Seine Bilder offenbaren eine Faszination für Dinge, die selbstverständlich zu sein scheinen: Sasha Lytvyns fotografisches Werk widmet sich wiederkehrenden Themen wie der Menschlichkeit, der Existenz und letztlich dem Leben selbst, wobei er Augenblicke des täglichen Lebens als persönliche Entdeckungen bezeichnet.

Deine Bilder entstanden zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten. Was verbindet sie?
Im Laufe der Jahre ist mir bewusst geworden, dass mich diejenigen Bilder interessieren, die für sich allein stehen. Damit meine ich Fotos, die autark leben und eine Struktur haben, die das Auge erfreut; Fotos, die dich immer wieder zu sich zurückrufen, um sie zu betrachten. Drucke, die du an die Wand hängen möchtest und die keinen Kontext durch stützende Bilder benötigen. Nichts davor, nichts danach. Dieser Art von Bildern fühle ich mich sehr nahe, und ich habe gelernt, sie zu erschaffen. Genau genommen braucht man sie gar nicht zu erschaffen – sie kommen einfach zu dir, wenn du es zulässt. Und mit der Zeit siehst du dann, wie sie sich miteinander verbinden, dabei etwas ganz Neues offenlegen und so die Serie entstehen lassen.

Welche Art von Geschichten erzählst du mit deinen Bildern?
Wenn du wirklich Zeit mit ihnen verbringst, werden sie dir eigene Geschichten erzählen. Sie sind meine Entdeckungen und haben auf jeden Fall eine tiefere Bedeutung, die sich demjenigen offenbaren wird, der danach sucht. Die wiederkehrenden Themen in meinen Bildern sind Menschlichkeit, Existenz, Verbindung und schließlich das Leben selbst. Kellner und Arbeiter, Liebende und Fremde, Gleichförmigkeit und Gleichheit – und die einfachen Geschichten derer, die die Häuser bauen, in denen wir leben, die die Straßen pflastern, auf denen wir gehen. Einfache Faszination und Dankbarkeit für die Dinge, die wir normalerweise als selbstverständlich hinnehmen. Ich versuche zu begreifen, wie ähnlich wir einander sind, während wir gleichzeitig doch so verschieden und zutiefst einzigartig sind.

Du scheinst der Idee der „Poesie das Alltags“ zu folgen. Was bedeutet das für dich?
Es bedeutet, dass du beginnst wahrzunehmen, wenn du nur anhältst und wirklich hinsiehst. Jene einfachen Dinge, die wir als „schlicht“ oder „alltäglich“ bezeichnen, sind in Wirklichkeit die wichtigen Augenblicke, die zusammengenommen unser Dasein auf diesem Planeten ergeben. Wenn du beginnst, sie wahrzunehmen, fängt alles an, einen Sinn zu ergeben. Diese Augenblicke sind einfach schön. Sie sind weitaus mehr, als sie an der Oberfläche zu sein scheinen. Manche nennen dies Meditation, ich nenne es Fotografie. Eine Kamera hat die einzigartige Fähigkeit, eine Emotion zu übermitteln: Wenn der Fotograf im Moment der Aufnahme von einem Gefühl ergriffen wird, dann wird es im Bild reflektiert, um später auf den Betrachter übertragen zu werden. So entsteht ein geschlossener Kreislauf, in dem Energie fließt.

Als Fotograf bist du Autodidakt. Was war der Auslöser?
Der unterbewusste Wunsch war von klein auf da. Ich habe meinen Vater ständig gefragt, wie seine Kamera funktioniert. Er hatte eine FED, eine russische Leica-Kopie, und er hat unsere Familienfotos immer im Badezimmer entwickelt. Ich habe die Kamera gern aus der Schublade genommen, um mit ihr zu spielen. Der mechanische Aspekt und die Haptik dieser Kamera sind bei mir bis heute präsent. Die Antwort meines Vaters auf meine Fragen war übrigens immer: „Lies das Handbuch.“ Was ich natürlich nie getan habe, bis ich an die Uni kam. Dann, eines Abends, zeigte mir der Cousin meiner damaligen Freundin, er war Maler, eines seiner Fotos, und etwas daran hat mich buchstäblich umgehauen. Von dem Moment an war ich von der Fotografie besessen. Als ich nach Hause kam, habe ich zum ersten Mal das Handbuch gelesen; allerdings nicht das der Kamera meines Vaters, sondern das der Zenit-SLR, die mir mein Urgroßvater geschenkt hatte. Von da an habe ich täglich Film verbrannt wie ein Wahnsinniger.

Welche Kameras hast du für deine Aufnahmen verwendet, und was schätzt du an ihnen?
Obwohl ich mich als eher technischer Fotograf verstehe, bevorzuge ich einfache Werkzeuge, die den kreativen Prozess nicht stören. Daher liebe und schätze ich die Leica Messsucherkameras. Einige der Bilder dieser Serie habe ich mit einer Leica M10-D und einer M-D (Typ 262) aufgenommen. In der modernen Welt der Digitalfotografie fühlt es sich ständig an, als würde ein Computer die Entscheidungen für dich treffen. Diese Kameras beschränken sich auf das Notwendigste; ihr größter Wert liegt in ihrer einfachen Herangehensweise an die Fotografie. Nur ein Messsucher ermöglicht es dir, auf dem schmalen Grat zwischen Beobachtung und Teilnahme zu wandern. Dies ist für mich ein körperliches Vergnügen.

Alle Bilder sind schwarzweiß. Gibt es einen Grund dafür?
Ich fotografiere auch in Farbe, und ich liebe es genau so wie schwarzweiß. Aber schwarzweiß bildet eben eine Brücke zwischen meinen analogen und meinen digitalen Workflows. Ich setze beides ständig ein, mische beides und experimentiere mit den Möglichkeiten, in beiden Medien zu drucken – für mich sind sie tatsächlich ein und dasselbe.

In jedem Bild achtest du sehr auf Form und Komposition …
Die visuelle Sprache ist eine der grundlegendsten und mächtigsten Sprachen der Welt. Sie erstreckt sich jenseits der Worte, sie ist international. Aber so wie wahllos zusammengefügte Buchstaben keine Wörter oder Sätze ergeben, ergeben sich ohne Komposition keine Bilder. Sie ist der Leim, der alles zusammenhält. Wohlkomponierte Bilder sind Tore zur Psyche des Betrachters – und sie bereiten Freude beim Betrachten. Es ist faszinierend auszuloten, wo die Grenzen der Kompositionsregeln liegen, und mit ihnen zu spielen, bis die Bildstruktur beinahe auseinanderfällt, aber immer noch funktioniert und so etwas Neues entstehen lässt. Die Struktur eines Bildes ist entscheidend; sie ist das Rückgrat eines guten Fotos.

Vor gut zehn Jahren hast du die Ukraine verlassen, um nach Amerika zu gehen. Gibt es einen Aspekt der Fotografie, den du aus deiner Heimat mitgenommen hast?
Ehrlich gesagt, habe ich die Dinge vor zehn Jahren nicht so gesehen wie heute. Als Teenager fand ich alles in der Ukraine abgrundtief langweilig, sowohl fotografisch als auch persönlich. Es ist wohl einfach anders, wenn man an einem bestimmten Ort aufwächst. Aber jetzt, zehn Jahre später, ist alles, was ich zuvor übersehen hatte, plötzlich so unglaublich interessant und visuell anregend. Fotografisch ausgedrückt, fühlt es sich an, als sähe ich alles zum ersten Mal, als würde ein Kind einen neuen Spielplatz erkunden. Erstmals fühlt es sich wichtig an, zu Hause ernsthaft zu arbeiten, und ich freue mich darauf zu sehen, wohin es mich führt.

Was bedeutet Schönheit für dich?
Schönheit ist die Art und Weise, wie du entscheidest, die Dinge im Leben zu sehen.

Der gebürtige Ukrainer Sasha Lytvyn ging 2010 in die USA, um seiner Passion für die Fotografie nachzugehen. Seitdem bietet er Auftraggebern aus dem Bereich der kommerziellen und der Editorial-Fotografie seine künstlerisch-dokumentarische Herangehensweise an. Seine Arbeit folgt dem Gedanken der „Poesie des Alltags“, denn die meisten seiner sehr persönlichen Werke entstehen aus gewöhnlichen Situationen des Alltagslebens. Mehr zu seiner Fotografie findet sich auf seiner Website und seinem Instagram-Kanal.

Die Leica. Gestern. Heute. Morgen.

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