Kunterbunt, süß und oft auch klebrig ist das Material, mit dem Jan von Holleben seine neue Serie gestaltet hat. Mit welchen Überraschungen und kreativen Ideen er immer wieder zu spannenden Bildserien findet, hat er vielfach unter Beweis gestellt. Vor allem seine auf dem Boden seines Studios aus großer Höhe fotografierten Legearbeiten mit Menschen und diversen Requisiten haben seine unverwechselbare Bildsprache geprägt. Vor Kurzem hat ihn Edda Fahrenhorst, Kuratorin des Umweltfotofestivals Horizonte in Zingst, eingeladen, im Rahmen und unter dem diesjährigen Motto Eat It – About Food eine Serie zum Thema Zucker zu entwickeln. Das Ergebnis: schon auf den ersten Blick unwiderstehlich! Wir sprachen mit dem Fotografen über seine Arbeit und den visuellen Zuckerschock.

Welche Absprachen gab es für die Serie?
Die Arbeit zum Thema Zucker sollte heiter und einladend, aber eben auch kritisch sein. Nach dem Einkauf kam dann auch gleich der erste Schrecken: So günstig hatte ich selten kiloweise Requisiten und Recherchematerial eingekauft. Viel mehr, als ich mir jemals vorstellen konnte, alleine zu vertilgen. Der Gedanke daran gruselte mich und doch freute ich mich auch schon auf das Auspacken meiner Beute.

Stand der Titel Sugar WOW! von Beginn an fest?
Ja, recht bald nach den ersten Bildern und nachdem eine weitere Großbestellung Süßigkeiten in meinem Studio eingetroffen war: 30 Kilogramm haushaltsübliche Portionen in einer riesigen Kiste. Der Traum aller Kinder – und aller Zahnärzte. Allein der Geruch beim Öffnen der Kiste – da könnten einem wirklich einige Synapsen durchknallen. So eine Masse Zucker in Bestform, da wowt einfach jeder! Das ist faszinierend und beängstigend. Für mich stand der Ausdruck ab sofort für Drama und die gleichzeitige Begeisterung für dieses magische und auch so gefährliche Kristall.

Offenbar haben Sie sich mit größter Lust und Leidenschaft in das Thema gestürzt.
Ja, die Formen, Farben und die Haptik vereinten sich zu einem großen Spiel meines eigenen kleinen Kunst- und Ästhetikvokabulars. In Kürze hatte ich diese Serie zusammengebaut.

Daher sind auch viele Bezüge zur Kunstgeschichte zu entdecken?
Ja, Weggefährten und Vorbilder sind immer wichtig. Ich bin kein Freund von Kopien, aber von Inspiration, und daher verstehe ich mich und andere als Katalysatoren der Kultur. Darum sind Referenzen überall zu finden und auch wichtig, um Zusammenhänge aufzuzeigen. Zum Beispiel fand ich in meinem Studio ein Stück blaues Papier und als ich ein paar Süßigkeiten darauf legte sagte mein Kopf: Miró! Und je mehr ich mit den Objekten spielte, desto mehr Zufriedenheit erlangte ich. Ich dachte an Kandinsky oder Baumeister und dann ging es rund … ob mit Space Invaders oder Miró, Rothko, Pollock und Warhol als Vorbildern. Die Stillleben kamen ganz zum Schluss, als mein visueller Alltag ganz von den Süßigkeiten eingenommen war. Ich sah Süßes überall.

Die Serie erscheint in einigen Motiven auch durchaus ambivalent.
Ja, klar, dass wir dann am Ende noch zuckerperlengefüllte Spritzen dazu packten, war nur folgerichtig. Denn schon längst hatte ich in diesem Prozess den Zucker für mich als Droge definiert. Dass einem meiner Bekannten statt Haare bunte Streusel wuchsen, war auch eine dieser logischen Entwicklungen, denn wo soll der massiv konsumierte Zucker sonst hin, wenn nicht aus allen Poren wuchern? Das teuflische Schlaraffenland hatte bei mir Einzug genommen und die Verführung und der Schrecken fanden kein Halten mehr.

Die meisten Motive dieser Serie kommen aber – anders als üblich bei Ihnen – ohne Menschen aus.
Ich konnte mich dadurch noch stärker auf das Objekt Zucker konzentrieren. Ich wollte alles aus ihm rausholen und ganz frei agieren. Mit Menschen zu arbeiten bedeutet immer viel Vorausplanung und Koordination. Ich hatte deswegen nur wenige Mal Menschen im Studio. Sonst ließ ich mich einfach sehr vom Stoff treiben.

Wo bestehen die größten Unterschiede zu Ihren bisherigen Serien?
Der zeitliche Rahmen war mit sechs Monaten sehr weit gesteckt und ich habe bisher noch nie so intensiv und lange an einem Thema gearbeitet. Normalerweise arbeite ich ein bis fünf Tage an einem Projekt, manchmal mit ein paar Wochen Vorbereitung, aber sonst sehr konzentriert auf wenige Produktionstage. Das war dieses Mal sehr besonders.

Wo lagen bei Sugar WOW!die technischen Herausforderungen?
Technik ist wirklich nicht mein Fokus. Alles fängt mit einer Idee an. Ich bin ein Freund erster Ideen. So muss ich dann auch nicht weitermachen, wenn die im Kasten sind. Aber bei manchen Bildern gibt es oft noch Perfektionierungsbedarf, wobei ich immer nur Perfektionist bei der Idee bin, nicht bei der technischen Ausführung. Die technische Ausführung darf nie ganz perfekt sein, sonst ist sie für mich langweilig. Es muss immer Fehler geben, denn nur dadurch fangen meine Bilder an zu leben. Sie werden glaubwürdig.

Seit wann arbeiten Sie mit Leica Kameras?
Seit diesem Projekt. Erst durch die Zusammenarbeit mit Leica lernte ich die Vorzüge der SL2 im Studio kennen. Das war eine Lernkurve für mich, die mich dann am Ende mit wunderbaren Bildern belohnte. Die Auflösung im Vergleich zu meiner eigenen Kamera überraschte mich dann doch sehr.

Werden Sie an der Serie weiterarbeiten?
Ich habe schon vor der Serie mit Süßigkeiten bestimmte Themen illustriert. Das wird sicherlich auch wieder passieren. Aber erst einmal bin ich froh, dass die Süßigkeiten im Giftschrank verschlossen sind. Mal sehen, wann ich da wieder dran darf …

Jan von Holleben, 1977 geboren, begann bereits mit 13 Jahren zu fotografieren. Er studierte zunächst Behindertenpädagogik, danach erlangte er am Surrey Institute of Art and Design in London einen Abschluss in Theorie und Geschichte der Fotografie. Er war Bildredakteur und Artdirector, gründete zwei Fotografen-Gruppen bevor er selbst zur Fotografie zurückkehrte und vor allem mit seinen Legearbeiten seit Jahren für Furore sorgt. Seine bekannteste Serie ist Dreams of Flying. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. Erfahren Sie mehr über Jan von Hollebens Fotografie auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.

Der Fotograf ist mit einem Portfolio zur Serie Sugar WOW! in der LFI 6/2022 vertreten.

Leica SL2

Es ist Ihre Entscheidung.