klub der Schule beitrat. Nach seinem Universitätsabschluss 1973 zog er nach London und lebte und arbeitete dort das nächste Jahrzehnt. Er trat einer von Japanern geführten Theatertruppe bei, stand als Schauspieler auf der Bühne und bewegte sich in der aufkeimenden Punk- und New-Wave-Szene. Die zweite Hälfte der 1970er-Jahre war eine spannende Zeit in London und Yamaguchis ikonische Fotografien aus diesen Jahren, darunter spontane Schnappschüsse seines damaligen Mitbewohners George – der später als Boy George bekannt werden sollte – wurden hoch gelobt. Heute lebt er wieder in Japan, wo er weiter mit prominenten Künstlern zusammenarbeitet, seine Schwarzweiß-Kollektion ausbaut und weiter „Schnappschuss-Porträts“ von „normalen“ Menschen aufnimmt. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Herbie Yamaguchi auf seiner Website.