Ein kleiner Würfel aus Quarzglas, mit dem gelaserten Quasi-Fingerabdruck eines Baums von der Erde: Das Kunstwerk The Cosmic Tree von Jamal Ageli ist Teil des Moon Gallery Projekts und trat am 19. Februar 2022 seine Reise zur Internationalen Raumstation ISS an, bevor es 2025 auf der Mondoberfläche installiert werden soll. Bei der Umsetzung der Idee fand der Fotograf die Unterstützung von Leica, den Quarzglas-Experten von Heraeus und den Laser-Spezialisten der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena.

 

 

Ein gewisses Sendungsbedürfnis scheint der Menschheit bereits sehr lange in den Genen zu liegen: Seit der ersten Mondlandung waren kaum acht Jahre vergangen, da schickte die NASA zwei Sonden in die Tiefe des Weltraums: Voyager 1 und Voyager 2 traten 1977 ihren langen Weg an und senden ihre faszinierenden Bilder und gesammelten Daten bis heute – 55 Jahre später – zurück zur Erde. Seit einigen Jahren durchqueren sie den interstellaren Raum. Um eine ungefähre Vorstellung von der Entfernung zu bekommen, sei bemerkt, dass eine Nachricht, die mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist, aktuell rund 18 Stunden benötigt, um Voyager 1 zu erreichen, bei Voyager 2 sind es sogar mehr als 21 Stunden – für eine Richtung wohlgemerkt. Zum Gepäck beider Sonden gehören die Sounds of Earth, vergoldete Kupferscheiben mit Bild- und Audiodateien von der Erde: Grußbotschaften in 55 Sprachen, typische Geräusche und eine bunte Musikauswahl, die von Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart über melanesische Panflöten bis zu Louis Armstrong und Chuck Berry reicht. „Wenige Missionen können je die Errungenschaften der Voyager-Sonden erreichen. Sie haben uns über die zuvor unbekannten Wunder des Universums aufgeklärt und die Menschheit inspiriert, unser Sonnensystem und alles darüber hinaus zu entdecken“, konstatierte NASA Manager Thomas Zurbuchen im Februar 2021 im Bayrischen Rundfunk.

 

Heute geben wir erneut Zeugnis unserer Existenz ab, mit einem Kunstwerk auf dem Mond. Der Fotograf und Videokünstler Jamal Ageli ist Teil dieses Projekts, zu dem 64 Künstlerinnen und Künstler beitragen. „Die Moon Gallery ist ein internationales Gemeinschaftskunstwerk und eine Galerie der Ideen“, heißt es dazu auf der Projektseite, „die es wert sind, zum Mond geschickt zu werden.“ Ziel der Moon Gallery sei es, das erste ständige Museum auf dem Mond einzurichten. Das Projekt werde die 64 Artefakte bereits 2025 im kompakten Format 10x10x1 cm großer Platten auf der Außenverkleidung einer Mondlandefähre auf den Trabanten schicken. „In dieser einer Petrischale ähnlichen Galerie entwickeln wir eine Kultur für eine zukünftige, interplanetare Gesellschaft.

 

 

Jamal Ageli nennt seinen Beitrag The Cosmic Tree und will damit den exponentiellen Wandel einer Waldlandschaft, die durch den Klimawandel und extreme Wetterphänomene geformt wird, reflektieren: „Über Millionen von Jahren haben Pflanzen die Bildung unserer Stämme, Dörfer und Zivilisationen geprägt. In all diesen Zivilisationen wurde das menschliche Dasein durch das Bild einer Pflanze ausgedrückt – den kosmischen Baum als Quelle allen Lebens in allen Kulturen und ihrer Kosmologie. Dieses einzigartige Symbol wurde durch koloniale und hierarchische Herrschaftsvorstellungen abgeschafft, die unsere Beziehung zu Pflanzen zunehmend bis zu dem Punkt gelockert haben, an dem wir heute stehen.“

 

Gemeinsam mit Heraeus, der Ernst-Abbe-Hochschule in Jena und Leica, wird seine Idee in die Tat umgesetzt. Ermöglicht durch hochreines Quarzglas und der Technologie, sein Bild in den gepressten Block zu lasern. Dabei geht es um nicht weniger, als der Unbill der Bedingungen auf dem Mond zu trotzen. Wir haben mit Jamal Ageli über seinen Beitrag zur Moon Gallery gesprochen.

 

 

Jamal Ageli, als Astrofotograf greift man gewissermaßen nach den Sternen, doch dass Kunst von Dir erst an Bord der internationalen Raumstation ISS und schließlich auf die Mondoberfläche gelangt, ist schon sehr außergewöhnlich. Wie bist Du zur ESA (European Space Agency) und zum Projekt Moon Gallery gekommen?

Ich habe mich schon früh für Astrofotografie interessiert und war sofort begeistert als ich in Onlineforen erfahren habe, dass man dafür nicht das Equipment einer professionellen Sternwarte braucht. Dennoch war es für mich damals noch unerschwinglich und ich habe erst einmal mit einer klassischen Fotoausrüstung begonnen. Es war ein Praktikum bei der ESA ESTEC (European Space Research and Technology Centre), das mir den Zugang zur ESA gelegt hat, bei der ESA ESTEC bin ich das erste Mal mit Raumfahrttechnik aus nächster Nähe in Kontakt gekommen. Die Arbeit als Fotograf und Director of Photography in den Laboren hat mich sehr gereizt. Durch mein Praktikum habe ich dann auch das Projekt Moon Gallery kennengelernt und war sofort fasziniert von der Idee, Kunst in den Weltraum zu bringen. Der Gedanke, dass diese Kunst dann für immer auf dem Mond bleiben wird, hat einen sehr monumentalen Charakter und sucht nach besonderen Aspekten unserer irdischen Existenz.

 

 

 

Dein Kunstwerk ist etwas sehr Irdisches – das Foto der Jahresringe eines Baums, in Quarzglas gelasert. Es ist ein Stück Natur, dass uns ganz ungeschminkt unsere Verantwortung für die Erde vor Augen führt. Was verbindest Du damit und welche besondere Bedeutung hat es, dass Du damit Teil des Mondprojekts sind?

Meine Projekte, egal ob Fotografie, Film oder Multimedia, sind oft ganzheitliche Betrachtungen und Recherchen des Themas Landschaft. Das bezieht sich oft auf die kosmische, aber auch die irdische oder technologische Landschaft in der wir uns befinden, da diese für mich miteinander verbunden sind und in ständigem Austausch stehen. Die Moon Gallery erschien mir als ein interessanter Teil dieser Landschaftsrecherche und ist das erste Mosaik, dass alle diese drei Aspekte miteinander vereint. Für mich hat es insofern eine besondere Bedeutung, als ich mir die Frage gestellt habe, wie ein Kunstwerk aussehen könnte, das im wahren Sinne des Worts auf die Erde herabblickt und auf all diese menschlichen Prozesse, die die Erde verändern, herabblicken kann. Satellitenaufnahmen, die die Abholzung des Regenwalds dokumentieren und diese regelrechten Fräsmuster, die der Mensch in den Wald schlägt, wirken auf mich entsetzlich und waren eine der ersten Inspirationen, um ein Design zu entwickeln, dass diesem besonderen außerirdischen Ausstellungsort und der Idee einer künstlerischen Zeitkapsel gerecht werden kann. Der Ausstellungsort Weltraum bringt nicht nur viele Restriktionen in puncto Material mit sich, sondern wirft auch viele Fragen zu ökologischen Problemen wie Raketenstarts und dem Materialverbrauch hochtechnisierter Umgebungen wie der ISS oder einer Landefähre auf. Dennoch ist das Projekt Moon Gallery on Grund auf ressourcenbewusst erdacht, da es nur Flüge nutzt, die ohnehin schon geplant sind und die die Moon Gallery aufgrund ihres kleinen Formats mitnehmen können.

 

 

Der Flug zur ISS stellt einen Testflug der Moon Gallery dar, bei dem Material und Design der Kunstwerke auf die Besonderheiten der ISS angepasst werden. Es gilt zu testen, wie sich bestimmte Materialien in der Schwerelosigkeit verhalten. Insofern ist die Moon Gallery und damit auch mein Kunstwerk, ein sich ständig entwickelnder künstlerischer Prozess, in dem auch verschiedene Materialien ausprobiert werden müssen, die mit der ökologischen Kritik des Kunstwerks vereinbar sind. The Cosmic Tree ist etwas sehr Irdisches, die Idee geht weit über das Schicksal eines einzelnen Baums hinaus. The Cosmic Tree – im Deutschen auch Weltenbaum oder Weltenesche genannt – ist eines der ältesten Symbole in der menschlichen Mythologie und findet sich in den Erzählungen fast aller Kulturen auf der ganzen Welt. In diesen Erzählungen stellt der Weltenbaum die universelle Quelle allen Lebens dar und verbindet Himmel und Erde miteinander. Diese uralten Sagen, in denen der Weltenbaum als Tor zum Himmel erscheint und Himmel und Erde durch seine enorme Größe miteinander vereint, fand ich als formgebendes Konzept und als Titel für dieses doch recht spezielle außerirdische Ausstellungsprojekt sehr interessant.

 

 

Was möchtest Du mit Deinem Beitrag erreichen?

Ich denke, dass fast jeder ein gewisses Bewusstsein für den kollektiven Verlust hat, den wir gerade erleben und dem gegenüber uns machtlos fühlt. Wir sind momentan in einer Phase, in der sich zwar ein neues Bewusstsein für die Umwelt entwickelt hat, das aber eher durch Klima-Inaktivismus und Misstrauen gegenüber Lösungen geprägt ist. In diesem Spannungsfeld, das in erster Linie Politik und Wirtschaft beeinflussen, denke ich, dass Kunst eher idealistisch ist und keinen nennenswerten Beitrag durch echte, anwendbare Lösungen bietet. Deshalb sehe ich das, was Kunst erreichen kann, realistisch. Dennoch bin ich auch überzeugt, dass wir in den nächsten Jahrzehnten ein komplett neues Kunstgenre erleben werden, das die weltweiten ökologische Katastrophen zum Hauptbestandteil der Kunst machen wird, weil deren Effekte zunehmend sichtbar sind und sich noch beschleunigen werden. Auch in meiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Landschaft wird das ein entscheidender Bestandteil sein. Ich bin davon überzeugt, dass das Thema Landschaft schon immer politisch war und in Zukunft noch politischer werden wird, da der Klimawandel bereits jetzt omnipräsent ist. Die Präsenz der Krise wird in den nächsten Jahren noch deutlicher werden und alle Bereiche unseres Lebens bestimmen. Die Pandemie gibt uns quasi einen bitteren Vorgeschmack darauf, was uns in Zukunft erwartet. Diese Zukunft macht mir persönlich große Angst und mein Idealismus wird zunehmend von meinem Pessimismus unterwandert. Deshalb habe ich die Moon Gallery als Anlass genommen, ein Kunstwerk zu schaff en, das mit dem aktuellen Verstummen angesichts der Klimakrise arbeitet. Für mich persönlich ist dieses Kunstwerk eine Art Zeitkapsel, die in 20 Jahren noch einmal eine neue Bedeutung haben wird. Was in dieser Zeit mit der Landschaft, in der wir leben passieren wird, steht im Fokus meines Schaffens in der Moon Gallery. Es befindet sich in einem ständigen Entwicklungsprozess, da ich glaube, dass die komplexen Zusammenhänge nicht durch ein einzelnes Kunstwerk dargestellt werden können, wohl aber in einer zusammenhängenden künstlerischen Auseinandersetzung mit ihnen.

 

Gibt es einen Austausch mit den anderen Künstlerinnen und Künstlern, die Teil der Moon Gallery sind, oder liefern sie ihre Beiträge und sind im Übrigen autark?

Die Künstler stehen im (Online-)Austausch miteinander, es gibt Community Meetings der Moon Gallery und die Ausstellungen, die in verschiedenen Ländern und Museen organisiert werden, bieten Gelegenheiten für den künstlerischen Austausch. Dennoch hat die Pandemie in den letzten zwei Jahren alles verkompliziert. Trotzdem arbeitet die Stiftung der Moon Gallery an einem kontinuierlichen Austausch aller Künstler und entwickelt neue Möglichkeiten und Optimismus. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bei den Organisatoren bedanken, die trotz der Pandemie und der Schwierigkeiten dieses außerirdischen Vorhabens immer die Vision und Idee Moon Gallery vertreten und unermüdlich an diesem Projekt arbeiten!

 

Weißt Du schon, wo Du sein wirst oder sein möchtest, wenn die Trägerrakete mit dem Lunar Lander 2025 zum Mond startet?

Eine interessante Frage, mit der ich mich aber noch nicht sehr oft beschäftigt habe. Es ist noch so lange hin, bis die Rakete tatsächlich abhebt. Ich muss zugeben, dass es schon ein großer Traum von mir ist, einen Raketenstart live zu erleben. Beim Start zur ISS werde ich per Livestream dabei sein, da ich in der momentanen Pandemielage eine Reise nach Virginia nicht für verantwortungsvoll halte. Ich freue mich, den Start zur ISS am 19. Februar zusammen mit meiner Familie von Zuhause aus miterleben zu können. Es ist auch nicht im Sinne des Projekts, Flugreisen zu unternehmen, deshalb wäre ich beim Start zum Mond 2025 auch glücklich, das Spektakel über einen Livestream verfolgen zu können. Was auch immer in den nächsten Jahren passieren wird, ich bin sehr froh, Teil dieses internationalen Projekts zu sein, weil es gerade nicht an einen speziellen Standort gebunden ist und alle Teilnehmenden etwas zum Projekt beitragen, egal wo sie sich auf der Erde befinden.

 

 

 

Wie geht es für Dich weiter, was sind die kommenden großen Projekte und welche Rolle spielt Leica dabei für Dich?

Momentan arbeite ich an meinem Abschlussprojekt, einer Foto- und Videoinstallation, die im Juni in Den Haag ausgestellt wird und danach Teil verschiedener Ausstellungen sein wird. Diese Installation steht auch in Verbindung zur Moon Gallery und meiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema Landschaft: eine Installation, die Himmel und Erde in einem Kurzfilmnarrativ miteinander vereint. Dabei freue ich mich auch auf die Unterstützung durch Leica und deren Beteiligung an diesem neuen Projekt. Nach dieser Abschlussausstellung habe ich schon einige neue Projekte geplant, die ich gern – auch im Zuge der Moon Gallery – verwirklichen möchte. Da ich das Projekt als work in progress sehe, möchte ich eine multimediale Plattform zum Thema Klima-Angst und Klima-Inaktivismus entwickeln, die verschiedene Online- und Offline-Ebenen haben soll. Die Idee ist, verschiedene Medien neben der Fotograf e sowie weitere Künstler miteinander zu verbinden, um eine ganzheitliche Betrachtung zu ermöglichen. Natürlich habe ich noch einige andere kleine Projekte geplant, die ich aber erst nach meinem Abschlussprojekt beginnen werde. Leica ist für mich als Partner sehr interessant, weil das Unternehmen neben der Erfahrung mit Kameras und Optiken auch ein Teil der anhaltenden Diskussion ist, wie sich Fotografie in den nächsten Jahren verändern wird. Gerade die Dokumentarfotografie, die für Leica ein wichtiger Eckpfeiler der Markenidentität ist, sehe ich im Umbruch. Insbesondere wenn es um die Positionierung zum Thema Klimawandel geht, ist ein Technologie-Unternehmen wie Leica ein wichtiger Teil der Diskussion, das Medium Fotografie als solches nachhaltiger zu machen. Diese Frage ist nicht nur existenziell für die Fotografie, sondern für alle, die mit oder für dieses Medium arbeiten.

 

JAMAL AGELI (*1997): Der deutsche Fotograf und Videokünstler lebt zwischen Frankfurt/Main und Amsterdam. Er arbeitet für verschiedene kommerzielle Kunden und hat seine Arbeiten bereits in mehreren internationalen Ausstellungen gezeigt. Aktuell macht er seinen Bachelor of Design in Fotografie an der Royal Academy of Arts in Den Haag.

www.jamal-ageli.com

Instagram: @studioageli