Seit 20 Jahren beschäftigt sich Jürgen Gad mit der Ästhetik des Zen. Nach der Lektüre des Buchs Kire. Das „Schöne“ in Japan, verfasst von dem japanischen Philosophen Ryōsuke Ōhashi, kam dem Fotografen die Idee für sein neues Projekt: die Zusammenführung von Natur, Dichtung und japanischer Ästhetik.

Was bedeutet Natur, speziell die Blüte, für Sie? Wofür steht sie?
Für mich als Naturwissenschaftler ist die Natur die große Lehrmeisterin. Aber Natur ist auch noch eine unendliche Inspirationsquelle, wenn man sich ihr ästhetisch nähert. Der rein selektive Blick auf die Natur, den der Naturwissenschaftler werfen muss, führt unweigerlich zur geistigen Verarmung, da dieser Blick nur den Intellekt fordert. Nur wenn man beides zusammen praktiziert, erfährt man die Natur – und dabei sich selbst – als Ganzes. Die Blüte steht stellvertretend für die ganze Natur, der Mensch eingeschlossen. Denn, um einmal eine Zen-Weisheit zu zitieren: Das Teil existiert nicht ohne das Ganze, das Ganze nicht ohne das Teil. Also ist im Teil das Ganze existent und umgekehrt.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Blüten ausgewählt?
Die Blüten stammen aus meinem Garten. Ich habe sie gepresst – wie sie danach aussehen, ist nicht genau vorhersehbar, da die Stauchung der Blüte durch den Pressvorgang sich nicht genau steuern lässt. Welche Blüten ich am Ende tatsächlich für ein Foto auswähle, kann ich erst entscheiden, wenn das Pressen beendet ist.

Wie haben Sie die Blüten fotografiert?
Ich habe die Blüten auf einen Leuchttisch gelegt und mit einer Kombination aus Durch- und Auflicht fotografiert. Die Auswahl des Bildausschnitts habe ich mithilfe des Displays bestimmt, die Scharfstellung erfolgte mit dem Autofokus. Die Zeitautomatik in Verbindung mit der Kontrolle des Histogramms ergab die korrekte Belichtungszeit. Die Vorlaufzeit vor der Aufnahme habe ich auf 12 Sekunden gelegt, damit es nicht zu Erschütterungen kam, da die Bilder im Pixelshift-Modus entstanden, also mit mehreren Aufnahmen (Multishot).

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Leica SL2-S gemacht?
Für mich sind Kameras nicht nur Gebrauchsgegenstände, sondern auch ästhetische Objekte. Die SL2 besticht durch ihren minimalistischen Ansatz, der mich an die Designleitlinie „form follows function“ erinnert. Mir ist wichtig, wie sich die Kamera anfühlt, wenn man sie in die Hand nimmt. Die Größe ist genau richtig, nicht zu klein, aber auch nicht zu groß und damit schwer. Sehr positiv ist auch der hochauflösende elektronische Sucher zu bewerten, der einen sehr klaren Bildeindruck vermittelt. Wichtig für die hier vorgestellten Aufnahmen waren insbesondere der elektronische Sucher, der elektronische Verschluss und der Pixelshift-Modus.

Wie haben Sie die Bilder bearbeitet?
In Hinsicht auf die Schärfungsalgorithmen war hier der Raw-Konverter besonders gefordert, da das ursprüngliche Foto ja relativ weich erscheint. Wie ich im Laufe meiner Versuche mit dem Pixelshift-Modus festgestellt habe, erhöht das Konvertieren der 96 Megapixel großen Raw-Dateien in 24 Megapixel große Tiff-Dateien die Bildqualität erheblich. Im 100-Prozent-Modus auf dem Bildschirm betrachtet, sieht man Fotos, wie sie kaum besser vorstellbar sind. Druckt man sie auf dem heimischen Drucker, erhält man Bilder, die einen dreidimensionalen Eindruck hinterlassen. Der Grund dafür ist vermutlich die sehr differenzierte Wiedergabe feinster Details.

Wie wichtig war Ihnen Farbe und Struktur der Aufnahmen?
Ich habe lange überlegt, wie ich die Farbe der gepressten Blüten darstellen sollte. Sollte ich sie aufhübschen, künstlich die Farbintensität erhöhen? Letztlich ergibt das keinen Sinn, denn dann passiert, was man oft in naturfotografischen Ausstellungen erlebt: dass die Farben viel zu bunt eingestellt worden sind. Sieht man dann das Lebewesen in der Realität, ist der Eindruck oft enttäuschend, denn es entspricht nicht der von den Fotos vermittelten Erwartung. Bei den Kire-Fotos habe ich deshalb darauf geachtet, dass sie dem Original möglichst gleichen, insbesondere auch weil sich die ursprüngliche Farbigkeit durch das Pressen abschwächt.

Was haben Sie selbst beim Fotografieren der Blüten entdeckt?
Beim Fotografieren ist mir die Zartheit der gepressten Blüten aufgefallen, die sich, wenn man sie von unten beleuchtet, gut eignet, die interne Struktur hervorzuheben, die man im bloßen Auflicht sonst nicht erkennt.

Was wollten Sie mit Ihren Bildern über die Schönheit der Blüten hinaus zeigen?
Der Begriff „kire“ bedeutet soviel wie abschneiden, abtrennen. Für die Serie Kire habe ich ihn wörtlich genommen. In der Ästhetik des Zen nutzt man diesen Kunstgriff, um das Dargestellte, in dem Fall die Blüten, nicht als bloße Abbildung erscheinen zu lassen, sondern um auf das jeweils relationale Gegenteil hinzuweisen. So ist etwa der Tod nicht der unüberbrückbare Gegensatz des Lebens, sondern Leben und Tod bedingen einander, sind also nicht voneinander zu trennen.

Jürgen Gad, 1954 geboren, fotografiert seit seiner Kindheit. Er ist promovierter Naturwissenschaftler, hat Geologie, Paläontologie und Zoologie studiert und arbeitete hauptberuflich als Geologe und Paläontologe. Heute ist er Pensionär und geht seiner Leidenschaft, der Fotografie, nach. Ihn fasziniert die Ästhetik des Zen. Dazu betreibt er eine Website, auf der er auch zahlreiche Fotos veröffentlicht.

Leica SL2

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