An Bord eines Großseglers nahm Giulio Rimondi Kurs auf Spitzbergen und hielt 15 Tage die Natur fest, die ihn umgab. Seine jüngste Serie erkundet ein neues Terrain, weg vom Porträt, aber immer noch tief verbunden mit der Menschheit und ihrer Rolle innerhalb der Natur.

Das ewige Eis – Herausforderung oder Leidenschaft?
Ich würde eher sagen: Anziehungskraft. Diese Reise war mein erster Kontakt mit der Arktis und dem Hohen Norden, nach mehr als einem Jahrzehnt, das ich anderen Breitengraden gewidmet habe, mit Projekten am Mittelmeer, in Westafrika und im Nahen Osten. Als ich zum ersten Mal darüber nachdachte, nordwärts zu ziehen, wollte ich meinen Horizont radikal verändern, mich ins Unbekannte wagen. Und das stellt dieses gefrorene Land für mich dar, eine völlig neue Umgebung, ein wilder Raum, frei von der ständigen Anwesenheit des Menschen.

Was bedeutet eine Reise auf dem Arktischen Ozean für einen Fotografen?
Ein großes Abenteuer, eine Konfrontation mit den Elementen, sowohl physisch als auch psychisch. In der Arktis ist die Natur mächtig und irgendwie überwältigend: Sie offenbart wirklich die Zerbrechlichkeit des Lebens. Auf der anderen Seite hat mich diese ständige Herausforderung mit den Elementen mit einer Energie erfüllt, die ich nie zuvor gespürt habe. Einen Gletscher zu bewundern, über ihn zu klettern oder unter ihn zu tauchen, ist eine lebensverändernde Erfahrung. Man lernt sich selbst besser kennen, spürt Angst und Entschlossenheit und die Sicht auf die Natur wird nie wieder dieselbe sein.

Wie haben Sie sich vorbereitet?
Ich habe etwa zwei Jahre gebraucht, um mich auf diese Reise vorzubereiten. Ich entschied, mich für eine sehr spannende Künstlerresidenz zu bewerben, „The Arctic Circle“ an Bord des Großseglers Antigua. Nachdem ich eine Zusage hatte, musste ich Sponsoren für die anfallenden Kosten und meine Ausrüstung finden. Mein größter Dank gilt LFI und Leica Italia für die großartige Ausrüstung, die sie mir zur Verfügung gestellt haben, Flavio Milani und Ciesse Outdoor für die Finanzierung der Expedition, DiveSystem und Nardi für eine hochwertige Tauchausrüstung und EasyDive für die Entwicklung eines speziellen wasserdichten Gehäuses für die Leica SL. Abgesehen von der Logistik habe ich hart trainiert, um mich auf das Tauchen im buchstäblich eiskalten Atlantik vorzubereiten. Dank der Freunde von Sub Nettuno erlernte ich die Technik und gewann das Selbstvertrauen, sehr schwierige Tauchgänge ruhig und gelassen zu absolvieren.

Was war Ihr fotografischer Impuls?
Die Reise zu spüren, sie sollte den Stil meiner Arbeit bestimmen und mir Themen und Möglichkeiten zeigen. Ich bin als Künstler in die Arktis gereist, ohne Auftrag oder Verpflichtung: Ich war frei. Ich habe mich auf die Natur konzentriert, die mich umgab. Die Bilder kamen eines nach dem anderen, während wir segelten, langsam und konstant, jedes zeigte einen anderen Blickwinkel mit seinem eigenen Reiz.

Mit welchen Herausforderungen ist ein Fotograf im Eis konfrontiert?
Mit einer Herausforderung war ich unterwegs konfrontiert, mit einer anderen, viel anspruchsvolleren, wie ich fand, zu Hause. Das Fotografieren im Eis kann kompliziert und gefährlich sein, man muss das Terrain gut kennen und die ganze Zeit ruhig und konzentriert bleiben. Der Frost, das Knacken und Reißen des Eises machten mich müde, aber ich konnte die Reise beenden und gutes Material mit nach Hause nehmen. Dort wurde ich jedoch mit etwas konfrontiert, das ich nicht erwartet hatte: Meine Bilder passten nicht genau in ein Genre, weder waren es reine Dokumentar- oder Reisefotografien noch gehörten sie in eine andere der klassischen Kategorien. Es ist schwer, einen Platz für sie zu finden … das ist wohl der Preis, den man zahlt, wenn man die Normen herausfordert.

Sind Ihre Bilder Dokumente der Schönheit oder sollen sie auch eine Bedrohung widerspiegeln?
Ich habe mich mit meinen Bildern nie ausschließlich der Schönheit verschrieben. In diesen kritischen Zeiten, in denen wir leben, glaube ich nicht, dass wir ein Recht haben, in steriler Schönheit zu schwelgen. Wir müssen sie als Vehikel nutzen, um Bedeutung zu verbreiten, Bewusstsein zu schaffen und für nachhaltige Verhaltensweisen einzutreten. Ich glaube, dass meine Bilder dieser Dringlichkeit entsprechen. Bei dieser Serie aus der Arktis, in der die natürliche Schönheit so offensichtlich ist, habe ich insbesondere versucht, meinen Bildern mehrere Bedeutungsebenen zu geben. Ich habe die Serie nicht beschreibend aufgebaut und Raum für Interpretationen gelassen. Ich glaube, die Bilder können nur so in einen Dialog mit dem Betrachter treten und kognitive Reaktionen und kritisches Denken auslösen.

Betrachten Sie Ihre Serie als einen sozialen oder politischen Appell?
Auf jeden Fall. Es versteht sich von selbst, dass die Botschaft, die ich mit meinen Bildern vermitteln möchte, scharf und bewusst beunruhigend sein soll. Ich möchte die Sensibilität der Betrachter für ein dringendes weltweites Phänomen wecken, das uns alle betreffen wird, aber nirgendwo so offensichtlich wie in der Arktis. Dort vollzieht sich die Erwärmung doppelt so schnell wie im Rest der Welt. Die Folgen sind zwar nicht absehbar, aber sie werden mit Sicherheit katastrophal sein. Als Künstler bin ich gezwungen, hartnäckig einen abweichenden Kurs einzuschlagen und meine Stimme zu nutzen, um Respekt für das natürliche Gleichgewicht zu wecken, von dem unser Überleben abhängt.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Leica SL gemacht?
Ich habe ein Jahrzehnt lang mit dem Leica M-System gearbeitet. Deshalb empfand ich die SL und ihre Objektive anfangs als ziemlich groß und schwer. Sobald ich die Arbeit vor Ort aufnahm und mich an die Größe gewöhnt hatte, schätzte ich sofort die absolute Präzision und Zuverlässigkeit der Elektronik und die hervorragende Qualität der Objektive. Aber die größte Überraschung kam, als ich wieder zu Hause war und anfing zu drucken. Die Qualität der Dateien war außergewöhnlich und erlaubte mir, jedes Detail im Druckprozess auf eine Weise zu kontrollieren, die mich begeisterte. Die Leica SL ermöglichte mir die besten Drucke, die ich je gefertigt habe.

Leica SL

Fast. Direct. Mirrorless.

Wie hat sich Ihr Blick auf die Welt während dieser Reise verändert?
Ich betrachte diese Reise gerne als ein neues Kapitel in meinem Leben. Nicht nur weil ich zum ersten Mal in dieser Region war, sondern auch wegen des Interesses und des Bewusstseins, das sie geweckt hat. Es ist ein Privileg, sich an einen der letzten wilden Orte der Erde zu wagen, um den Schaden zu zeigen, den der Mensch verursacht hat, und um unsere Verantwortung zum Handeln zu unterstreichen, damit die Natur wieder gedeihen kann.

Giulio Rimondi wurde 1984 in Italien geboren. Von Anfang an verband er künstlerische Fotografie mit sozial engagierter Berichterstattung, wobei er sich besonders auf die menschliche Dimension des Themas konzentrierte. Seine Bilder sind Teil der Sammlung des Maison Europénne de la Photographie in Paris und der Library of Congress in Washington D.C. Als Fotojournalist hat er für internationale Publikationen wie „Time“, „Lens – The New York Times“, „National Geographic“, „Le Monde“ und CNN gearbeitet. Er wurde mit dem Lead Award für Still Life Photography, dem Iceberg Prize for Documentary, dem Special Prize und dem San Fedele Prize for Contemporary Art ausgezeichnet. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Giulio Rimondi auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.