Von Menschen und Gefühlen: Die analoge, kontrastreiche und ausdrucksstarke Serie von Roland Kilimanjaro entsteht bei zufälligen Begegnungen – und die Porträts offenbaren eine Reihe von Emotionen, die der Fotograf selbst verinnerlicht hat.

Was berührt Sie bei Menschen?
Ich liebe Menschen. Wir sind eins, und wir können untereinander Ähnlichkeiten finden, wir können uns als ähnlich empfinden. Wir können gleich denken oder wir können völlig verschieden sein, aber wir haben alle einen gemeinsamen Nenner, und wenn ich andere Menschen treffe, kann ich mich auch in ihnen wiederfinden. Das ist erstaunlich.

Wie und wo finden Sie Ihre Motive?
Das sind zufällige Begegnungen – ich kenne meine Protagonisten überhaupt nicht. Ich fühle mich durch etwas hingezogen und dann beginne ich ein Gespräch. Das ist die Zeit, in der wir einander vertrauen können, dann lernen wir uns kennen, egal wie lange unser Treffen dauert. Sehr oft sind es nur Momente. Wir lernen uns nicht buchstäblich kennen, aber in diesem Moment gibt es so viele Facetten der Gemeinsamkeit, dass sich etwas Magisches ergibt.

Die Menschen, die Sie porträtieren, sind in gewisser Weise ungewöhnlich, interessant, unverwechselbar …
Es ist wahrscheinlich so, dass ich nach Ähnlichkeiten zu mir selbst suche. Die meisten von uns können Emotionen fühlen, von den einige in einem bestimmten Lebensabschnitt dominant sind. Angst, Traurigkeit, Freude, Schüchternheit und andere empfinden wir alle. Wer jemals eine dieser Emotionen erlebt hat, sie bei sich selbst gefühlt hat, kann sie auch bei anderen fühlen. Darum sind wir uns innerlich so ähnlich. Ich suche meine Emotionen in Menschen, ich suche nach Gemeinsamkeiten, ich suche Begegnungen und das Zusammensein mit einer Person, die ich nicht kenne.

Sie konzentrieren sich in Ihrer Serie ganz auf das Gesicht; der Hintergrund scheint zu verblassen und spielt keine Rolle.
Es stimmt, dass das Gesicht im Zentrum der Aufnahme steht, darauf konzentriere ich mich und oft auch auf die Hände. Ich denke nicht zu viel darüber nach, aber ich komme den Menschen sehr nahe, da ich jede ihrer Emotionen mit meinem ganzen Wesen spüren möchte. Wir sind einander körperlich nah, aber auch geistig. Jedes Gesicht ist ein Teil einer Geschichte. Jeder hat sein eigenes, wenn man es jemandem durch seine Emotionen zeigt, ist das ein Akt größten Vertrauens für eine andere Person. Ich bin sehr dankbar dafür, dass mir jemand erlaubt, für einen Moment in seine Welt, in sein Zuhause einzutreten.

Welchen Einfluss haben Sie als Fotograf auf die Inszenierung Ihrer Protagonisten?
Ich versuche, mich so wenig wie möglich einzumischen. Ich zeige zuerst einige meiner Fotos und die meisten Menschen, die ich treffe, spüren es selbst. Sie wissen, dass ich nach Intimität, Ehrlichkeit und gegenseitigem Vertrauen suche, und es ist am besten, wenn das tatsächlich der Fall ist.

Wie sieht Ihr fotografischer Prozess aus?
Das ist eine sehr gute Frage, aber wissen sie, eigentlich ist es genau so, wie ich es vorhin beschrieben habe: Der fotografische Prozess beginnt im Moment des Treffens und das ist auch schon der wichtigste Teil. Ich möchte nicht über technische Details in der Fotografie sprechen, aber ich kenne sie und muss als Fotograf in der Lage sein, diese Parameter einzustellen. Später, wenn ich den Film manuell entwickle, achte ich darauf, wie ich das visuell erreichen kann, was ich an der Fotografie mag. Aber wenn wir emotional über Fotografie sprechen – und ich kann nur so darüber sprechen – sind das keine wichtigen Themen.

Welche Vorstellungen haben Sie von den Abzügen Ihrer Bilder?
In puncto Filmentwicklung und Abzüge mache ich von Anfang bis Ende alles selbst. Ich liebe Schwarzweiß und alles läuft so ab, dass es zu meiner Ästhetik passt. Ich arbeite mit dem Kodak Tri-X 400 und verwende als Entwickler Rodinal, mit dem ich die Kontraste erreichen kann, die ich für meine Fotografien haben will. Ich printe die gescannten Aufnahmen im A2-Format auf Barytpapier und rahme sie in Holz und Glas. Einige der Personen, die ich fotografiert habe, haben so ein gerahmtes Bild erhalten.

Sie haben mit der Leica M6 gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Kamera gemacht?
Wenn es um Leica Kameras geht, habe ich mein Abenteuer eigentlich mit einer Digitalkamera begonnen – der ersten Leica M Monochrom. Später entdeckte ich analoge Kameras und dabei möchte ich länger bleiben. Ich mag diesen puristischen Stil in der Fotografie. Wenn man mit diesen Kameras fotografiert, wenn man manuell fokussiert, fühlt man sich meiner Meinung nach völlig anders. Es ist nicht so, dass die Kamera gar keine Rolle spielt: Wenn man eine Kamera hat, die man mag, ist der ganze Prozess natürlicher.

Wie sind Sie selbst zur Fotografie gekommen? Und was bedeutet analoge Fotografie für Sie?
Anfangs war Fotografie für mich nicht mehr als ein weiteres Hobby. Ich habe viel nach mir selbst gesucht. Ich möchte die Welt immer wie ein Kind sehen, jede scheinbar triviale Sache kennenlernen und bewundern. Ich möchte naiv sein, nicht analytisch, deshalb bevorzuge ich eine analoge Kamera. Für mich ist weniger mehr – auch wenn das für viele Menschen ein klischeehafter Slogan sein mag. Ich möchte ruhig durch den Sucher schauen und so wenig Auswahl wie möglich haben. Ich möchte von den Kamera-Einstellungen so weit weg sein wie möglich und den Menschen so nah wie möglich. Ich möchte mit den Leuten reden, ihnen direkt in die Augen schauen und sie fühlen, wenn ich kann – das ist für mich das Wichtigste.

Roland Kilimanjaro, 1976 in Puck, einer kleinen polnischen Stadt an der Ostsee, geboren, studierte an der Jędrzej Śniadecki Sportakademie in Gdańsk. Sein Interesse für Menschen spiegelt sich in seinen intimen Porträts wider, die immer auch einen kleinen Teil seiner selbst einfangen. Als Purist mit einem Faible für einen natürlichen Stil setzt er bevorzugt auf analoge Fotografie. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erschien eines seiner Porträts 2020 in dem Buch Portrait of Humanity. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Roland Kilimanjaro auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.

Die Ausgabe 8/2022 des Magazins LFI präsentiert ein umfangreiches Portfolio von Kilimanjaros Arbeiten.