Wie bist Du zur Fotografie gekommen? Welcher Punkt in Deiner Biografie hat Dich dazu gebracht?
Ich fotografiere noch nicht wirklich lange. Vor knapp drei Jahren habe ich zum ersten Mal eine Kamera zur Hand genommen und angefangen, meine Umgebung im Alltag festzuhalten. Damals war ich noch in Vollzeit bei einem Modelabel angestellt, bei dem ich als Stylist und Webshop-Betreuer gearbeitet habe. Nach vielen Jahren in diversen Anstellungen und emotional sehr intensiven Zeiten kam der Burnout. Schleichend, nicht wirklich präsent und deshalb auch schwierig zu akzeptieren. In dieser Zeit habe ich angefangen, eine Kamera bei mir zu tragen, plötzlich war sie mein täglicher Begleiter und ich habe gemerkt, dass ich mich hinter dem Sucher beruhigen konnte. Knapp ein Jahr später habe ich den Entschluss gefasst, meinen Job aufzugeben und bin nun selbstständiger Fotograf.
Was möchtest Du mit Deiner Arbeit erreichen?
Auf der einen Seite fotografiere ich, da es mich beruhigt. Es schenkt mir Freiheit in meinen Gedanken. Es ist ein fortlaufender Prozess in meinem Leben. Bei den hier gezeigten Arbeiten ist es mein Ziel, mit meiner autodidaktischen, teils naiven Herangehensweise, unmissverständliche Situationen aufzuzeigen. Ich möchte den Betrachter in den Bann ziehen, ihn aufrütteln und ihm so die Möglichkeit geben, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die in seinem täglichen Leben vielleicht nicht stattfinden. Ich habe auch den Anspruch an mich selbst, die Menschen vor meiner Kamera niemals bloßzustellen. Empathie und Respekt haben für mich oberste Priorität.
Dein freies Projekt unterscheidet sich sehr von der Fotografie, die Du sonst präsentierst. Wie schaffst Du diesen Spagat?
Das hier gezeigte Projekt ist fortlaufend und wird ganz sicher für viele weitere Jahre Bestandteil meiner Fotografie und meines Lebens sein. Viele dieser Fotografien wurden bereits publiziert, ausgestellt und in Vorträgen gezeigt. Diese Arbeiten waren mein Start in die Welt der Fotografie. Da ich aber noch neu im Geschäft bin, kommen natürlich weitere Dinge hinzu. Ich möchte vieles kennenlernen und eintauchen in Landschaften, Porträts und Architektur. Ich möchte Lichtsetzung beherrschen und im Studio fotografieren. Von daher probiere ich mich aus. Ich möchte mich nicht einschränken, denn dafür ist die Fotografie viel zu breit gefächert und zu schön. Meine Stärke sehe ich jedoch in Reportagen und Porträts. Von daher wird weiterhin der Spagat geübt und flexibel gearbeitet.
Welche war Deine erste Leica Kamera? Wie bist Du auf Leica gekommen?
Meine erste Leica Kamera war die Leica M10. Heute fotografiere ausschließlich mit der Leica M10 und analog mit einer Leica M4-P. Ich wurde vom Kölner Fotografen Ben Hammer darauf hingewiesen, dass dieses manuelle System für mich und meine Arbeit die beste Kombination darstellen würde. Ben ist für mich ganz sicher der wichtigste Faktor innerhalb meiner Fotografie. Einerseits als Inspirationsquelle, andererseits als Ideengeber, Kritiker und Befürworter und sicher auch als Mentor. Meine erste Ausstellung im Jahr 2019 war mit Ihm zusammen. Damals kamen knapp 600 Menschen zur Vernissage und wir haben einen tollen Spendenumsatz für den Kölner Sozialdienst erwirtschaften können.
Wie bist Du an die Menschen herangekommen? Wie schaffst Du es, nicht in einen voyeuristischen Blick zu rutschen?
Kommunikation ist wichtig. Vertrauen noch wichtiger. Meine Bilder stellen niemanden bloß, sie zeigen Leid, Wut, Verzweiflung. Sie zeigen aber auch Freude und den Alltag. Was sie sicherlich nicht direkt zeigen, sind die Freundschaften, die ich über die zwei Jahre zu den Menschen entwickelt habe. Ich bin so ziemlich jeden Tag bei ihnen. Mal länger, mal kürzer. Wir reden, wir lachen, wir haben aber auch kritische Gespräche. Sie vertrauen mir und ich vertraue ihnen. Auf dieser Basis können wir zusammenarbeiten. Ich fotografiere nicht jedes Mal. Eher selten sogar. Wenn ich es aber tue, dann gibt es eine gemeinsame Akzeptanz. Aus diesem Grund findet dort auch kein Voyeurismus statt, sondern es sind Porträts und Momentaufnahmen ihres Alltags. Es gibt auf beiden Seiten klare Grenzen, die wir nicht überschreiten.
Gibt es zukünftige Projekte, die Du ankündigen willst?
Aktuell begleite ich vier MMA-Kämpfer (Mixed Martial Arts) auf dem Weg in die Arena und zeige ihre mentale und physische Vorbereitung. Es ist sehr spannend diese intensiven Momente mit der M festzuhalten. Es ist einerseits sehr explosiv, aber es herrscht auch Ruhe. Die Vielfalt der Emotionen ist absolut überwältigend.
Sebastian Traegner
geboren im Rheinland, wohnt in Köln und arbeitet als selbstständiger Fotograf.
Mehr über ihn und seine Fotografie kann man auf seiner
Website und seinem Instagram-Kanal erfahren.
Kommentare (0)