In seiner jüngsten Serie Por este rio acima (Den Fluss hinauf) nimmt uns Gonçalo Fonseca mit auf eine besondere Reise: Er erkundet den Lauf des Rio Ceira, ein klarer Gebirgsfluss im Herzen Portugals. Auf einer Länge von 100 Kilometern fließt er verstohlen durch fast vergessene Dörfer und Kleinstädte, Orte, die im 21. Jahrhundert um ihre Existenz kämpfen müssen. Für den portugiesischen Fotografen war es ein sehr persönliches Projekt, da seine familiären Wurzeln in dieser Gegend liegen.

Sie leben in Lissabon – war die Reise in das ruhigere Landesinnere auch eine Reaktion auf die pandemische Lage?
Ja, die Pandemie hat uns alle in Mitleidenschaft gezogen und unsere psychische Gesundheit tief getroffen. Ich sehnte mich in gewisser Weise nach dieser Reise; in der Wildnis zu sein und die Chance zu bekommen, die vergangenen zwei Jahre in die richtige Perspektive zu rücken. Aus diesem Grund beschloss ich, von der Mündung des Flusses bis zu seiner Quelle, hoch oben in den Bergen der Serra do Açor, zu wandern.

Haben Sie eine Verbindung zu der Region?
Ja, meine Familie mütterlicherseits stammt von dort. Ich war als zwei Monate altes Baby das erste Mal da und verbrachte lange Zeit den ganzen Sommer dort. Ich bin an diesem Ort mitten in der Natur aufgewachsen und habe von meinem Vater und Großvater etwas über die Bäume und Tiere gelernt. Er war die spirituelle Heimat meiner Großeltern, in der sie sich ihren Wurzeln und der Natur nahe fühlten. Hier traf sich die ganze Familie zu besonderen Zeiten: zu Ehren der Toten im November, zu Ostern und im Sommer.

Gibt es Erinnerungen, die Sie besonders geprägt haben?
Ich verbrachte meine Kindheit dort und konnte stundenlang von zu Hause verschwinden, durch die Gegend stromern oder auf Bäume klettern. Ich habe sehr schöne Erinnerungen an diese Zeit: Pilze suchen und angeln mit meinem Großvater und Spaziergänge in der Wildnis mit meinem Vater, wo ich etwas über die verschiedenen Spezies lernte, die dort lebten.

Wie lange waren Sie für dieses Projekt unterwegs?
Ich war vom 12. bis 26. September 2021 dort. Ich ging den größten Teil des Weges allein, manchmal nahm mich aber auch jemand im Auto mit, sodass ich mein Ziel früher erreichte.

Sonst sind sie aber gewandert?
Mein Großvater wuchs in ärmlichen Verhältnissen in einem Dorf auf, das für seine hochwertigen Holzutensilien bekannt war. Als Kind liebte ich es, seine Geschichten aus jener Zeit zu hören, besonders wenn er von seinen Abenteuern erzählte, im Winter Hunderte von Kilometern zu Fuß ging, um seine Waren auf Märkten zu verkaufen, in Ställen zu schlafen und ganz verschiedene Menschen zu treffen. Ich glaube, ich wollte das in kleinerem Maßstab selbst erleben.

Das scheint eine große Herausforderung gewesen zu sein, nicht nur körperlich, sondern auch emotional.
Ich bin etwa 100 Kilometer in wirklich schwierigem Gelände gelaufen und hatte mit starken Winden und strömendem Regen zu kämpfen. Es war körperlich und emotional anstrengend, aber auch sehr friedlich. In diesem Bereich, der mir so vertraut und gleichzeitig sehr neu ist, fühlte ich mich dem Land und den Menschen sehr verbunden und das machte meine Arbeit viel instinktiver.

Gab es Erlebnisse, die Sie besonders beeindruckt haben?
Das Erreichen der Flussquelle war einer der Höhepunkte der Reise. Obwohl es dort nicht viel zu fotografieren gab und die Wetterbedingungen schrecklich waren, war es eine bemerkenswerte Erfahrung. Ich wachte vor Sonnenaufgang auf, damit ich rechtzeitig nach Malhada Chã, dem letzten Dorf vor der Quelle, zurückkehren konnte, um vor einem drohenden Sturm geschützt zu sein. Die Tage zuvor hatte ich mich mit Hirten unterhalten, die mir den Weg dorthin zeigten, einen steilen Hügel hinauf und selten beschrittenen Pfaden folgend. Ich ging zweieinhalb Stunden, um die Quelle zu erreichen, und als ich ankam, konnte ich wegen dichten Nebels kaum etwas sehen. Ich hörte nur die Paarungsrufe der Hirsche und das leise Summen sprudelnden Wassers.

Auf dieser Tour hatten Sie als einer der ersten Fotografen die Möglichkeit, mit einer Leica M11 zu arbeiten. Wie sind Sie mit der Kamera zurechtgekommen?
Zuerst war ich ein wenig eingeschüchtert. Wenn ich an die Geschichte der Fotografie dachte, in der so viele bemerkenswerte Bilder mit dem M-System erstellt wurden, beschlich mich das Gefühl, dass es eine gewisse Verantwortung sei, damit zu arbeiten.

Aber Ihre Aufnahmen belegen, dass Sie schnell mit der Kamera arbeiten konnten …
Ja, nach meiner ersten Reaktion war ich schon so sehr im Einklang mit dem System, dass es sich anfühlte, als hätte ich bereits mein ganzes Leben lang mit einer M-Kamera fotografiert. Am Ende der Reise fühlte ich mich extrem mit der Kamera verbunden, nachdem ich diese wunderbaren und emotionalen Erfahrungen gemacht hatte – mit ihr in der Hand.

Was hat Sie an der Arbeit mit der Leica M11 am meisten beeindruckt?
Die Farbwiedergabe und die feinen Details der Fotos haben mich wirklich überrascht. Ich hatte erwartet, dass es gut sein würde, aber nicht so gut wie das. Normalerweise muss ich Fotos ein wenig in Photoshop bearbeiten, damit sie so aussehen, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Mit der Leica M11 hat es fast bei allen Fotos ohne Bearbeitung genauso geklappt.

Hat Sie die Reise verändert?
Ich fühlte mich meinen Vorfahren und mir selbst näher. Es war eine schöne Abwechslung, an einer persönlichen Geschichte zu arbeiten, ohne zu wissen, was ich hinter der nächsten Straßenkurve erleben würde. Sie hat mich dazu gebracht, zu improvisieren und kreativer zu sein. Es war eine sehr lohnende Erfahrung und eine, die meine Praxis in Zukunft prägen wird.

Gonçalo Fonseca, geboren 1993, arbeitet als Dokumentarfotograf insbesondere an langfristigen Projekten. Seine Themen, bei denen er geografisch nicht festgelegt ist, beschäftigen sich hauptsächlich mit Menschenrechten, Gesundheit und Wohnen. Auf einen B.A. in Journalismus folgte ein fotojournalistisches Aufbaustudium an der Autonomen Universität Barcelona. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen internationalen Zeitschriften veröffentlicht. Für seine Serie New Lisbon erhielt 2020 den Leica Oskar Barnack Newcomer Award. Er ist Mitglied der Non-Profit-Organisation Photographic Social Vision und unterrichtet Fotografie am Projekt Pelos Teus Olhos in Chelas, Lissabon.
Mehr Arbeiten von Gonçalo Fonseca sind auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal zu sehen.

Ein Portfolio seiner aktuellen Arbeiten erscheint in der LFI-Ausgabe 2/2022.