Wir treffen uns zum Gespräch in seiner Atelierwohnung in Düsseldorf. Alles beginnt bei Walter Vogel mit einem Espresso, zubereitet aus frisch gemahlenen Bohnen und mit Präzision. Ich hab nie einen besseren getrunken.

Ihre Reisen haben Sie immer wieder nach Italien, dem Mutterland des Caffè, geführt. Welche Orte haben Sie besonders fasziniert?

Italien war sicher das Hauptreiseland, auch wenn man meine anderen extremen Reiseaktivitäten nicht vergessen darf. Die Hauptorte in Italien sind einfach abzustecken und sind immer verbunden mit der Historie von opulenten und fotoattraktiven Kaffeehäusern.

Im Norden war vor es allem Turin, eine wunderbare Stadt für Caffè Bars, dann geht es weiter nach Genua, natürlich Rom, Florenz und Venedig. In Venedig der Markusplatz mit den großen Caffès wie das Gran Caffè Quadri und Caffè Florian. Dann gehen wir von Rom nach Neapel, dann hört es aber auf. Nach Süden wird es schwierig, eine Ausnahme und absolutes Highlight im Süden ist Palermo mit seinen kleinen Bars. Aber es ist immer eine Frage meines Blickes, wie sehe ich als Fotograf eine Caffè Bar, nicht das, was daran steht oder was angesagt ist, interessiert mich, sondern es ist eine visuelle Entscheidung.

Als Fotograf haben Sie eine ganze Anzahl an Büchern selbst gestaltet. Sie legen die Bildfolgen fest und schreiben die Texte. Ist immer zuerst das Bild da und dann folgt die Idee zum Buch und Text?

Das ist ein ganz langer Weg. Wenn ich es auf das Thema Kaffee beziehe, gibt es lange Vorläufe, die auch etwas mit meinem Zuhause zu tun haben, etwas mit meinen ersten Ausflügen nach Lüttich und Paris. Mit meinen ganz frühen Reisen 1963 /64 nach Genua – ich habe das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kapiert, ich hatte keine Ahnung von dieser Kaffee Kultur. Es hat sich langsam entwickelt, eigentlich Ende der 70er Jahre, und das hat etwas mit meiner Liebe zur Renaissance zu tun. In Florenz, der Renaissancestadt, habe ich zum ersten Mal im Caffè Gilli gestanden und meine Zunge hat begriffen, was es bedeutet, einen italienischen Kaffee zu schmecken. Von 1980 bis 1990 war für mich ein Jahrzehnt der vielen Reisen und des Wachsens einer Idee, dies in einem Buch zusammen zu fassen.

Ich habe1984 mein erstes Buch über Deutschland herausgebracht, und das war die Vorstufe und das Training. Ich habe für das Diners Club Magazin in Wien arbeiten dürfen, dort entstanden die ersten kompletten Geschichten. Da habe ich das Schreiben gelernt, gelernt ein Thema zu strukturieren, Reiseabläufe darzustellen und meine Impressionen zu beschreiben. Hier wurde Anfang der 80er Jahre die Basis gelegt.

Ende der 80er Jahre hatte ich das große Glück den Verleger Christian Brandstätter kennen zu lernen, der mir meine Bücher ermöglicht hat. Einen  Verleger, der bereit war, mich als Autor zu akzeptieren, nicht nur als Fotografen. So konnte ich 1989 einen kompletten Dummy vorlegen, die Basis des ersten Espresso Buchs. Das Buch hatte einen sensationellen Erfolg, das war völlig überraschend und nicht vorauszusehen. Dieses Espresso Buch war der „Door opener“.

Sie haben den schönen Frauen Bücher gewidmet – „Die Schönen der Nacht“, „EWA“…  – sind Fotografien wie `Gaby im Sassafras´ oder die `Aquarianerin´  in erster Linie eine Hommage an den weiblichen Körper?

Ja, natürlich auch. Ich bin frauennärrisch -immer gewesen. Eigentlich bin ich durch die Freundschaft mit Pina, die ich auch halbakt fotografiert habe, zum ersten Mal in der Lage gewesen, porträthaft und mit einer gewissen Qualität, mich dem Thema zu nähern. Es war in der Studienzeit an der Folkwang Schule, es war diese Aufbruchzeit, da hab ich zum ersten Mal die Möglichkeit gesehen, meine „Obsession“ vom Bild der Frau, das viel mit der Malerei und mit dem Film zu tun hat, mit allem, was in der Historie an Frauenbildern geschaffen worden ist, mich da auch selbst zu äußern.

Die Witwenserie 1970, in der auch die `Gaby im Sassafras´ Aufnahme entstand, war im Grunde eine Antiserie als Gegenstück zu dem übermächtigen David Hamilton, der mit seinen Softfotos und seinen hübschen Provence Mädchen alles zugeschäumt hat. Das war mir ein Dorn im Auge, ich bin immer ein Anti Fotograf gewesen, hab versucht das Gegenteil vom Mainstream zu machen. Das war in diesem Fall eine Serie von Frauen, die durch den Verlust ihres Mannes oder ihres Freundes in einer bestimmten Art von mir dargestellt worden sind. Das schwarze Samtband, schwarze Strümpfe oder der Witwenschleier waren immer Symbole, schöne Körper und viel Nacktheit. Das war in dieser Zeit überhaupt kein Problem. Es war damals das Gegenteil von Prüderie, eine bis dahin unterdrückte Freiheit. Es war nie sexuelle Anspielung, immer die Ästhetik des Körpers, eine Frage der Souveränität der Frau.

Was bedeutet Ihnen das `Milieu´ und die Welt der `kleinen Leute´?

Alles. Die bedeuten mir alles. Ich habe diese Idee der „kleinen Leute“ schon ewig im Visier und möchte das Thema noch stärker ausbauen, das ist meine Welt. Es sind für mich die Händler und Handwerker, die Servicekräfte, die sich mit Geschick und Fleiß ein Einkommen erarbeiten, ihre Familien ernähren.

Ich habe nie nach Besitz gestrebt, besitze eine Schreibmaschine, meine Kameras und mehr brauche ich nicht. Ich lehne für mich Luxus ab, der ist für mich, was ich sehen kann, was mir die Welt bietet. Luxus bedeutet für mich Malerei und Musik, Film natürlich, und nicht, dass ich mir eine neue Küche einrichten muss. Ich hab vieles selbst gebaut, einen Sessel als einziges Möbelstück gekauft und einige Stücke vom Lütticher Flohmarkt.

Welchen Rat geben Sie jungen Fotografen und Fotografinnen?

Ich kann eigentlich nur den Rat geben, in die Vertikale zu gehen, in die Tiefe zu bohren. Ein Thema bis in die Historie verfolgen, dann besitzt man aus diesen Erkenntnissen heraus auch einen ganz anderen intellektuellen Fundus. Und man kann das, was man fotografiert, auch besser beschreiben.

Wichtig scheint mir, wieder auf den Augenblick hin zu arbeiten, auf das unwiederbringliche Moment. Dieses horizontale Abfahren von Trinkhallen, Haustüren oder Fördertürmen halte ich für die falsche Richtung. Junge Fotografen sollten den Mut haben, das zu machen, was sie fühlen, nicht was in ist.

Sprechen wir über Beuys, Sie waren ja in dieser Kunstszene rund um die Kunstakademie Düsseldorf in diesen Jahren dabei, im Spoerri, in der Galerie Schmela. Was war so besonders an dieser Zeit, die Aufbruchstimmung?

Man muss das differenzieren, das eine ist die Kunstszene, das hat natürlich auch etwas mit der Kneipenszene zu tun, mit dem Aufbruch, der Frauenemanzipation, der 68er Bewegung – da kam alles zusammen. Für mich war die Altstadt und die Künstlerszene Fotoobjekt. Ich hab die Fotos gemacht, die Szene war mir fremd. Ich bin ja Opern Fan, bin eher ein rückwärtsgewandter Mensch, die frühen 50er mit Gründgens und dem Theater und der Oper, das war meine Welt. Von der Kunstszene hatte ich keine Ahnung. Hätte ich doch mehr Ahnung gehabt! Wenn ich hier in die vertikale gegangen wäre, gäbe es viel mehr Material. Eher per Zufall hab ich Beuys fotografiert und die Spoerri Eröffnung. Als Fotograf war ich eitel genug, wenn sie in der Kunstszene dachten, dass ich der richtige Mann dafür war, hab mir das nicht nehmen lassen. Ich war Folkwang Schüler, musste Geld verdienen und man rang um Anerkennung.

Das war die eine Seite und die andere Seite war eben für mich auch neu, der Aufbruch in dieses Kneipengetümmel, die Künstlerkneipen. Spoerri war so der Endpunkt. In Oberkassel ging es dann weiter, das Muggel war noch sensationell, das Sassafras, das hörte dann auf. Künstler zogen zum Teil nach Köln, die Szene war etabliert, hat sich nur noch dargestellt, man war entweder in der Szene oder nicht. Ich war unterwegs in der weiten Welt, hätte mich mit meinen Erfolgen zurück lehnen können.

Ich habe dagegen alles stehen und liegen gelassen und bin 1977 nach Frankfurt gegangen, das war mein Glück. Das war die beste Entscheidung, ich hab dort bei Null angefangen.

Sie wurden im vergangenen Jahr in die Leica Hall of Fame berufen und für Ihr Lebenswerk und ihr Engagement für die Fotografie ausgezeichnet. Welchen Einfluss hat Leica auf ihre Bildgestaltung?

Meine erste Kamera war eine Akarette, das war reinste Amateurfotografie. In der Fotografengruppe mit Horst Baumann fotografierten diese jungen Männer mit einer Leica. Der Leica Fotograf Werner Bischof ist bis heute mein Leitstern in der Reportage Fotografie, das war 1954. Also ich musste auch eine Leica haben. Ich habe zudem ein gutes Auge geerbt, das hat man oder nicht.

Ich staune bis heute, wie ich es geschafft habe, Bilder mit dem mickrigen Sucher der IIf zustande zu bringen, dass ich schon so genau geguckt, und auch Bildgestaltung betrieben habe.

Dann kam die M3, dieser Sucher, unbeschreiblich! Großes Sucherbild, parallaxenfrei, Leuchtrahmensucher, das war einfach ein Quantensprung. Spiegelreflex kam dann in Mode. Ich hab wegen meiner Veröffentlichungen 1968 an Leitz geschrieben und wurde wie ein König behandelt. Bevor ich nach Kamerun gereist bin, war ich bei Leitz und habe zunächst auf Leihbasis 2 Gehäuse mit Motor und 3 Objektive mitgenommen.

Bis zur M5 hatte ich nie mit Belichtungsmesser gearbeitet, alles geschätzt, man hatte Anhaltswerte. Mit Aufkommen der Farbe ging das dann nicht mehr, das war ein Hauptgrund auf Leicaflex umzusteigen. Die Leicaflex mit dem 21er war natürlich eine Offenbarung – bis heute.

Die Leica ist mein Lebensfaden, mein Taktgeber. Eine Geschichte, die 1954 begann, über 70 Jahre währte.

Als Ehrung der Hall of Fame habe ich die M10 erhalten, doch mein Alter schreitet fort, keine Frage. So ist es ein Traum von mir, mit diesem Wunderwerk an Technik und ihren Möglichkeiten, nach Rom zu reisen um dort noch einmal zu fotografieren.

Ein ehemaliger Ingenieur bleibt erfinderisch und die Not tut einen oben drauf. So werde ich nicht locker lassen, nach einem Thema zu suchen, was meinen und dieser Kamera Ansprüchen genügt. Ich bin ja kein Sammler von Fotoapparaten, ich bleibe Fotograf.

Das Gespräch führte Ulla Born, Leica Galerie Düsseldorf, November 2020. Unter dem Titel „Meister der Vielfalt“ sind viele seiner beeindruckenden und bislang noch nie öffentlich gezeigten Werke noch bis zum 06.01.2021 in der Leica Galerie Düsseldorf zu sehen.

Walter Vogel auf dem Campingplatz, der VW Käfer begleitet ihn auf seinen FotoreisenWALTER VOGEL

Geboren am 18. Oktober 1932 in Düsseldorf. Nach seiner Lehre als Maschinenschlosser war er als Maschinenbau-Ingenieur tätig. 1963 Studium an der Folkwangschule in Essen bei Otto Steinert. Nach dem Examen 1968 arbeitete er als selbstständiger Bildjournalist, Werbe- und Modeaufnahmen und Magazinfotografie waren weitere Standbeine. Seit 1954 fotografiert Walter Vogel mit Leicas, 1964 Auszeichnung beim World-Press-Photo Wettbewerb. Von 1977-2002 Atelier in Frankfurt, anschließend Rückkehr nach Düsseldorf.

Seinen Vorlass hat Vogel 2016 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gegeben, den dort die bpk (Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte) betreut.

Bild: Walter Vogel auf dem Campingplatz, der VW Käfer begleitete ihn auf seinen Fotoreisen.