Wie sind Sie auf die Katze gekommen?
Ich habe in St. Petersburg an einer Waffenmesse teilgenommen, um dort für ein anderes Projekt zu fotografieren. Eines Tages auf dem Hinweg habe ich in einem Hinterhof Katzen auf einem Auto schlafen sehen. Sie haben sofort meine Neugier geweckt, sie waren ein spannender Kontrast zu den Menschen auf der Messe – Geschäftsleute in Anzügen, nicht besonders sympathisch. Ich fotografiere seit vielen Jahren Tiere, und als die Katzen aufwachten, schauten sie mich so witzig an. Ich finde, dass Katzen interessante Charaktere sind. Ich habe sie weiter verfolgt, auch wenn ich oft überhaupt nicht wusste, wo ich am Ende lande – weder an welchem Ort noch mit dem Projekt.

Was fasziniert Sie an der Tierfotografie?
In meinem Fotografiestudium habe ich meine Abschlussarbeit über die deutsche Milchkuh gemacht. Die Idee dazu kam mir auf einer Landwirtschaftsmesse, als ich eine Kuh an mehrere Schläuche gebunden sah, was mich an die Matrix Filme erinnerte. Ich denke, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem Tier und dem Ort, wo es lebt. Eine Beziehung zwischen Tier und Mensch, und die von ihm erschaffene Welt. Das ist das, was mich daran reizt.

Was sagen die Straßenkatzen über die Orte aus, an denen sie leben?
Ich habe versucht, auf meinen Bildern eine Mischung aus Katzenwelt und Stadt zu zeigen. Ich führe den Betrachter an Orte, die in keinem Reiseführer sind, oftmals unschöne Ecken, die typisch sind für Straßenkatzen. Auch der Mensch spielt eine Rolle darin, selbst wenn er auf den Fotografien nicht sichtbar ist. Aber da ist zum Beispiel ein Futternapf, den jemand hingestellt hat. Es gibt also Menschen, die sich um die Tiere kümmern, meistens sind es ältere oder solche, die selber nicht viel haben.

In welchen Städten waren Sie, und welche Erfahrung haben Sie dort mit dem Umgang mit den Tieren gemacht?
Bisher war ich in St. Petersburg, Atlantic City und Bangkok. Ich muss sagen, dass ich in allen drei Städten die gleichen Erfahrungen gemacht habe, eben dass Straßenkatzen dort vorhanden sind, und zum großen Teil akzeptiert werden. Es gibt Katzen-Iglos, Katzen-Hotels, Katzen-Vereine, einfach Menschen, die helfen. Es existiert das Bewusstsein, dass die Katzen zu der Stadt gehören. Da stehen eine Hütte aus Holz, eine Bifi als Snack, eine Schale mit Milch. Die Katze ist ein weltweit verbindendes Tier, das geliebt wird, auch wenn nicht jede so süß wie die auf dem Kühlschrankmagneten ist. Und übrigens: In der berühmten Eremitage in St. Petersburg sind es Katzen, die im Keller die Kunstwerke bewachen und die Ratten vertreiben…

Wie sind Sie den Tieren so nahe gekommen, dass sie für Sie „posierten“?
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Katzen mich mögen. Ich habe zuerst versucht, mit ihnen zu kommunizieren, verschiedene Geräusche gemacht. Und dann habe ich mich sozusagen auf ihre Ebene begeben, ihre Perspektive eingenommen. Sie mit einem Blick von oben zu betrachten, wäre für mich falsch gewesen.

Wie hat Ihnen die Leica S (Typ 007) bei diesem Projekt geholfen?
Zuerst einmal fand ich es verführerisch, eine Kamera, die für Fashion- und Werbefotografie bekannt ist, für ein Projekt wie Straßenkatzen zu verwenden. Diese Tiere leben ja quasi ganz unten in der Gesellschaft, und bekommen durch so eine Kamera plötzlich Glamour verliehen. Besonders gut war für mich natürlich die Haptik und die Möglichkeit, Details scharf und klar zu erfassen. Durch die Farbintensität bekommen die Katzen fast schon eine majestätische Aura.

Leica S

The best tool.

Ihre Bilder bestechen durch Helligkeit und Kontrast…
Ich habe die Katzen stark angeblitzt, weil ich sie aus ihrer zumeist trüben Alltäglichkeit herausholen wollte. So erinnert der Look der Bilder eher an Mode- oder Werbefotografie, sie wirken knalliger, radikaler, weniger kitschig. Der Fotograf Bruce Gilden hat diesen Stil in seinen Close-Up-Porträts verwendet, ich finde ihn effektvoll – und auch schockierend. Im Gegensatz zu seinen Aufnahmen aber habe ich noch die Umgebung eingefangen, viele Bilder zeigen auch gar keine Tiere.


Was ist Ihnen in der Fotografie allgemein wichtig?

Thematisch interessiere ich mich für gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Fragen und deren Zusammenhänge. Oftmals sind es Ungerechtigkeiten, die mich zu einem Projekt führen, oder aber Themen, die noch nicht so oft behandelt wurden. Wichtig ist, dass ich selbst spannend finde, was ich mache, nur so kann ich mich auch motivieren, Geld spielt da erst einmal keine große Rolle. Ich habe den Anspruch, etwas umzusetzen, das gute Qualität, Inhalt und Seele besitzt. Das gleichsam etwas bieten kann für die Augen und für das Herz.

1986 in St. Petersburg geboren, wuchs Nikita Teryoshin in Dortmund auf, wo er an der Fachhochschule einen Bachelor-Abschluss erwarb. Neben verschiedenen persönlichen Projekten ist er ein gefragter Presse- und Magazinfotograf, der regelmäßig in „Spiegel“, „Zeit“ und „Vice“ veröffentlicht. Er hat eine Reihe renommierter Fotografiepreise erhalten – zuletzt 2020 einen World Press Photo Award. Erfahren Sie mehr über Nikita Teryoshins Fotografie auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal. Er publiziert die Serie jetzt auch als Magazin. Die erste Ausgabe befasst sich mit den Katzen in St. Petersburg. Die Serie ist auch in der LFI 6/2020 erschienen.