Es heißt, Goethe habe die glücklichsten Stunden seines arbeitsreichen Lebens in Blumenläden, Landschaften und Gärten verbracht. Der Leica-Fotograf Michael Agel setzt in seinem Projekt Aussagen des Dichters über die Natur fotografisch um und verbindet Objekte seiner Wahl mit Originalzitaten. 250 Jahre nach dem Aufenthalt Goethes in Wetzlar wird die Leica Welt im Leitz-Park mit dem Geist des deutschen Schöpfers und Naturforschers in einer Ausstellung wiederbelebt.

Was war der Anlass für Ihr Projekt?

Vor 250 Jahren ist Goethe für ein Praktikum am Reichskammergericht nach Wetzlar gekommen. Diesen Aufenthalt feiert die Stadt ausgiebig. Da mich Goethe als Person schon immer interessiert hat, habe ich mir überlegt, was ich fotografisch zu diesem Jubiläum beitragen könnte. Zunächst wollte ich mich seiner Farbenlehre widmen. Je intensiver ich mich allerdings mit seinen Beobachtungen beschäftigt habe, umso interessantere Themen entdeckte ich. Zum Beispiel war mir nicht bewusst, wie sehr er sich im Gebiet Mineralogie auskannte. Auch seine Forschungen in der Pflanzenwelt sind sehr umfangreich. So fing ich also an, aus all diesen Bereichen Zitate zu sammeln, die ich dann mit einem passenden Bild untermauern wollte.

Mit den Zitaten stehen nun Worte am Beginn oder am Ende Ihrer Serie – wie sind Sie ihnen gefolgt?

Für mich stand das Zitat am Anfang und ich überlegte mir dann ein passendes Motiv. Mit einer Suchmaschine habe ich viele Aussagen und Zitate Goethes online gefunden. Ob diese dann aber tatsächlich genauso von Goethe stammten, war nicht sicher. Deshalb habe ich Kontakt zur Wetzlarer Goethegesellschaft aufgenommen, die mich als Fachleute sehr hilfreich bei der Recherche und dem Korrekturlesen der fertigen Zitate unterstützt haben. Die Rechtschreibung war vor 250 Jahren schon eine andere als heute. Da ich in diesem Punkt authentisch bleiben wollte, haben wir sie übernommen.

Wie sind Sie bei der Motivwahl vorgegangen, wonach haben Sie gesucht?

Meistens hatte ich mehrere Motive für ein Zitat im Kopf. Für mich war es wichtig, Motive zu finden, die Goethe theoretisch auch vor 250 Jahren hier in Wetzlar gesehen haben konnte. Es gibt nachweislich Wege, die er gerne hier in der Umgebung gewandert ist. Auf diesen Wegen habe ich die meisten Motive gesucht und auch gefunden. Eine Ausnahme war das Eisenerz „Goethit“. Ein Erz, das schon zu Lebzeiten ihm zu Ehren so genannt wurde. Es kommt eher nördlich von Wetzlar vor – ich habe es im Mineralogischen Museum in Marburg fotografiert.

Warum ist <em>Goethe, der Umweltpoet</em> für Sie heute noch aktuell?

Ich selbst bin ein großer Naturliebhaber und verbringe dort viel Zeit. Die Faszination, die Goethe zu seinen Lebzeiten dort erfahren hat, kann ich gut nachvollziehen. Gerade im 21. Jahrhundert ist die Natur ja ein Ort des Entschleunigens, Erholens und Wohlfühlens. Neben den Themen Krieg und Corona ist die Natur gerade aber auch ein Problemfall. Verschmutzung der Meere, Klimaerwärmung, Verdrängung der Natur allgemein, finden ja täglich statt. Da wäre es wünschenswert, wenn mehr Menschen die Sichtweise von Goethe teilten.

Was fasziniert Sie als Fotograf an den natürlichen Begebenheiten der Erde?

Was mich wahnsinnig fasziniert, ist, wie die Abläufe in der Natur funktionieren. Besonders wenn der Mensch nicht eingreift. Alles ist perfekt aufeinander eingestellt. Die Natur leistet da eine fantastische Arbeit. Diese schönen Dinge darzustellen und zu zeigen, spornt mich an.

Wie schwierig war es für Sie, die Objekte zu fotografieren?

Makrofotografie ist wohl das treffende Wort. Wenn ich mir ein Objekt ausgedacht und gefunden habe, habe ich es von allen Seiten betrachtet, um seine „schönste“ Seite zu finden. Dabei richtete ich mich nach Form, Farbe, Geometrie und Struktur. Gerade die Vielfalt zwischen Pflanzen, Mineralien und Tieren zu fotografieren, machte für mich das ganze sehr spannend.

Sie haben im Studio mit der Leica S vor weißem Hintergrund gearbeitet – was hat die Kamera leisten können?

Die Leica S ist derzeit meine Lieblingskamera. Ich liebe ihr Handling und ihre einfache Bedienung. Natürlich spielt auch die Bildqualität eine Rolle. Gerade der Verlauf von Schärfe in Unschärfe finde ich im Mittelformat genial. Die Idee, vor hellem, fast weißem Hintergrund, zu fotografieren, stammt ebenfalls von Goethe. Er hat sehr viele Skizzen mit Detailzeichnungen – zum Beispiel von Pflanzen – angefertigt. Das waren dann unter anderem Pflänzchen mit Wurzel und Blüte auf weißem Papier. Diese Bildsprache wollte ich gern übernehmen. Die Aufnahmen im Leitz-Park-Studio zu machen, hatte praktische Gründe. Dort habe ich kontrollierte Bedingungen, die wiederholbar sind. Die Aufnahmen wurden ja nicht alle auf einmal aufgenommen.

Welche Details haben Sie selbst entdeckt im Zuge des Fotografierens?

Manch unscheinbare Objekte, wie Pilze oder Steine, sehen im Detail faszinierend aus. Oder die kleine Spinne: Sie war nur etwa fünf Millimeter groß und erst später am Bildschirm habe ich ihre Augen wahrgenommen, die mich beobachteten, wie es scheint.

Inwieweit sind Ihre Bilder Symbole des Lebens?

Das Leben ist vielfältig, genau wie die Natur. Meine Bilder der Natur inspirieren hoffentlich dazu, sie zu schätzen wie zu schützen.

Michael Agel, 1970 geboren, lebt in Wetzlar. Am Anfang war es die Naturfotografie, die ihn reizte, später widmete er sich hauptsächlich der Musik und hielt Bands wie Metallica für Zeitungen und Zeitschriften fest. Ob Künstler, Handwerker oder Sportler: Sein wichtigstes Anliegen ist es, Geschichten mit der Kamera zu erzählen. Seit Mitte der 1990er-Jahre hat er eine Festanstellung bei der Leica Camera AG als „Haus- und Hoffotograf“.

Die Ausstellung Goethe, der Umweltpoet mit Bildern von Michael Agel ist bis August 2022 als Teil des Goethesommers der Stadt Wetzlar im Leitz-Park-Wald  zu sehen.