Ausgerüstet mit seiner Leica M (Typ 240) dokumentiert Cris Toala Olivares unberechenbare Vulkane ebenso wie die gezähmte Geometrie der Zivilisation. Im Interview spricht er über die Fotografie als Intuition, über die Kraft der Natur und darüber, warum er der Meinung ist, dass der Andenkondor eine wichtige Rolle spielt.

Was war der Wendepunkt in Ihrem Leben, der Sie dazu bewogen hat, Fotograf zu werden?
Im Jahr 2009 beschloss ich während eines Aufenthalts im Gazastreifen, den Beruf zu wechseln. Bei meiner Arbeit als Freiwilliger in einem Krankenhaus hatte ich meine Leidenschaft für die Fotografie entdeckt. Ich traf einen Jungen, der an Leukämie litt. Er versuchte, die Grenze zu überqueren, um die Krankheit behandeln zu lassen. Ein Polizeibeamter hielt ihn an und bewegte seinen Zeigefinger von rechts nach links, genau wie gegenüber einem Kind, das gerade etwas falsch gemacht oder nicht zugehört hat. In diesem Moment machte ich ein Foto. Eine libanesische Zeitung hat es veröffentlicht und das Rote Kreuz hat es gesehen. Die Organisation nahm Kontakt zu mir auf und bat um Angaben zu dem Jungen, um sicherzustellen, dass er die Grenze überqueren und die notwendige Hilfe erhalten konnte. Mir wurde klar, dass ich durch ein Foto in der Lage war, einem Jungen eine Stimme zu geben, um den sich niemand zu kümmern schien.

Sehen Sie jetzt eine Beziehung zwischen Medizin und Fotografie?
Ich hatte Medizin studiert, um Menschen zu helfen. Leider musste ich schnell feststellen, dass man eine Menge Papierkram erledigen muss, weil man sich gegenüber mehreren Parteien, etwa Versicherungsgesellschaften, rechtfertigen muss. Man verbringt mehr Zeit damit, Formulare auszufüllen, als Menschen tatsächlich zu helfen. Meine Kamera ist ein Werkzeug, mit dem ich versuche, Menschen zu helfen und sie zu stärken – ohne den ganzen Papierkram. Für mich ist Fotografie Intuition. Meine Kamera ist lediglich eine Erweiterung meiner selbst. Ich widme mich meinen Geschichten mit Herz und Seele, damit die Menschen und ihre Geschichten ein Teil von mir werden.

Warum haben Sie sich für Farbfotografie entschieden?
Ich bin in Ecuador geboren, ein Land voller Farben. Als ich aufwuchs, hat mich das Amazonasgebiet fasziniert: die verschiedenen Grüntöne der Bäume, die leuchtenden Farben der Blumen und die beeindruckende Vielfalt der Vögel und ihres bunten Gefieders. Farbe ist für mich Natur, Farbe ist ein Teil von mir.

Viele Ihrer Bilder sind aus der Vogelperspektive aufgenommen. Wie kam es dazu und wie setzen Sie diese Aufnahmen technisch um?
Inspiriert hat mich der Andenkondor. Ich habe ihn oft als Kind beobachtet, wenn wir auf Familienausflügen Thermalquellen besuchten. Ich sah, wie die Vögel über uns kreisten. Oft waren sie ganz nah, und ich bemerkte, wie sie ihre Köpfe zeigten. Ich fragte mich immer, was sie wohl sahen. Später, als professioneller Fotograf, hatte ich die Gelegenheit, mit George Steinmetz zu arbeiten. Als ich das erste Mal mit ihm flog, konnte ich der Faszination meiner Kindheit auf den Grund gehen. Ich mag die Art und Weise, wie das Fliegen allem eine andere Perspektive verleiht. Fliegen ist für mich ein Werkzeug. Manchmal nützt eine andere Sicht. Je nach Bedarf wechsle ich zwischen Hubschraubern, Flugzeugen und Drohnen.

Sie konzentrieren sich hauptsächlich auf Natur und (Stadt-)Landschaften. Was bedeutet Natur für Sie – und wie steht es mit der Zivilisation?
Ich interessiere mich für die Beziehung, die Menschen zu ihrer Umwelt haben und wie sie mit ihrem Lebensraum koexistieren. Das habe ich in städtischen Umgebungen beobachtet und dokumentiert, in urbanen Landschaften, aber auch an Orten, an denen Menschen in der Natur leben, etwa in der Umgebung aktiver Vulkane oder in der nordeuropäischen Wattenmeer-Gezeiten-Zone. Sind Menschen der Natur nahe, sehe ich, wie sie einen tiefen Respekt vor ihr entwickeln. In diesen unsicheren Zeiten der Corona-Pandemie wird mir mehr denn je bewusst, dass die, die mit der Erde verbunden sind, uns Wertvolles lehren können. Wir alle sind von der Erde abhängig. In dieser Zeit können wir mit neuen Emotionen und Ideen darüber nachdenken, wie wir auf diesem Planeten leben wollen.

Wie beschreiben Sie Ihren fotografischen Ansatz?
Der Schlüssel heißt Respekt. Wenn ich meine Geschichten verfolge, muss das meine wesentliche Emotion sein. Ich muss mein Thema respektieren, um es in seiner ganzen Schönheit einzufangen. Ich versuche, die Geschichte, die ich erzähle, zu fühlen, mich mit ihr zu verbinden und dann das, was ich erlebe, in meinen Bildern wiederzugeben. Durch meine Herangehensweise bleibe ich weit genug auf Distanz, um von meinen Themen fasziniert zu sein, und bin doch so nah dran, um sie tiefgreifend zu verstehen.

Sie sind in der ganzen Welt unterwegs, was hat Sie am stärksten beeindruckt?
Als ich im Februar 2014 Zeuge des Ausbruchs des Vulkans Tungurahua in Ecuador wurde, ein Naturereignis von enormer Wucht. Vulkane repräsentieren für mich die Kraft der Natur unseres Planeten. Während des Ausbruchs des Cotopaxi im Jahr 2015 war ich bei den Menschen, die an den Hängen des Vulkans leben. Wegen des bedrohlichen Ausbruchs waren sie gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie schienen allerdings weniger die Zerstörung all dessen, wofür sie gearbeitet hatten, zu befürchten, sondern waren eher verzweifelt darüber, dass sie ihren geliebten Vulkan verlassen mussten. Ihre Verbindung mit dem Berg lehrte mich viel über unsere Verbindung zur Natur. Das ist es, was mich zum Reisen inspiriert: Menschen zu treffen, die das Wissen und die Weisheit besitzen, mich mehr über unser Leben auf diesem Planeten zu lehren.

Sie fotografieren auch aktive Vulkane mit erstaunlichen Ergebnissen. Waren Sie schon einmal in einer gefährlichen Situation?
Im Jahr 2019 besuchte ich den 3046 Meter hohen Gunung Agung in Indonesien. Ich hielt mich in Pura Besakih auf, dem größten und heiligsten Hindu-Tempel auf Bali. Er liegt an einem Hang des „Großen Bergs“. Die Bewohner von Pura Besakih wussten, dass ich auf der Suche nach diesem einen Foto war, und schlugen mir eine Pilgerreise zum Gipfel des Agung vor. Es war eine höllische, sechsstündige Klettertour entlang der Bergkämme. Ich bezeichne jedoch keine meiner Reisen als „gefährlich“. Viele Menschen, die sich entschließen, einen Vulkan zu besteigen, machen das in einem Rausch von Energie und zu viel Selbstvertrauen. Das kann gefährlich werden. Ich klettere, fliege oder unternehme nichts, bevor ich nicht mit Menschen in Verbindung stehe, die wirklich wissen, womit wir es zu tun haben. So kann ich mich darauf konzentrieren, die besten Bilder zu machen, ohne mir allzu viele Sorgen machen zu müssen. Natürlich ist das Leben ein Risiko, und an besondere Orte zu gehen, bringt besondere Risiken mit sich.

Haben Sie Idole, die Sie beeinflusst haben?
Zu meinen Mentoren kann ich Jan Six van Hillegom zählen, den Besitzer einer der größten Sammlungen von Rembrandt-Gemälden auf der Welt, der mich über das Licht und die niederländischen Meister unterrichtet hat. Dann ist da noch George Steinmetz, ein Fotograf aus den USA, der sich auf Luftaufnahmen spezialisiert hat und der mir während einer Zusammenarbeit in den Niederlanden viel von seinem Wissen vermittelt hat. Wichtig für mich ist auch Max de Jong. Max ist ein Kenner der Fotografie. Er regt mich oft dazu an, meine Arbeiten mit den Augen eines anderen zu betrachten; das mir hilft zu verstehen, wie ich mein Handwerk weiterentwickeln und verbessern kann. Und natürlich meine Frau Alice Wielinga, eine große Künstlerin mit einem völlig anderen Stil als ich ihn habe. Wegen dieses Unterschieds sind wir in der Lage, uns ständig gegenseitig zu inspirieren, um neue Ideen für unsere Projekte zu entwickeln.

Welche Art von Ausrüstung haben Sie benutzt?
Ich verwende die Leica M (Typ 240) mit dem Summicron-M 1:2/35 ASPH. und dem Summilux-M 1:1.4/50 ASPH. Ich habe noch nie, und ich wiederhole, noch nie in irgendeiner Situation Probleme mit meinen Leicas gehabt. Das ist der Hauptgrund, warum ich sie verwende. Sie sind wie eine Verlängerung meiner selbst. Ich kann sie intuitiv nutzen, ohne darüber nachdenken oder auf die Kamera schauen zu müssen.

Cris Toala Olivares wurde 1982 in Manta, Ecuador, geboren. Er studierte Medizin in den Niederlanden, bevor er zur Fotografie wechselte. Für seine erste Kamera verkaufte er seine Gitarre. Toalas Bilder wurden unter anderem in „Geo“ und „National Geographic“ veröffentlicht. Weitere Informationen über seine Fotografie finden Sie auf seiner Website und seinem Instagram-Kanal.

Leica M

The Leica. Yesterday. Today. Tomorrow.