In Zeiten der Rückbesinnung auf Ökologie und Erdverbundenheit widmet sich der Berliner Fotograf einem der ältesten Berufe: dem des Schäfers. Seine ausdrucksstarken Porträts zeigen ein Leben im Einklang mit der Natur, den Jahreszeiten und den Tieren. Und eine Utopie des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Was genau ist das Hüteland? Und wo liegt es?
Das Hüteland ist für mich jede Wiese mit Schafen und Schäfer. Man tritt in eine andere, in sich geschlossene Welt ein, in der ab dem ersten „Hallo“ sofort klar wird, dass sich hier alles um das Wohl der Tiere und die damit verbundene Arbeit dreht.

Was hat das Projekt ins Rollen gebracht?
Die Serie entstand im Rahmen eines Stipendiums der VG Bild-Kunst, das sich mit dem Thema Ökologie und Nachhaltigkeit in der Tierwirtschaft auseinandersetzt. Auf den Schäfer und die Schäferei bin ich gekommen, weil ich in meiner Kindheit und Jugend oft Zeit auf dem Hof mit dem Schwager meines Großvaters verbrachte, der Schäfer war. Das war damals für mich eine Welt, die mit dem Stadtleben nichts zu tun hatte, ein Mikrokosmos, so still und ausgeglichen, als wäre die Zeit stehengeblieben. Für mich als Städter wirkte das sehr beruhigend.

Ihre Serie erzählt von der harmonischen Verbindung vom Menschen und seiner Umwelt, von Mensch und Tier. Wie wichtig ist diese Verbindung heute noch?
Sehr wichtig, wie ich finde. Zum einen psychisch, da Tiere Ruhe, Entspannung und Ausgeglichenheit fördern und den Stress reduzieren, was uns auch im Umgang mit unseren Mitmenschen entspannter macht. Zum anderen, um den Kontakt zur Ursprünglichkeit nicht zu verlieren. Speziell in der Nutztierhaltung sollte das Tier nicht als Ware verstanden werden, sondern als Lebewesen mit Gefühlen, das es wertzuschätzen und zu respektieren gilt.

Wie sieht die Arbeit eines Schäfers aus und was macht sie so besonders?
Es ist eine harte Arbeit. Der erste Gedanke des Schäfers am Morgen und der letzte am Abend ist bei den Schafen. Früh wird die Herde aus dem Pferch gelassen und das Hüten beginnt, der Schäfer hat dabei ein wachsames Auge auf die Herde, ob etwa ein Schaf humpelt oder es Nachzügler oder schwache Tiere gibt, die entnommen werden müssen. Zusätzlich müssen die Tiere auf der Weide getränkt werden. Dann fallen viele Arzttermine an: Impfen, Ohrmarkierung, Klauenpflege, Wurmkur. Und einmal im Jahr werden die Schafe unter großem Aufwand und kostenintensiv geschoren. Die stressigste Periode ist die jährliche Lammzeit, in der täglich Lämmer zur Welt kommen und der Schäfer in einigen Fällen Geburtshilfe leisten muss. Besonders beeindruckt hat mich die Arbeit der Hütehunde, die unermüdlich Dienst an der Herde tun. Die Besonderheit in der Arbeit eines Schäfers liegt in dem persönlichen Verhältnis, der täglichen unmittelbaren Nähe und der Verbundenheit zu den Tieren. Der von mir porträtierte Schäfer kennt zum Beispiel so ziemlich jede Nummer der Ohrmarken und weiß, wann die Tiere geboren wurden.

Wofür steht für Sie der Schäfer?
Er ist für mich ein Inbegriff von Friedlichkeit. Zum Teil auch für vergessene Tugenden im Umgang mit Tieren, für Verantwortung, Hingabe, Ruhe und Leidenschaft. Und er verkörpert ein romantisches Bild von Harmonie mit der Natur, den Tieren und Jahreszeiten.

Wie war Ihre fotografische Herangehensweise, was wollten Sie zeigen?
Mein Ziel war es, so nah wie möglich heranzukommen und immer dabei zu sein. Ich wollte die harte Arbeit und den wunderbaren Beruf abseits des klischeehaften Bildes vom Mann, der bei der Herde steht und in den Sonnenuntergang schaut, dokumentieren. Es ist in dem Sinne eine Arbeitsreportage geworden. Es gibt dabei Tage, da passiert eigentlich nichts, da herrscht Schweigen, da fressen die Tiere nur. Eine Art Geduldsspiel. Dann wiederum gibt es Tage, an denen Action herrscht, da werden die Klauen geschnitten, die Hunde laufen um die Herde herum, zwicken in die Wolle der Ausreißer. An jenen Tagen habe ich meine Bilder quasi erlaufen.

Ist Ihre Serie eine Hommage an den Schäfer und damit auch an das Vergängliche?
Ja absolut! Ich würde sagen, die Serie hat zudem auch etwas Bewahrendes. Sie bewahrt die Schäferarbeit, das Handwerk, die Tradition. Die klassische Schäferei ist ein Kulturgut, sie gehört zu den ältesten Berufen überhaupt und ist vom Aussterben bedroht. Es gibt kaum noch Schäfer, die man sieht, da es leider gesellschaftlich sowie wirtschaftlich eine wenig gewürdigte Arbeit ist.

Sie haben für Ihre Aufnahmen die Leica M (Typ262) verwendet, wie war Ihre Erfahrung und wie sah der fotografische Prozess aus?
Scharf stellen, auslösen, fertig: Die Kamera hat mir nach Jahren mit einer Spiegelreflexkamera den Spaß an der Fotografie zurückgebracht. Man schaut einfach anders hindurch, sieht andere Motive, bekommt ein besonderes Verhältnis zu dem, was man fotografiert hat. Es steckt mehr Handwerk dahinter, dadurch ist die emotionale Verbindung zum Ergebnis viel größer. Mit der Kamera geht man keinem auf den Geist, sie ist kein riesiges Instrument, sondern reduziert, unauffällig, sympathisch. Korrigiert habe ich die Bilder nur in den Tiefen, im Kontrast und im Licht, um sie ein wenig rockiger zu gestalten, damit man den Schmutz und den Dreck besser spüren kann. Deshalb habe ich auch in Schwarzweiß fotografiert, das passte perfekt zum Thema und unterstreicht die Härte und das Erdige der Arbeit.

Sebastiao Salgado hat einmal gesagt: „Wir sind nicht mehr Teil der Natur“.
Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Zumindest in unserem Kulturkreis sind wir oft nur noch Nutzer, aber kein Teil der Natur mehr. Wir sind Spaziergänger oder Zuschauer. Das zeigt auch das Beispiel eines Radfahrers, der während meines Shootings kurz bei der Herde stoppte und fragte, warum das eine Schaf so anders aussähe als alle anderen … Antwort des Schäfers: „Das ist ein Ziegenbock.“ Real world. Insofern ist meine Serie ein Einzelfall, ein Ausnahmebeispiel, ein Vorbild. Es wäre schön, wenn es mehr davon gäbe, wenn man Tierhaltung mehr fördern würde. Wir müssen Ressourcen schonen, behutsam mit Natur und Tieren umgehen. Jeden Abend, wenn der Schäfer seine Tiere verabschiedet, raunt er ihnen zu: „Behüt’ euch Gott.“ Damit ihnen nichts passiert.

Martin Krüger, geboren in Stralsund, lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und begann seine Karriere im Bereich Ballett- und Opernfotografie. Anschließend arbeitete er für namhafte Plattenlabels und Magazine wie Rolling Stone und Vice. Nachdem er jahrelang bekannte Gesichter und große Namen porträtiert hat, konzentriert er sich jetzt auf Geschichten, die eher abseits des Rampenlichts bleiben, obwohl sie genauso bemerkenswert sind. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Martin Krüger auf seiner Website oder Instagram-Kanal.

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