Mit viel Witz, Originalität und Erinnerungsstücken aus dem Haushalt ihrer verstorbenen Großeltern setzt Nina Röder ihre Mutter Dagmar und sich selbst in Szene. Aus ihren grotesk-absurden Tableaus spricht die Verarbeitung von Verlust und Trauer, der sie auf unsentimentale Art Ausdruck verleiht. Hier spricht sie darüber, wer und was sie inspiriert hat, das Konzept des absurden Theaters und warum ihr das quadratische Format ideal erscheint.
Wie ist es zu der Serie Champagner im Keller gekommen?
Als meine Großeltern vor drei Jahren starben, musste die Familie ihr Haus innerhalb von einer Woche ausräumen und verkaufen. Die meisten Habseligkeiten der Großeltern haben wir auf die Schnelle im Keller meiner Mutter gelagert. Mit ambivalenten Gefühlen von Verwunderung und Melancholie nahm ich Anfang 2020 alle Objekte, Einrichtungsgegenstände und vor allem die Kleidungsstücke meiner Großmutter in Augenschein. An Ort und Stelle haben meine Mutter und ich während des Corona-Lockdowns Porträts, Selbstporträts und Stillleben für die Kamera inszeniert und so eine Bühne für ein absurdes Theater geschaffen.
Erzählen Sie mehr von der Idee des absurden Theaters. Wie haben Sie es in den fotografischen Prozess integriert?
Samuel Beckett sagt im übertragenen Sinne über die Absurdität: Sie ist das Mittel unserer Zeit, wenn uns die Worte fehlen. Das trifft meiner Meinung auch auf den Verlust von Menschen zu. In Becketts Werk geht es zudem um Kommunikation, die nicht funktioniert – eine Kommunikation, die ins Leere läuft. Das absurde Theater hat deshalb sehr oft tragikomische Züge, die ich in meinen Fotografien wiedergeben will, in dem ich zum Beispiel intime Gegenstände wie die Gebissprothesen meiner Großeltern mit Objekten kombiniere, die in keinerlei sinnhaftem Zusammenhang stehen.
Persönliche Gegenstände als Requisiten absurden Theaters – ist das alles spontan entstanden oder sind Sie konzeptuell vorgegangen?
Eine Mischung aus beidem. Für einige Fotos gab es schon konkrete Konzepte, aber die Ergebnisse, die man letztlich sieht, sind meist in einem offenen, performativen Prozess entstanden. Man muss sich vorstellen, dieser Kellerraum ist voll von Objekten. Ein kleiner Bereich in diesem Raum wurde für den Hintergrund und die Blitzanlage freigeräumt. Falls mich ein Motiv also nicht komplett überzeugt hat, bin ich eben noch einmal eingetaucht in die Berge voller Gegenstände, um etwas zu finden, das das Motiv komplettieren könnte.
Handelt es sich bei den Gegenständen ausschließlich um Erbstücke oder haben Sie weitere Accessoires organisiert?
Alle Objekte, die auf den Bildern zu sehen sind, haben meinen Großeltern gehört. Sie waren nach dem Zweiten Weltkrieg aus Böhmen nach Bayern geflüchtet. Wie so viele Angehörige dieser Kriegsgeneration waren sie dann nicht mehr in der Lage, Dinge wegzuwerfen – sie wollten auf erneut schlechte Zeiten vorbereitet sein. Deshalb hat vor allem meine Großmutter seit den 1950er-Jahren einfach alles aufgehoben.
Was ist für Sie die größte Herausforderung beim Fotografieren?
Oft starte ich ein Projekt oder ein einzelnes Motiv mit einer bestimmten Vorstellung oder konkreten Bildern im Kopf. Bei der Realisierung dieser Ideen stellt sich manchmal heraus, dass sich gerade die fixen Vorstellungen im Kopf nicht als besonders spannend herausstellen. Deshalb brauche ich die Möglichkeit, dass während des fotografischen Prozesses Dinge passieren, die sich nicht planen lassen. Das beste Beispiel ist hier meine Mutter, die ich ja auch in Champagner im Keller häufig fotografiert habe. Sie ist als Porträtierte unberechenbar und kommt oft während des Fotografierens mit Ideen und Posen, die ich nie von ihr erwartet hätte. Also sehe ich als die größte Herausforderung, mich selbst nicht zu langweilen und das prägende Element zu finden und zuzulassen.
Sie arbeiten bevorzugt im quadratischen Format. Warum?
Meiner Meinung nach wird durch das Quadrat ein skulpturaler Aspekt im Fotografischen hervorgehoben. In dieser Serie habe ich nicht mehr mit dem direkten Blitz gearbeitet. Ich habe das für viele meiner Serien als geeignet empfunden, da die Ästhetik einer gewissen „cheapness“ dieser Blitztechnik im Zusammenhang mit emotionalen Themen zu einer spannenden Reibung führt. Bei dieser Serie habe ich mich für eine andere Lichtsetzung entschieden, weil die Tragikomik im Inhalt ausreichte. Außerdem arbeite ich viel an den Posen. Oftmals finde ich es interessanter, wenn Posen eher einen pausierten Handlungsablauf der Bewegung zeigen, als ein bewusstes Innehalten.
Sie haben mit der Leica SL2 und dem APO-Summicron-SL 1:2/90 ASPH. gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem System gemacht?
Ich muss sagen, ich war verliebt in die Kamera. Da ich vom analogen Mittelformat komme, habe ich die Bedienung und Menüführung als sehr intuitiv erlebt und nicht mit vielen Funktionen überladen. Das Improvisieren und Posieren für die Kamera stehen bei meiner Arbeitsweise im Mittelpunkt, weshalb beispielsweise die Serienbildfunktionen und die Optionen der Fokussierung eine technische Beziehung ermöglicht haben, in der ich viele Freiheiten hatte.
Haben Sie Visionen, wie Sie in Zukunft Ihre visuelle Sprache und Ihre Ausdrucksmöglichkeiten weiterentwickeln möchten?
In meinem Portfolio kristallisieren sich zwei Themenkomplexe heraus: Fotografien, die im Naturraum entstanden sind und unter anderem an Diskurse zur Postromantik anschließen, und Serien, die sich mit biografischen Narrativen meiner Familie auseinandersetzen. Meine Fotografien im Naturraum verhandeln unterschiedliche Aspekte psychischer Zustände im Zusammenhang mit dem Phänomen des Loslassens von Menschen. Derzeit arbeite ich an einem Projekt im tschechischen Marienbad, welches diese beiden Elemente miteinander verbinden soll.
Nina Röder, 1983 in Neuendettelsau geboren, studierte Theater-, Medien- und Literaturwissenschaft an der Universität Bayreuth (BA) und anschließend Medienkunst und Design mit dem Schwerpunkt Fotografie an der Bauhaus-Universität in Weimar. Seit 2017 ist sie Professorin für Fotografie an der University of Europe for Applied Sciences (ehemals BTK) in Hamburg. 2020 schloss sie ihre Promotion im Bereich der künstlerischen Forschung ab. Ihre Arbeiten waren auf internationalen Festivals und in Ausstellungen zu sehen, darunter das GoaPhoto Festival in Indien, der Europäische Monat der Fotografie in Berlin und das Format Festival in Derby. Weitere Arbeiten von Nina Röder finden Sie auf ihrer http://www.ninaroeder.de und auf Instagram http://www.instagram.com/ninaroeder.
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