Der junge französische Fotograf Rafael Yaghobzadeh befindet sich mit seinen Leica Kameras stets im Mittelpunkt des Geschehens. Er fotografiert im Libanon – und erforscht den Zeitgeist im Land, in der Gesellschaft und in den Städten. Seine Arbeit besteht aus dokumentarischen, journalistischen und oft sehr persönlichen Bildern – zusammen stellen sie das visuelle Zeugnis eines Landes in der Krise dar.

Was kommt Ihnen zuerst in den Sinn, wenn Sie an den Libanon denken?
Das Meer, die Berge und die Sonne. Daran könnte ich auch Fall von Marseille, Neapel oder anderen Städten am Mittelmeer denken, aber beim Libanon geht es mehr um Farben – das Blau, das Grün und das Gelb.

Wie nehmen Sie die Krise im Land in den letzten Jahren wahr?
Sehr emotional und sehr persönlich. Meine Großmutter mütterlicherseits – Colette – war Libanesin und meine Mutter Nadine wurde in Alexandria geboren, lebte aber als Jugendliche in Beirut, auch während des Bürgerkriegs. Damals traf sie meinen Vater und sie ließen sich in Paris nieder. Ich und meine Familie waren zum ersten Mal anlässlich des Geburtstags meiner Mutter im Oktober 2019 im Libanon. Buchstäblich alles, was ich in dem Jahr gesehen habe, wurde im folgenden Jahr innerhalb weniger Augenblicke zerstört. Ein paar Tage nach der Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 besuchte ich im Rahmen eines Auftrags auch den Friedhof, auf dem meine Großmutter liegt, und stellte fest, dass ihr Grabstein durch die Explosion zerstört worden war. In gewisser Weise kann ich mich in Beirut zu Hause fühlen, aber die Arbeit dort berührt mich schon.

Ihre Aufnahmen sind Teil eines langfristigen Projekts?
Ja, das Projekt habe ich 2019 begonnen und arbeite weiter daran. Davor hatte ich fünf Jahre lang ununterbrochen in der Ukraine gearbeitet. Ich wollte eine Pause machen und bin im Libanon gelandet. Ich schätze langfristige Projekte, die Zeit gibt ihnen Kraft: Der Sinn liegt darin, ein Thema in alle möglichen Richtungen zu verfolgen, von verschiedenen Standpunkten, mit wachsendem Wissen über seine Geschichte, die Orte und den Prozess insgesamt.

Mit welchem fotografischen Ansatz haben Sie dieses Projekt begonnen?
Zunächst ging ich mit einem News-Ansatz daran, denn im Oktober 2019 stand das Land vor einer historischen Protestwelle. Le Monde, Internazionale und andere Zeitschriften haben meine Bilder veröffentlicht. Im Jahr darauf kam ich drei Tage nach der großen Explosion an und arbeitete für Liberation, Globe and Mail und Paris Match. Neben den Aufträgen begann ich auch, an persönlichen Projekten in verschiedenen Formaten zu arbeiten – 120 mm, Sofortbildkamera, Telefonkamera. Das ist eine Möglichkeit, einen Schritt zurückzutreten und eine Geschichte frei zu komponieren – wie eine Untersuchung ihrer Ursprünge oder eines Teils ihrer Identität. Ich plane, Ende 2022 meine persönlichen Projekte im Libanon fortzusetzen.

Wer sind die Menschen, die Sie porträtiert haben, und wie haben Sie ihre Themen ausgewählt?
Die porträtierten Personen stammen aus verschiedenen sozialen Schichten und haben unterschiedliche Religionen. Es sind Menschen, die sich der Krise sehr kritisch und schmerzhaft gestellt haben. Wie Raja, der seinen Schwiegervater wegen der Medikamentenknappheit verlor, oder Tahani, deren Mann sich erhängte, weil er seine Tochter nicht mehr ernähren konnte. Ich wollte die Menschen hervorheben, die alles verloren hatten oder die sich bereits vor der Krise in einer prekären und verletzlichen Situation befunden hatten. Es war mein Ziel zu zeigen, wie ein Land zusammenbricht und seine Bevölkerung mit in den Abgrund reißt. Ich wähle meine Themen je nach Anlass, journalistisch oder persönlich, aus. Bevor es losgeht, setze ich mich intensiv mit dem Thema auseinander.

Worin bestand aus fotografischer Sicht die größte Herausforderung?
Darin, in einem Land, das sich seit den 1990er-Jahren in einer Dauerkrise befindet und seit Jahrzehnten fotografiert wird, mit viel Scharfsinn andere Bilder zu finden. Grundsätzlich ist es immer eine große Herausforderung, Chaos und Unglück zu fotografieren – man muss den richtigen Abstand halten.

Welche Leica Kameras haben Ihnen geholfen, Ihre Ziele zu erreichen?
Ich benutze Leica Kameras seit mehr als zehn Jahren, heute hauptsächlich die Q und die M (Typ 240). Ich bin zufrieden, selbst wenn ich während eines einmonatigen Einsatzes im Libanon lediglich mit einer Kamera und einem Objektiv arbeite.

Rafael Yaghobzadeh, 1991 in Paris geboren, hat an der Sorbonne Geschichte studiert. Ab 2011 war er Beobachter der Aufstände in der arabischen Welt und berichtete über weitere Aufstände und Konflikte in Europa und im Nahen Osten. Drei Jahre später begann er, sich mit der Flüchtlingssituation in Calais, Paris und auf der Balkanroute auseinanderzusetzen. Seit 2014 dokumentiert er die Situation in der Ukraine und die vielen Facetten der dortigen Gesellschaft – von der Revolution in Kyjiw über das Referendum auf der Krim bis hin zum Krieg im Donbas. Seine Arbeiten erscheinen in Le Monde, Libération, im Stern, Spiegel, in Le Temps, Le Figaro, Fisheye und Polka. Am 24. Februar 2022 hielt er sich in der Ukraine auf und berichte von dort vier Monate für Libération und Le Monde. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Rafael Yaghobzadeh auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.