Wir warten auf den Zug. Auf den Sommer. Auf die große Liebe. Oder auch nur auf eine günstige Gelegenheit. Mal sind wir ungeduldig, mal voller Spannung. Wie gut, wenn wir uns die Zeit dabei ein wenig vertreiben oder sinnvoll nutzen können. Denn: Warten müssen wir auch auf die Biennale für aktuelle Fotografie, die schließlich nur alle zwei Jahre – das nächste Mal im Frühjahr 2022 – in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg präsentiert wird. Um die Zeit bis dahin zu verkürzen und die Vorfreude zu wecken, gilt es bereits in diesem Winter in Zusammenarbeit mit Leica eine Plakataktion zu entdecken.

Als Kooperationspartner der Biennale hat Leica einen ganz besonderen Auftritt ermöglicht: Einige der Fotografen und Künstler, die in den letzten Jahren an Biennale-Ausstellungen beteiligt waren, haben unter dem Motto „Warten“ spezielle Motive umgesetzt, die im Dezember im öffentlichen Raum plakatiert werden.

Zuvor hatten die Teilnehmer eine analoge Leica M-A (Typ 127) erhalten und konnten jeweils einen Farb- und einen Schwarzweißfilm belichten. Aus den Ergebnissen wurden dann die besten Motive ausgewählt, die im Dezember in den Biennale-Städten plakatiert werden. Wir stellen in den nächsten Wochen die Arbeiten und ihre Autoren im Leica Blog vor. 

 

Zum Abschluss unserer Serie stellen wir den australischen Fotografen Patrick Pound und sein Plakatmotiv vor.

Patrick Pound, The waiting game, 2021

 

Wo entstand Ihr Motiv, das jetzt Teil der Plakatkampagne ist?

Das Bild zeigt ein Detail meiner lokalen Feuerwache. Mein Vorort und die Wache befinden sich in Brunswick, Melbourne. Mir gefällt die Idee dieses kleinen internationalen Zufalls. Das Telefon an der Außenseite der Feuerwache lässt Ärger erahnen. Die leere Metalltafel scheint auf den Eintrag von Informationen zu warten.

Wie spiegelt sich das Thema „Warten“ im Bild wider, insbesondere im Hinblick auf den Lockdown, in dem sich Ihr Land befand, als Sie das Bild aufnahmen?

Melbourne war anscheinend die Stadt auf der Welt, die am längsten abgeriegelt war. Diese Taktik hielt die Covid-Zahlen niedrig, während das Land geimpft wurde. Wir durften rausgehen und trainieren. Ich bin mit der Kamera durch die Straßen gelaufen. Überall herrschte eine seltsame Ruhe. Die Stadt war leer, wie geschrumpft, und die Kamera nahm das alles auf. Das ausgewählte Foto enthält etwas von der gesellschaftlichen Stimmung und ein allgemeines Gefühl der Angst, festgehalten in einem einfachen, fast leeren Detail. Das Foto enthüllt nicht das Wesen dieses öffentlichen Gebäudes, in dem Notfallhelfer einer anderen Kategorie untergebracht sind, die auf einen Einsatz warten, aber es verweist darauf.

In welchem Zusammenhang steht das Motiv mit Ihrer Arbeit, gibt es Verbindungen zu anderen Werken?

Das Bild ist weniger Teil einer Serie als vielmehr typisch für eine Art von beiläufigen Notizen. Ich mache oft Schnappschüsse von meiner Nachbarschaft. Von der Carte de Visite und der Ansichtskarte über die Dokumentarfotografie bis hin zu Snapchat ging es für mich in der Fotografie immer um fünf Dinge: Beobachten, Wahrnehmen, Aufnehmen, Teilen und Verbinden. In der Regel ist Fotografie für mich eine Form des Notierens, die meine künstlerische Arbeit beeinflusst, die sich aus den Fotografien anderer Leute und gefundenen Objekten zusammensetzt. Anstatt Fotos zu machen, kaufe ich sie normalerweise. Ich sammle drei Arten von Fotografien: ausrangierte Familienfotos und Bilder aus nicht mehr existierenden Kino- und Zeitungsarchiven. Mir gefällt die Art und Weise, wie sich beim Sammeln von Fotografien in scheinbar unauffälligen Kategorien immer auch der Rest der Welt einschleicht. Ich interessiere mich für die tragikomische Verrücktheit des Versuchs, die Welt durch Bilder zu erfassen und zu verbinden.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit der Leica M-A (Typ 127)?

Normalerweise mache ich die meisten meiner Fotos mit einer Smartphone-Kamera, daher war es eine Freude, zu einem so schönen Gerät zurückzukehren. Die Leica M-A ist ein exquisites Aufnahmegerät. Sie ist elegant in ihrer Schlichtheit. Ich habe mein Bestes getan, um sie lässig zu behandeln, um Licht und Fehler zuzulassen, aber wir haben uns für eine konventionelle Aufnahme entschieden, eine solide Belichtung, eine kühle und klinische Aufzeichnung, die die Kamera mit Bravour meistert.

Warum haben Sie sich für Schwarzweiß entschieden?

Ich wollte einfach sehen, wie die Feuerwache als lyrisches Schwarzweiß-Dokument aussieht.

Dr. Patrick Pound, Jahrgang 1962 ist derzeit Associate Professor of Art and Performance an der School of Communication and Creative Arts an der Deakin Universität, Melbourne. Er ist Künstler und Wissenschaftler. Seine Arbeiten hat er international ausgestellt und sie sind in renommierten Sammlungen vertreten. Auf der Biennale für aktuelle Fotografie war er 2020 Teil der von David Campany kuratierten Ausstellung „Walker Evans Revisited“ in der Kunsthalle Mannheim.

www.instagram.com/patrick_pound

 


Daniel Stier

Daniel Stier, 2021

Im Zentrum Ihrer Serie steht ein weißer Kunststoffstuhl. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Ich befasse mich in meiner Arbeit viel mit der Warenwelt, Produkten unseres alltäglichen Lebens, mit Dingen, die wir konsumieren, die uns umgeben und unser Dasein bestimmen. Dazu steht in meinem Atelier immer einen Fundus bereit, mit dem ich arbeite. In diesem Fall habe ich mich für den mittlerweile legendären Monobloc entschieden. Ich habe schon öfter mit diesem Stuhl gearbeitet, da er vieles widerspiegelt, was mich in meiner Arbeit interessiert. Er ist ein globales Massenprodukt. Ein Symbol unseres gedankenlosen Konsums, ein Symbol der Globalisierung durch billige industrielle Produktion, demokratischer Müll. Zu finden weltweit in Straßencafés, Strandbars, Wartehallen und Müllhalden.

Wie spiegelt sich der Begriff des „Wartens“ in den Aufnahmen wider?

Ein leerer Stuhl ist ja immer eine Allegorie des Wartens. Ich habe den Monobloc, also die Einladung, sich zu setzen und abzuwarten hier in Landschaften verfrachtet, die ich ebenso wie den Stuhl als Produkte unserer Lebensweise und unseres wirtschaftlichen Systems empfinde. Landschaften, die von unserer Zivilisation halb zerstört zurückgelassen werden, die man weder als urban noch als natürlich bezeichnen kann. Landschaften, die auch auf etwas zu warten scheinen.

Daniel Stier, 2021

Wo lagen für Sie die größten Herausforderungen mit der zur Verfügung gestellten Leica M-A (Typ 127)?

Direkt nachdem ich die Kamera im September 2021 erhalten hatte, habe ich im Rhein-Main-Gebiet fotografiert. Ich habe Fotografie analog erlernt und auch etliche Jahre professionell so gearbeitet. Seit langer Zeit arbeite ich ausschließlich digital. Dieses Projekt war für mich daher fast nostalgisch, alte, gewohnte Handgriffe wiederzuentdecken. Und auf das Ergebnis warten zu müssen. Ich halte die Wahl der Kamera für eine ästhetische Entscheidung. In meiner eigenen Arbeit spielt das eine nicht so große Rolle. Mich interessieren mehr inhaltliche Fragen.

Werden Sie die Aufnahme auch in einem anderen Kontext verwenden?

Das wird sich zeigen. Fotografien brauchen immer eine gewisse Reifezeit, nach der man über ihren wahren Wert entscheiden kann.

Daniel Stier wurde 1966 in Darmstadt geboren. Als bildender Künstler lebt und arbeitet er zwischen London und Deutschland. Seit dem Studium der Fotografie in Dortmund sind Stiers ironischer Stil und seine künstlerische Bandbreite bei vielen internationalen Projekten gefragt. Zahlreiche Ausstellungen und Veröffentlichungen. Die National Portrait Gallery in London hat viele seiner Prominentenporträts in ihrer Sammlung aufgenommen. Er hat Werbekampagnen für internationale Marken wie Nike, Sony, Volkswagen, Virgin und Barclays entworfen. Auf der Biennale für aktuelle Fotografie 2020 waren seine Arbeiten Teil der Gruppenausstellung „Between Art and Commerce“ im Port25 – Raum für Gegenwartskunst in Mannheim.

https://danielstier.com/

https://www.instagram.com/mrdanielstier/?hl=de

 


 Peter Puklus

Peter Puklus, Jars, 2020

Auch Ihr Biennale-Bild stammt aus einer Serie. Geben Sie uns doch bitte einen Einblick, in welchem Kontext das hier ausgewählte Motiv steht.

Gern. Alle Fotografien sind im November 2020 in Budapest entstanden. So schwierig diese Zeit für uns alle aus den bekannten Gründen auch war, ich wollte daraus auch lernen und mich den Folgen stellen. Zum ersten Mal in meinem Leben mit einer echten Leica Kamera zu arbeiten, war ein perfektes Geschenk zum 40. Geburtstag. Und da mein Privatleben auf dem Kopf stand, war die Leihgabe das einzige Geburtstagsgeschenk, das ich bekam. Das Thema „Warten“ hätte nicht besser passen können und ich habe es mit „Annehmen“ und „Verändern“ ergänzt. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, kann ich zugeben, dass das Akzeptieren von Misserfolgen und die aktive Arbeit an einer Veränderung für mich bisher unbekannte Konzepte waren.

Wie spiegelt sich das Konzept des „Wartens“ in der Aufnahme wider?

„Warten“ erscheint passiv aus meinem aktuellen Blickwinkel, der sich gegenüber dem im letzten November verändert oder verschoben hat. Ich glaube, ich sehe die Aufnahmen heute anders, aber was ich darstelle, ist „Versuch“ und „Scheitern“. Das Bild verdeutlich nicht, wie fatal das Scheitern ist. Das Bild zeigt vielleicht auch die Suche nach Reserven – allerdings wissen wir auch hier nicht, ob die Behälter gerade geleert wurden oder für ein baldiges Wiederauffüllen vorbereitet sind.

Den Aspekt des „Scheiterns“ haben sie in einem weiteren Motiv thematisiert, auf dem Sie selbst kopfüber eine Treppe hinunterstürzen …

Ja, mein Körper spielt in letzter Zeit eine wichtige Rolle in meiner Arbeit. Es ist eine Konfrontation mit meiner eigenen Vergangenheit, meinen Gefühlen und Emotionen.

Peter Puklus, This nude couldn’t descend on that staircase, 2020

Aber es steckt doch auch Humor in dieser Aufnahme, wenn Sie berühmte Treppenakt-Vorbilder von Marcel Duchamp oder Gerhard Richter zitieren und ihr Bild mit „Dieser Nackte konnte diese Treppe nicht hinuntersteigen“ betiteln?

Ich glaube nicht, dass ich privat ein lustiger Mensch bin, aber in letzter Zeit sind humorvolle oder spielerische Momente in meiner Praxis immer präsenter geworden. Auch auf Leistungen der Kunstgeschichte zu verweisen, ist für mich etwas sehr Grundlegendes, allerdings finden diese Zitate meist erst dann ihren Platz, wenn das Werk bereits fertig ist.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit der Leica M-A (Typ 127)?

In der Woche, in der ich die Kamera in der Hand hatte, begann ich mit Zeichnungen und Skizzen, eine übliche Methode in meinem Arbeitsprozess. Es ist erst ein paar Jahre her, dass ich komplett auf die digitale Technik umgestiegen bin, so dass mir die analoge Technik nach vielen Jahren mit Linhof-, Hasselblad- und Nikon-Kameras noch immer vertraut ist. Ich arbeite sehr gerne mit Leica! Ich liebe das Gewicht, die Haptik, den Klang und den reibungslosen Mechanismus. Die größte Herausforderung war es, die Kamera wieder in die Schachtel zu packen und sie am Ende der Woche nach Deutschland zurückzuschicken!

Werden Sie die Aufnahmen in einem anderen Kontext verwenden?

Auf jeden Fall! Einige von ihnen haben bereits eine wichtige Position eingenommen. Dieses Projekt fügt sich in meine aktuelle Arbeit mit dem Titel „40“ oder „Ich habe mein ganzes Leben lang gelogen“ ein.

Peter Puklus wurde 1980 in Kolozsvár, Rumänien geboren, er lebt und arbeitet in Budapest. Dort absolvierte er an der Moholy-Nagy Universität für Kunst und Design und in Paris an der École National Supérieur de Création Industriel (ENSCI) in Paris sein Studium. Neben der Fotografie, die immer im Mittelpunkt seiner Arbeit steht, gehören auch Skulpturen, Objekte, Gemälde, Installationen, Zeichnungen und Videos zu seinen Projekten. 2020 nahm er im Rahmen der Biennale für Aktuelle Fotografie mit seiner Buchinstallation „Handbook to the Stars“ an der Gruppenausstellung „The Lives and Loves of Images: When Images Collide“ im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen teil.

https://peterpuklus.com/

https://www.instagram.com/peterpuklus/?hl=de


 Andreas Langfeld

Andreas Langfeld, Mittwochnacht, Friedrich-Ebert-Straße, Corona Walk-in Testcenter, Düsseldorf, Oktober 2020

 

Wann und wo ist Ihr Bild entstanden?

Ende Oktober, es zeigt den nächtlichen, abgesperrten Vorplatz eines Corona-Testcenters in unmittelbarer Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhof. Dieses Testcenter war eines der Ersten, die in Düsseldorf provisorisch und schnell aufgebaut wurden.

Die Aufnahme gehört zu einer Serie, an der Sie bereits arbeiteten?

Ja, für das Thema „Warten“ schien es mir sinnvoll, an einer Serie weiterzuarbeiten, die sich mit der Corona-Pandemie beschäftigt. Seit März 2020 und dem ersten Lockdown fotografiere ich Interventionen im öffentlichen Raum, die als Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus getroffen wurden. Die Aufnahmen entstehen nachts und ich blitze. Die menschenleeren Abbildungen wirken künstlich und genauso unreal wie die Zeit, die sie dokumentieren. Die Orte, die ich fotografiere, sind oftmals öffentliche Orte der Begegnung, die ihrer Funktionen beraubt und unzugänglich gemacht wurden. Das immer wiederkehrende Motiv in dieser Serie ist das Absperrband. Es begrenzt unseren Bewegungsradius, bestimmt, was erlaubt ist und reiht sich neben Masken und Desinfektionsmittelspendern in die Ikonografie der neuen Normalität ein.

Wie spiegelt sich der Begriff des „Wartens“ in der Aufnahme wider?

Gerade zu Beginn der Pandemie hatte ich ganz stark das Gefühl, dass wir spürbar Geschichte erleben. Das fühlte sich spannend und bizarr zugleich an. Neue Verhaltensformen, ein sich stetig veränderndes Stadtbild – die Begrenzungen von unserem gewohnten Leben, die ein paar Monate zuvor noch unvorstellbar gewesen wären – waren schnell zur neuen Normalität geworden. Wir waren (und sind es noch) in einer Art Warteposition. Die Absperrbänder sind zudem ein Leitsystem für die Menschen, die für einen Corona-Test anstehen und ganz einfach warten.

Die Bilder der Serie sind also symptomatisch für die aktuelle Zeit.

Ja, sie sind Spuren einer tiefgreifenden, temporären Transformation des öffentlichen Raums und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderung. Zu Beginn der Krise, als das „normale Leben“ plötzlich stillstand, hatte es etwas Heilsames, nachts unterwegs zu sein, zu fotografieren und damit etwas Produktives zu machen. Raus aus der Schockstarre, raus aus der Warteposition. Die Fotografie ist ein gutes Werkzeug, sich Dingen zu nähern, das Unbekannte zu beobachten, das Bekannte anders zu betrachten und Fragen zu stellen. Ich verstehe die Arbeit als einen Versuch das, was seit März 2020 in meiner unmittelbaren Umgebung passiert, zu verstehen.

Warum haben Sie sich für den Farbfilm entschieden?

Die Wirkung der Bilder sollte etwas Dystopisches, Künstliches haben und gleichzeitig etwas, das real ist. Dadurch, dass ich nachts fotografiere und blitze, habe ich bereits einen starken Grad an Abstraktion in den Bildern. Schwarzweiß wäre da zu viel gewesen und hätte vielleicht das Gefühl von Aktualität zu sehr vermindert, da im Schwarzweißen etwas „Historisierendes“ mitschwingen kann.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der analogen Leica M-A (Typ 127) gesammelt?

Ich arbeite sowohl analog als auch digital und sehr gerne auch mit Messsucherkameras. Mit der Leica M-A zu arbeiten war also keine allzu große Umstellung. Außer das ich auf einen Handbelichtungsmesser zurückgegriffen habe. Ich mag das Gefühl des manuellen Scharfstellens mit der Leica sehr. Gleichzeitig war es eine Herausforderung, nachts bei sehr wenig Licht den Schärfepunkt richtig einzustellen. Doch man gewöhnt sich schnell an die digitalen Hilfsmittel wie Focus Peaking oder eine starke Vergrößerung des Bilds beim manuellen Scharfstellen.

Andreas Langfeld wurde 1984 in Düsseldorf geboren und studierte an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Er arbeitet im Bereich der künstlerischen Dokumentarfotografie. Auf der Biennale für aktuelle Fotografie war er mehrfach vertreten. So entwickelte er 2017 die Arbeit Newsroom-Editeure, deren Hauptteil im Zephyr Mannheim ausgestellt wurde und war am Projekt Lampedusa – Bildgeschichten am Rande Europas beteiligt. 2021 war er Vortragender auf dem Biennale-Symposium About Walking. Langfeld lebt und arbeitet in Düsseldorf.

http://www.andreaslangfeld.com

https://www.instagram.com/andreaslangfeld/


Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi, Teil 2

Das erste Plakatmotiv des Fotografenpaars Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi haben wir bereits kennengelernt, nun folgt eine zweite Arbeit für die Biennale-Plakataktion.

Jean-Marc Caimi und Valentina Piccinni, Stream of Consciousness, aus der Serie The Waiting Game, 2020

 

Die Arbeit mit der analogen Leica Kamera war für Sie keine ungewohnte Erfahrung?

Nein, wir sind aus unterschiedlichen Gründen mit Leica Kameras vertraut. Wir besitzen schon lange eine wunderschöne alte Leica M4 (deren Funktionalität der neuen M-A, die wir für das Projekt Waiting verwendet haben, stark ähnelt), die dem berühmten Mailänder Fotografen Enzo Nocera gehörte – ein großzügiges Geschenk seiner Tochter Laudie. Wir besitzen auch eine Leica R-E, eine Spiegelreflexkamera, die wir in Kombination mit dem unglaublichen Summicron-R 1:2/35 besonders schätzen. Wir hatten in den letzten Jahren auch einige Male die Gelegenheit, mit Leica Deutschland zusammenzuarbeiten, was uns die Nutzung der M Monochrom (Typ 246) und der M10-P ermöglichte. Mit diesen Kameras entstanden zwei Projekte, beide als Bücher veröffentlicht: Rhome ist ein reines Schwarzweiß-Projekt, das sich auf Rom und das konzentriert, was wir für den authentischen, wilden und nicht stereotypen Geist der Stadt halten. Und Güle Güle ist unser instinktiver Blick auf ein sich schnell veränderndes Istanbul, wo dramatische politische und soziale Ereignisse die Stadt verändern.

Welche Geschichte verbirgt sich hinter dem hier gezeigten Plakatmotiv?

Unser zweites Bild der „Warten“-Kampagne zeigt einen springenden Teenager an einem Strand an der Küste von Rom, der Stadt, in der wir leben. Wieder handelt es sich um eine „bewegte“ Aufnahme mit einer langsamen Verschlusszeit, sodass das Motiv in besonderer Weise mit dem Hintergrund, dem Meer, den Wolken und dem Sand verschmilzt.

Auch in dieser Aufnahme spielen die Zeit, das Innehalten und das Warten zusammen?

Ja, in konzeptueller Weise enthalten unsere Bilder eine Spannung, die auf Vollendung abzielt und in diesem Fall mit der Landung des Jungen nach seinem Sprung erfolgt. Das korrespondiert mit der Ikonografie griechischer Bildhauerei, bei der die Statuen menschlicher Körper immer von einem Gefühl der Bewegung geprägt waren, einer Geste, die andeutet, dass etwas im Begriff ist zu geschehen.

Welche Verbindungen gibt es zwischen den Plakat-Motiven und Ihren anderen Arbeiten?

Wir denken, dass die meisten erfahrenen Fotografen im Laufe ihrer Karriere die Möglichkeit hatten, eine einzigartige Vision zu entwickeln, die sich in ihren Bildern widerspiegelt. Diese Herangehensweise an die Fotografie setzt sich aus dem visuellen Inhalt selbst und den dahinterstehenden Ideen zusammen, die sich letztlich durch die ganzen verschiedenen Arbeiten ziehen. Die Projekte mögen unterschiedlich sein und sich mit weit entfernten Themen befassen, aber der Fotograf ist immer dabei, mit einer unverwechselbaren Prägung und Persönlichkeit. Deshalb sind wir der Meinung, dass der Fotograf nicht einfach nur beobachten, sondern in jeder Situation so nah wie möglich an seinen Motiven sein sollte, um sie so zu einem Teil des eigenen Lebens zu machen. Diese Erfahrung ist ja gerade das Unglaublichste, was man als Fotograf erleben kann.

Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi arbeiten seit 2013 gemeinsam an dokumentarischen und persönlichen Fotoprojekten. Sie konzentrieren sich auf zeitgenössische Themen, mit besonderem Augenmerk auf die menschlichen Aspekte jeder Geschichte. Ihre Arbeiten wurden international veröffentlicht, mit vielen Auszeichnungen geehrt und weltweit ausgestellt. Bislang haben sie fünf Bücher veröffentlicht, darunter die Trilogie über Städte im Wandel, bestehend aus Güle Güle über Istanbul, Forcella über Neapel und RHOME. Auf der Biennale waren sie 2020 in der Gruppenausstellung When Images Collide mit Güle Güle im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen vertreten.

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Sebastian Riemer

In dieser Woche stellen wir den Düsseldorfer Fotografen Sebastian Riemer vor. Wir sprachen mit ihm über sein Plakatmotiv.

Sebastian Riemer, Abstract Detail (Wehrhahn), 2020/2021 | © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

 

Mitten in Düsseldorf wird ein Kaufhaus geschlossen – was ist davon auf dem Bild zu sehen?

Entstanden ist das Bild am 24. August 2020 in Düsseldorf-Wehrhahn in der Zeit nach der Ankündigung der Schließung zweier direkt benachbarten Karstadt-Kaufhof-Filialen und vor der tatsächlichen Schließung eines der Häuser. Im Hintergrund sieht man den Eck-Eingang des Kaufhofs, in dem heute ein Fahrradladen ist. Die Zettel auf dem Pfeiler habe ich so fotografiert, dass die Texte größtenteils lesbar bleiben und sich eine zeitliche und räumliche Einordnung der Situation ergibt

Doch es gibt weitere Ebenen?

Ja, das Bild weist über diese Details der rechten Bildhälfte hinaus und soll Anlass zur individuellen Spekulation bieten. So wie das Bild quasi die Metadaten über Ort, Zeitraum und Thema buchstäblich eingeschrieben hat, kann der aufmerksame Betrachter auch die Belichtungsinformation über die Anzeige im Belichtungsmesser nachvollziehen.

Wie spiegelt sich der Begriff des „Wartens“ in der Aufnahme wider?

Auf verschiedenen Ebenen des Bildes: Zunächst in der Dokumentation der plakatierten Dinge im Kampf um den Erhalt des Warenhauses im Speziellen. Im Allgemeinen interessiert mich die Umwälzung unserer Lebensbereiche, in denen das Sterben des stationären Handels ein deutlich sichtbares Symptom ist. Damit verbunden ist auch wiederum die Art wie fotografiert wird, was mit Fotos passiert, was sie uns bedeuten, wie wir sie lesen und mit ihnen sprechen.

Warum ist der Belichtungsmesser so wichtig?

Mir ging es auch darum, den extrem kurzen Zeitraum der Belichtung (1/1000 Sekunde) mit dem langen Zeitraum der mit dem Motiv verbundenen Transformationen in Kontrast zu setzen. Zudem fand ich es inhaltlich spannend, dieses Bild rein analog auszuarbeiten. Also habe ich das Negativ nicht gescannt, sondern direkt in der Dunkelkammer gearbeitet. Mit der damit verbundenen Planung musste ich einige Monate warten, bis das Bild als großformatiger Barytabzug gefertigt werden konnte.

Wie waren Ihre Erfahrungen mit der zur Verfügung gestellten Leica M-A?

In den letzten zehn Jahren habe ich fast ausschließlich mit fremdem, gefundenem Bildmaterial gearbeitet. Die Einladung mit der Kamera wieder direkt zu fotografieren habe ich gern angenommen. Überraschend für mich war das Fehlen eines Belichtungsmessers in der Kamera. Also musste ich einen externen benutzen: ein Gerät, etwa in Form eines Smartphones, bei dem das Wissen um seine Funktion zunehmend verloren geht. Im Bild habe ich die Messkalotte des Geräts buchstäblich ins optische Zentrum gesetzt. Zudem gefiel es mir, die Spontanität, den sogenannten entscheidenden Augenblick, mit dem klassischerweise die Kameras der M-Serie von Leica verbunden werden, durch eine gestellte Aufnahme herauszunehmen. Es ist wie immer in der Fotografie: Man muss gegen bestimmte Aspekte der Technik vorgehen, um dann mit der Herausstellung anderer Aspekte zum Bild zu kommen.

Sebastian Riemer, 1982 in Oberhausen geboren, lebt und arbeitet in Düsseldorf. Er studierte bis 2010 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Thomas Ruff, dessen Meisterschüler er wurde. Arbeiten aus seiner Serie der Press Paintings waren 2020 im Rahmen der Biennale für aktuelle Fotografie im Heidelberger Kunstverein zu sehen.

http://www.sebastianriemer.de

www.instagram.com/sebastianriemer


Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi

In unserer ersten Folge stellen wir ein Plakat des Fotografenpaares Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi vor, das gleich mit zwei Motiven vertreten ist. Wir sprachen mit den beiden über ihre Arbeit.

Jean-Marc Caimi und Valentina Piccinni, Mealla, aus der Serie The Waiting Game, 2020

 

Was war die Idee für die Bilder und der daraus entstandenen Serie?

Die Serie entspringt der Idee, Fotografien von Natur und Mensch zu verschmelzen. Das ist in unterschiedlicher Weise ein typischer Ansatz für die meisten unserer persönlichen Projekte und Bücher. Das hier ausgewählte Motiv zeigt eine Langzeitbelichtung, eine Sternenspur in einer klaren Nacht in Umbrien, eine der schönsten und unberührtesten Regionen Italiens mit erhaltener Artenvielfalt. Wir waren fasziniert von dieser ungewöhnlichen botanischen Komposition in einer Region, in der Olivenbäume und Eichen den größten Teil der Landschaft prägen. Wir sind fasziniert vom polyrhythmischen Zusammenspiel der Kurven der Existenz, den Zyklen verschiedener Leben, pflanzlicher und menschlicher, die sich überschneiden und dann wieder trennen, um in neuen endlosen Zyklen wieder in Kontakt zu treten. Für uns sind diese Art von Gedanken wie Splitter von Anregungen, sich einen universellen höheren Sinn vorzustellen.

Wie spiegelt sich die Idee des „Wartens“ in dem Motiv wider?

In diesem Fall wird das Konzept des Wartens, des Innehaltens, eines zeitlichen Weges, den es zu queren gilt, in einem vielschichtigen Ansatz interpretiert. Sie betrifft die Verwendung des fotografischen Werkzeugs, um nicht einfach nur „den Moment zu ergreifen“, sondern in einem längeren Zeitraum zu verweilen, der sehr lang oder kürzer sein kann, aber immer in Bewegung ist. Das zwingt uns, darauf zu warten, dass die Fotografie ihre Reifung auf dem Bild abschließt. Auf eine eher konzeptuelle Weise enthalten die Bilder eine Spannung, die auf die Vollendung von etwas abzielt, wie hier mit der Bewegung der Sterne am Nachthimmel.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der von Leica zur Verfügung gestellten Leica M-A (Typ 127) gemacht?

In unserer Laufbahn haben wir viele verschiedene Kameras verwendet, sowohl analoge als auch digitale. Unser Arbeitsablauf ändert sich je nach dem Ergebnis, das wir erreichen wollen. Bei analogen Aufnahmen ist natürlich alles viel meditativer und ritualisierter, was uns sehr gefällt. Wir entwickeln unsere Negative immer mit unserer speziellen Technik, in unserer eigenen, speziell angefertigten mobilen Dunkelkammer, oft direkt am Ort des Geschehens. Wir denken, dass die Negative auf poetische Weise in die Energie eingebettet sind, die wir vor Ort erleben. Wir treiben auch gerne die Kameras an ihre Grenzen, indem wir zum Beispiel experimentelle Beleuchtungstechniken oder unorthodoxe Verschlusszeiten für die jeweilige Situation verwenden. Leica Kameras, vor allem die M-A, mit ihren grundlegenden, essenziellen Funktionen, sind dafür perfekt geeignet, da alles Notwendige im Vordergrund steht und wir uns auf die Bildgestaltung konzentrieren können, anstatt uns mit endlosen Menüs herumzuschlagen. Für uns ist das Fehlen des Belichtungsmessers in der Kamera die einzige wirkliche Herausforderung, da wir ungern einen externen Belichtungsmesser mitnehmen. Aber Fehler bei der Interpretation des Lichts können zu unerwarteten und sehr interessanten Ergebnissen führen.

Werden Sie die Aufnahme auch in einem anderen Kontext verwenden?

Darüber haben wir noch gar nicht nachgedacht. Einige der Aufnahmen könnten in der Zukunft wieder auftauchen und für eine neue Inspiration sinnvoll sein.

Valentina Piccinni und Jean-Marc Caimi arbeiten seit 2013 gemeinsam an dokumentarischen und persönlichen Fotoprojekten. Sie konzentrieren sich auf zeitgenössische Themen, mit besonderem Augenmerk auf die menschlichen Aspekte jeder Geschichte. Ihre Arbeiten wurden international veröffentlicht, mit vielen Auszeichnungen geehrt und weltweit ausgestellt. Bislang haben sie fünf Bücher veröffentlicht, darunter die Trilogie über Städte im Wandel, bestehend aus Güle Güle über Istanbul, Forcella über Neapel und RHOME. Auf der Biennale waren sie 2020 in der Gruppenausstellung When Images Collide mit Güle Güle im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen vertreten.

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Die nächste Biennale für aktuelle Fotografie startet am 19. März 2022 in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg mit der Eröffnung von sechs Ausstellungen. Die Biennale verbindet die drei Städte und ihre Kulturinstitutionen in einem städteübergreifenden Dialog. Ein umfangreiches Rahmenprogramm in Kooperation mit verschiedenen Partnern begleitet das Festival.

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