Die reduzierte Ästhetik seiner Aufnahmen zeigt die städtische Architektur, spiegelt aber auch einen Raum wider, den Martin Herrera Soler für sich selbst geschaffen hat. Stundenlang war der Fotograf für dieses Projekt zu Fuß unterwegs, um Stadtfragmente einzufangen und eine Umgebung zu schaffen, in der er sich wirklich zu Hause fühlt.

Sie sagen, die Fotografie sei ein Weg zur Selbstreflexion …
In meiner Beziehung zur Fotografie gibt es einen Aspekt, der mit dem Ergebnis zu tun hat, mit den Bildern, die ich aufnehme, und wie sie sich ansammeln. Und dann gibt es einen Aspekt, der mit dem Prozess der Entstehung solcher Bilder zu tun hat. Letzteres ist der Ort, an dem ein Großteil der Selbstreflexion stattfindet. Obwohl Nómade auf den ersten Blick wie ein Projekt über Straßen- oder Stadtarchitekturfotografie aussehen mag, war es für mich immer ein Identitätsprojekt. Und der urbane Raum war nur ein Vehikel, um über meine Identität und mein Zugehörigkeitsgefühl oder dessen Fehlen nachzudenken.

Sind Sie ein Nomade?
Nómade bezieht sich sowohl auf eine persönliche Erfahrung als auch auf den kreativen Prozess, den ich für dieses Projekt gewählt habe. Geboren bin ich in Venezuela. Ich habe in Caracas, Montevideo, Santiago, Miami und Los Angeles gelebt. Ich habe drei Nationalitäten, und doch habe ich mich nie mit einer von ihnen voll identifiziert. Dieses Projekt war eine Reise, um einen Raum zu schaffen, in dem ich mich wirklich „zu Hause“ fühlen konnte.

Ihre Bilder umgibt eine Aura der Stille, die durch das Fehlen von Menschen und aus der Farbkomposition ergibt …
Dieser Prozess war eine ziemlich einsame Angelegenheit. Ständig waren Menschen und Autos um mich herum, doch die Bilder sind menschenleer. Ich musste warten und sorgfältig komponieren, um sicherzustellen, dass sich niemand im Bild befindet. Das war eine bewusste und wichtige Entscheidung für dieses Projekt. Ich habe bewusst nach anonymen Orten gesucht, die wie Bausteine für die „persönliche Stadt“ wirken, die ich erschaffen wollte. Als Kind waren Legosteine mein Lieblingsspielzeug: In diesem Projekt ist jedes Bild in gewisser Weise ein sorgfältig ausgewählter Baustein, der dazu dient, etwas Größeres zu schaffen. Ich wollte einen Zustand innerer Stille äußerlich manifestieren. Es war ein besonderer Moment in meinem Leben, und ich glaube, das zeigt sich in den Bildern.

Was war das für ein Moment?
Nach jahrelangen Versuchen bin ich kürzlich Vater geworden. Die Vaterschaft bewegte mich zutiefst und war eine Einladung, darüber nachzudenken, wer ich war, über die Beziehung zu meinen Eltern und wer ich für dieses neue wunderbare Geschöpf in meinem Leben werden wollte.

Es scheint, als zeigen Sie weniger das Schöne, sondern mehr das Verborgene, das Verfallende …
Vielleicht war das, was ich damals fotografierte, eine Reflexion des nicht so „schönen“ und ungelösten Aspekts von mir selbst. Aber ich glaube, Schönheit ist eine subjektive und kontextabhängige Angelegenheit. Was ich damals fotografiert habe, ist das, was ich in jener Zeit schön fand. Wenn ich dieses Projekt zu einem anderen Zeitpunkt und mit einer anderen Geisteshaltung noch einmal durchführte, suchte ich möglicherweise nach anderen Dingen. Davon abgesehen gebe ich zu, dass das, was mich bei diesem Projekt bewegte und faszinierte, nicht das war, was die meisten Menschen als „schön“ ansähen. Die Räume, die ich ausgewählt habe, haben eine gewisse „Abnutzungsqualität“. Viele von ihnen scheinen sich in einer Übergangsphase zu befinden, entweder werden sie gebaut oder abgerissen. Darüber hatte ich vorher nicht nachgedacht, aber vielleicht ähneln die Bilder, die ich gemacht und ausgewählt habe, meinem eigenen Übergang in der Zeit, als ich mit der Arbeit an Nómade begann.

Welchen fotografischen Ansatz haben Sie verfolgt?
Meine Herangehensweise war anders als bei früheren Projekten. Dieses Mal war es ein sehr einsamer und meditativer Prozess, ein „nomadischer“ Ansatz. Es drehte sich alles ums Gehen. Ich begab mich an einen beliebigen Ort und ließ mich stundenlang treiben. Dabei verwendete ich ein GPS, um meine Aufenthaltsorte aufzuzeichnen, was zu wunderschönen Spuren führte – Interventionen der physischen Welt –, die die erfassten Stadtfragmente zu einem einzigartigen Raum zusammenfügten. Meinen Raum. Tatsächlich bin ich viel mehr gelaufen, als ich fotografiert habe. Einige Orte haben zu mir „gesprochen“, und wenn das geschah, konnte ich „sehen“. Und das war sehr aufregend. Die Momente, in denen ich mich diese kreative Energie erfasste, waren selten und sehr erfüllend. Ich hatte keine bestimmte Idee im Kopf, während ich spazieren ging, sondern reagierte auf das, was mir begegnete und mein Interesse weckte.

Sie haben mit einer Leica SL gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Kamera gemacht?
Ich liebe die SL. Ich benutze sie hauptsächlich wie eine M-Kamera. Ich habe nur M-Objektive, und nach der Ersteinrichtung habe ich das Menü nie wieder aufgerufen. Ich habe ein paar Tastenkombinationen für die ISO-Auswahl und das war’s auch schon. Für dieses Projekt waren die SL und das Summilux-M 50 eine sehr elegante Kombination. Mir gefiel die Möglichkeit, die Bildkomposition in dem großartigen Kamerasucher noch genauer zu visualisieren. Ich entschied mich, das Projekt im Seitenverhältnis 6:7 zu fotografieren, und ich lernte schnell, wo der Ausschnitt im Sucher passen würde, was mir eine sauberere Komposition als mit dem Messsucher ermöglichte.

Wie genau sieht Ihr fotografischer Prozess aus?
Ich fotografiere und schaue nicht auf meinen Bildschirm. Der ist nämlich mit Klebeband abgedeckt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir meine Aufnahmen nie gefallen, wenn ich sie mir sofort ansehe. Normalerweise warte ich ein oder zwei Wochen, bevor ich sie in Lightroom importiere, und selbst dann markiere ich nur ein paar, um sie später zu überprüfen. Wenn genug Zeit vergangen ist, gehe ich in den Bildeditor und bearbeite die Bilder leicht. Ich mache das, was die meisten Leute machen: Licht, Schatten, Kontrast, leichte Schärfung und nicht viel mehr. Ich war nie gut mit Photoshop, und obwohl ich mich mit Lightroom viel besser auskenne, gehe ich selten weiter in die Tiefe.

Sie haben Nómade als Buch veröffentlicht, das Sie Ihren Eltern widmeten. Was haben sie Ihnen beigebracht?
Mein Vater war Architekt. Auf stille Art und Weise hat er mir ein Bewusstsein und eine Liebe für den Raum vermittelt. So lange ich mich erinnern kann, habe ich maßstabsgetreue Baupläne gezeichnet. Ich glaube, daher rührt meine Wertschätzung für die Architektur. Es war jedoch meine Mutter, die diese Wertschätzung in Worte fasste, indem sie ihre Wahrnehmung jedes Gebäudes und jeder Fassade kommentierte und beschrieb. Gemeinsam schufen meine Eltern ein Fundament, das sich erst viele Jahre später, fast ungewollt, manifestierte. Das ist das Fundament, auf dem die Bausteine von Nómade stehen.

Nach einer Karriere im Unternehmenssektor wagte Martin Herrera Soler im Jahr 2004 den Sprung in die Welt der Kunst und wurde Fotograf. Nach vielen längeren Auslandsaufenthalten kehrte er 2008 nach Uruguay zurück und fotografiert seither vor allem in seinem Heimatland. Seine Arbeiten wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen in den Vereinigten Staaten, Brasilien, Uruguay und Deutschland gezeigt. Erfahren Sie mehr über seine Fotografie auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.

Leica SL2

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