3.070 Kilometer liegen zwischen Brandenburg und der Algarve. Drei Monate lang widmete sich die Fotografin Kim Heintzen den Landschaften, in denen sie sich auf ihrer Reise aufhielt. Nicht selten erschreckten sie dabei die Monokulturen, die eintönig und trostlos ihre Wege säumten. Ihr Projekt ist ein Appell an das Erhalten natürlicher Zustände, eine Erinnerung an den Reichtum und die Vielfalt der Umwelt und zugleich eine Kritik an der heutigen Wegwerfgesellschaft.

Wie sind Sie auf die Idee für das Projekt gekommen?

Ich bin mit meinem Partner zu seiner Familie nach Portugal gereist, die dort am Mount Foía ein bereits 30 Jahre biodivers angelegtes Grundstück besitzt. Wie bei mir zu Hause in Brandenburg wollte ich dort den Prozess des gemeinsamen Arbeitens, die sozialen Individuen und die unterschiedlichen Landschaften und Naturzustände ringsherum erforschen und dokumentieren. Eine Art Bestandsaufnahme dessen machen, was bereits nicht mehr ist, aber einmal war, und vielleicht wieder sein wird. Das etwa drei Hektar große Grundstück wollten wir zur Feuerprävention von dichter oder bereits toter Vegetation räumen und die Pflanzung angestammter Arten vorbereiten. Renaturierung und Kulturarbeit.

Unterscheidet sich in Portugal die Verantwortung für die Umwelt im Vergleich zu Deutschland?

Ich denke, es ist zielführender nach den Verantwortlichen zu fragen. Der Fokus auf die Verantwortung der in beiden Ländern lebenden Menschen ist ein Irrweg. Im Hinblick auf den Klimawandel etwa entfallen 60 Prozent der Treibhausgas-Emissionen auf „nur“ 90 Konzerne weltweit. Die Verantwortlichen für den heutigen Zustand der in meiner Serie abgebildeten Landschaften sind also in der Agrarpolitik, genauer der Forstpolitik, der letzten Jahrzehnte zu suchen. Die Folgen dieser gescheiterten Forstpolitik sind in beiden Regionen ähnlich: Große Bereiche der ehemals kleinteiligen und vielfältigen Kulturlandschaft werden heute von Monokulturen mit Eukalyptus oder Kiefern (Brandenburg) dominiert. Mit dem Verlust dieser Kulturlandschaft ging und geht nicht nur die Lebensgrundlage der Bevölkerung verloren, sondern auch Habitate und Ökosysteme.

Was wollten Sie mit Ihren Bildern zeigen?

Die Lücken des Systems und vor allem die daraus resultierenden Folgen sichtbarer zu machen, war mir ein großes Anliegen. Ich nehme diese Serie als eine gestalterisch kritische Bestandsaufnahme wahr. Landflucht ist ein strukturelles Problem, eine Folge der Industrialisierung und der gescheiterten Fürsorge der Politik für die Naturräume und Menschen in den ländlichen Regionen. Während Wohnraum in den Städten immer teurer wird, werden Landschaften und Ökosysteme weitreichend zerstört: Wo werden wir leben, wovon wollen wir uns in Zukunft ernähren?

Was hat Sie auf Ihrer Reise besonders irritiert?

Schockierend war eigentlich jedes Passieren einer Eukalyptus-Monokultur mit den ins Auge stechenden erodierten Böden und den immer gleichbleibenden grünen und braunen Tönen der Eukalyptuspflanzen. Diese Pflanzenart ist eigentlich wunderschön, nur gehört sie nicht nach Portugal, sondern wurde vor zirka 70 Jahren zur Produktion von Zellulose aus Australien importiert. Ich habe mich erschrocken darüber, keine Vögel in den Plantagen zu hören und nur vereinzelt Käfer zu entdecken. Vor Ort konnte ich sehen, wie dieser Zustand 2018 zum größten Brand Europas führte. 270 Quadratkilometer sind dabei verbrannt, Existenzen wurden zerstört, Ziegen, Kühe, Gemüsegärten, Leben gingen verloren. Die Plantagen mit einem hohen Ölgehalt in den Eukalyptusblättern brennen schnell.

Sie pointieren Ihre Aufnahmen durch künstliche Farbigkeit. Wie ist Ihre fotografische Herangehensweise?

Das Arbeiten mit außergewöhnlichen bildgebenden Verfahren resultiert aus meiner Überzeugung, dass die Möglichkeiten der traditionellen Fotografie begrenzt sind, um zeitgemäß wiederzugeben, in welchen Zuständen wir uns befinden. Das digitale Fotografieren bezieht sich bei mir nicht nur auf den Moment des Auslösens, sondern auch auf das Lesen und Hören von Kontexten und Hintergründen zu dem, was ich erlebe. Daraus und auch aus dem Sichten der Aufnahmen, ihrer Manipulation und Verfremdung, ergeben sich ein Gefühl und eine Geschichte.

Es gibt auch Fotos, die in einem gewissen Sinn „natürlich“ geblieben sind …

Die „natürlichen“ Aufnahmen benötigen keine Verfremdung, keine Zuspitzung. Die manipulierten Bilder eröffnen die Geschichte und zeigen einen Querschnitt dessen, was rechts und links der Straßen auf den 3.070 Kilometern zwischen Brandenburg und der Algarve und dann vor Ort auf dem Foía zu sehen ist. Industriell bewirtschaftete Landschaften. Im Laufe der Serie lässt sich eine Abnahme der Manipulation beobachten – im gewissen Sinne eine positive Aussicht auf die zu erhaltenden Zustände.

Sie haben für Ihre Serie die Leica SL2-S verwendet, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Eine schöne Erfahrung war die Veränderung meiner Sehgewohnheiten. Zu Beginn reizte mich beinahe jede Pflanze, sie zu fotografieren, weil die technische Aufnahme der Realität so ausdrucksstark war. Doch nach und nach entspannte sich meine Körperhaltung und damit auch meine Wahrnehmung. Ich bewegte mich im lautlosen Dialog mit der Kamera in der Umgebung. Harrte aus und beobachtete, fotografierte vereinzelte Sequenzen und weniger Bilder als zuvor. Der Blendenbereich ermöglichte mir, in beinahe jeder Lichtsituation zu fotografieren, und diese Situationen konnte ich mit dem Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/24–90 ASPH. dank des Zooms in Echtzeit wahrnehmen. Die Symbiose zwischen Blüten und Insekten, aus Pilzen und Algen aus nächster Nähe aufzunehmen war großartig. Die 24-mm-Brennweite gab mir immer wieder die Möglichkeit, Momente der Landschaften im Weitwinkel festzuhalten. Die hohe Auflösung der ersten Bilder war der Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung der Photoshop-Filter, die ich gern benutze, um Bildelemente oder ganze Inhalte hervorzuheben und so sichtbarer zu machen.

Der Titel Ihrer Serie lautet Fürsorge gegen Armut – wie ist er zu verstehen?

Aus meiner Perspektive ist die Dominanz unserer individuellen Freiheit, das heißt, das machen zu können, wonach es uns gelüstet, eine Gefahr für die vielen natürlichen Systeme. Was wäre, wenn wir Freiheit stattdessen im Sinne eines pluralen Verständnisses von Freiheit wahrnähmen? Die daraus resultierenden Handlungen könnten nicht nur uns selbst, sondern auch anderen Menschen, unserer Umwelt und insbesondere Pflanzen und Tieren zugutekommen. Der Titel meiner Serie bezieht sich also auf die Folgen einer Armut unserer Freiheiten. Fürsorge ist dabei der handlungsbezogene Ansatz, mit dem ich dieser Armut in Portugal begegnet bin: fürsorgliches Handeln, bewusstes Wahrnehmen von Perspektiven, Möglichkeiten, Prioritäten und Verantwortung.

Wie wichtig ist das „Erhalten“ für Sie?

In Zeiten von Massenproduktion ist es mir ein großes Anliegen, Ressourcen einzusparen und Zustände zu bewahren, die erhaltenswert sind. Dabei ist es wichtig, im steten Austausch mit anderen Menschen zu stehen, Meinungen von Expertinnen und Experten einzuholen und das wiederzuverwenden, was noch zu benutzen ist. Hinsichtlich des Umgangs mit der Natur ist es relevant, jene natürlichen Zustände zu erhalten, die noch oder wieder gesund sind, gleichzeitig aber auch Landschaften zu renaturieren.


Kim Heintzen, 28, kommt aus Oldenburg und studiert derzeit im Masterstudium Mode, Mensch & Gesellschaft an der Hochschule für Künste Bremen. Nach ihrem Fachabitur im Bereich Gestaltung lebte und arbeitete sie einige Monate in Myanmar, in dieser Zeit begann sie zu fotografieren. Ihre während des Studiums entstandenen Arbeiten sind etwa in den Magazinen Brutal und Breathe erschienen, zu deren Herausgeberkreis der Fotograf Joachim Baldauf gehört.