Er bezeichnet sich selbst als „wandernden Fotografen“ und produziert, geleitet von Intuition und Zufall, eindringliche und melancholische Motive in Schwarzweiß. Mit der Leica M6 und seinem untrüglichen Gespür für Licht und Komposition verwandelt Javier Campano das Alltägliche in Poesie.

Warum trägt Ihr Projekt den Titel The Wandering Eye?
Ich liebe es, ziellos herumzuwandern und mich in Städten zu verlieren. Ich reise gern und sehe die Dinge mit frischem Blick: die Hotels einer Stadt, die Zimmer, aus deren Fenstern man die Stadt sieht, die Schaufenster und Schilder; die Bars, jede mit einem anderen Namen; die Märkte und Buchhandlungen …

Wo sehen Sie die Grenze zwischen einem Street Photographer und einem Wanderer?
Ich glaube, dass wandernde Fotografen instinktgeleitet sind – von Impulsen ohne festes Skript. Sie treffen Entscheidungen und wählen Routen, die dem Zufall Raum geben.

Wann haben Sie mit diesem Projekt begonnen?
An dem Tag, an dem ich meine erste Kamera bekam, mit der ich auf die Straße ging, um zu lernen – lernen zu fotografieren und zu sehen.

Ist ein Ende dieses langfristigen Projekts absehbar?
Ich habe kein Ende geplant. Es wird so lange dauern, bis ich das letzte Mal mit meiner Kamera losgezogen sein werde.

Ihre Bilder haben eine sehr ruhige, manchmal sogar melancholische Atmosphäre. Was möchten Sie mit Ihrer Arbeit vermitteln?
Obwohl es nicht meine Absicht ist, ist es unvermeidlich, dass die Aufnahmen eine nostalgische und melancholische Komponente haben – vielleicht wegen des Verlaufs der Zeit und der Vergänglichkeit des Augenblicks, der sich nicht wiederholen lässt. Es könnte sein, dass das Schwarzweiß auch zu diesem Empfinden beiträgt.

Aus welchen Gründen fotografierenSie in Schwarzweiß?
Ich habe von Anfang an Schwarzweiß bevorzugt, weil es unruhiger und poetischer wirkt. Außerdem war es damals für einen Fotografen, der gerade angefangen hat, viel einfacher, weil man seine eigenen Abzüge machen konnte. Farbfilme mussten ins Labor – mit Ergebnissen, die nicht nur teuer waren, sondern oft auch nicht zufriedenstellten. In den letzten Jahren macht es mir aber sehr viel Spaß, in Farbe zu fotografieren. Ich habe keine Vorurteile gegen die Verwendung von Digitalkameras, die sich ständig verbessern und ermöglichen, die Farben besser zu kontrollieren.

Sie haben Jura studiert und dann in einer Bank gearbeitet. Was brachte Sie dazu, Fotograf zu werden?
Ich beschloss, nicht mehr als Anwalt in einer Bank zu arbeiten, weil es mich nicht befriedigte. Es hat mich nicht erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits ein begeisterter Fotograf. Ich abonnierte zwei hochwertige Fotomagazine, die die Klassiker und zeitgenössische Fotografen präsentierten: auf Englisch Creative Camera und aus der Schweiz Camera. Fotobücher kaufte ich ständig und war von Tag zu Tag mehr begeistert. Irgendwann beschloss ich, dass Fotografie mein Ausdrucksmittel sein sollte, mit dem ich meinen Lebensunterhalt verdienen wollte. Tatsächlich war es anfangs nicht einfach, aber ich konnte mich endlich ganz und gar der Fotografie widmen. Ich war freiberuflich für die Presse tätig und machte Kunstreproduktionen für Museen und Galerien, was mir auch Zeit für persönliche kreative Arbeiten ließ.

Haben Sie Vorbilder in Kunst und Fotografie?
Ich mochte schon immer Malerei und fühlte mich vor allem von den Avantgardebewegungen des 20. Jahrhunderts angezogen. In der Fotografie schätze ich die Natürlichkeit von André Kertész sehr. Robert Frank war modern und bahnbrechend, ich erinnere mich, dass ich mir immer wieder The Americans und The Lines of My Hand angesehen habe. Unter den Fotografen, die meiner Generation näherstehen, hatte ich das Glück, Bernard Plossu in Paris zu treffen, kurz nachdem ich Le Voyage Mexicain gekauft hatte. Ich habe niemals aufgehört, ihn zu bewundern und zu besuchen.

Wie beschreiben Sie Ihren fotografischen Ansatz?
Fotografie ist mein Ausdrucksmittel, um mit der Welt um mich herum zu kommunizieren. Poesie und Emotion sind immer präsent. Ich versuche, all die Dinge einzufangen, die meine Aufmerksamkeit erregen – Dinge, die suggestiv und provokativ sind, als ob sie darauf warten, dass ich mit meiner Kamera erscheine. Mir geht es darum, alles zu genießen und von allem zu lernen, was mir das Leben zeigt.

Welche Ausrüstung setzen Sie ein?
Bis Ende der 1980er-Jahre habe ich verschiedene Kameras mit 50-mm-Objektiven verwendet. Dann konnte ich mir endlich den Traum von einer Leica erfüllen, den so viele Fotografen träumen. Es ist eine M6 mit einem Summicron-M 1:2/50, die ich seither nicht mehr aus der Hand gegeben habe.

Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: Fotografie hatte für mich …
… schon immer eine magische Komponente: die Zeit anzuhalten und ihr dann wieder mithilfe des Lichts und der Kamera Leben einzuhauchen. Fotografien sind wie ein Bauchgefühl, ein neugieriger und geschulter Blick, der alles sieht, was um einen herum ist.

Der Autodidakt Javier Campano, 1950 in Madrid geboren, begann 1975 professionell als Fotograf zu arbeiten. Seinerzeit war er der Zeitschrift Nueva Lente verbunden, einer Publikation, die sich von der damals vorherrschenden humanistisch-dokumentarischen Sicht löste und die gewagte subjektive Annäherung ans Motiv suchte. In diesen Umbruchsjahren trat in Madrid eine neue Generation von Fotografen auf den Plan. Ihr Stil war unterschiedlich, aber gemeinsam war ihnen das Interesse an der Darstellung ihrer direkten Umgebung, der Menschen und Szenarien in einem lebendigen, pulsierenden Madrid. Dort lebten sie in enger, kreativer Freundschaft mit anderen Künstlern, Schriftstellern, Filmemachern und Musikern. Javier Campano hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, seine Bilder waren in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen.

Die Leica. Gestern. Heute. Morgen.

Jetzt M-System online entdecken!