Der Düsseldorfer Fotograf (1934–2019) Horst H. Baumann zählte zu den erfolgreichen Vertretern seiner Zunft: Schon in jungen Jahren mehrfach ausgezeichnet, war er ab den 1960er-Jahren in Magazinen, Büchern und Ausstellungen omnipräsent. Seine direkte Bildsprache, aber vor allem auch seine frühen Farbaufnahmen und später seine Lichtkunst-Projekte machten Baumann national und international bekannt. Und trotzdem ist der Leica Fotograf heute nahezu vergessen und nur Kenner der deutschen Fotografiegeschichte wissen mit seinem Namen etwas anzufangen. Das soll eine große Retrospektive ändern: Der bekannte Autor und Kurator Hans-Michael Koetzle, nicht zuletzt für seine vielen Monografien und den gewichtigen Bildband Augen auf! 100 Jahre Leica geschätzt, widmet sich nun mit einer großen Retrospektive dem Werk Baumanns. Wir sprachen mit ihm über seine Erfahrungen und Entdeckungen.

Erstmals sind Sie während der Recherchen für Ihre Twen-Ausstellung auf das Werk von Horst H. Baumann aufmerksam geworden?
Ja. Er war als Fotograf völlig vergessen. Persönlich kennengelernt habe ich ihn dann im November 1994. Baumann lebte in bescheidenen Verhältnissen in Düsseldorf, war aber guter Dinge und erinnerte sich gut an Twen, an Willy Fleckhaus, an den Beginn seiner Karriere. Es gab dann eine Pause, weil auf meiner Seite andere Projekte dazwischenkamen. Etwa 2015 habe ich den Kontakt erneuert und ihn alle paar Monate besucht. Je öfter ich Baumann traf, je mehr ich von seinem Werk sah, desto mehr wurde mir klar: Dieser Beitrag zur Fotografie der 1950er- und 1960er-Jahre verdient eine museale Würdigung. Noch zu Lebzeiten Baumanns diskutierten wir ein Konzept.

War nach seinem Tod vor drei Jahren sofort klar, dass der Nachlass an Zephyr/Raum für Fotografie in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen geht?
Was macht man als Familie mit einem Fotografen-Nachlass? Das ist ja aktuell über Baumann hinaus ein großes Thema. Im Rahmen einer anderen Ausstellungsidee hatte ich Kontakt zu den Reiss-Engelhorn-Museen, wo man auf Anhieb die Qualität der Arbeiten erkannte und im Einvernehmen mit der Tochter, Carolin Baumann, entschied, das Werk zu sichern und zeitnah eine Retrospektive auszurichten. Die Übergabe habe ich von Anfang an begleitet. Ich sehe mich noch in einem Düsseldorfer Keller stehen und die Kartons zählen und beschriften.

Welche Werkgruppen sind für Sie am faszinierendsten, welche haben den größten fotohistorischen Wert?
Eindeutig seine frühe Schwarzweiß-Fotografie in geistiger Nähe zum italienischen Neorealismus. Dann seine Reiseeindrücke aus Spanien, Italien, der Sowjetunion. Und schließlich die Farbe und hier insbesondere seine Fotos aus der Welt der Formel 1. Immer wieder überrascht hat mich die Radikalität seines fotografischen Ansatzes – und das gewissermaßen aus dem Stand. Baumann war „Autorenfotograf“ avant la lettre, ein Bilderstürmer, der von Anfang an seinen eigenen Weg gegangen ist, wobei er ein hohes Maß an Empathie, ein Interesse an sozialen Themen kombinierte mit einer entschiedenen Lust zum Experiment.

Wie war das Verhältnis des Fotografen zur Farbe?
Baumanns Rolle als Pionier einer künstlerischen Farbfotografie kann man nicht genug betonen. Bereits Mitte der 1950er-Jahre, unmittelbar nach Einführung des Agfacolor CN17, begann er, mit Farbe zu experimentieren. Und wieder setzte er auf Unschärfen, kühne An- oder Ausschnitte, gewagte Perspektiven. Wohlgemerkt: Rund zwei Jahrzehnte vor „New Color“, vor Eggleston, Meyerowitz oder Shore.

Wie fand er später zur Lichtkunst?
Baumann war immer auf der Suche, ausgesprochen technikaffin, ein glühender Verehrer von Isaac Asimov. Damit war klar, dass er sich auf lange Sicht nicht mit der Fotografie begnügen würde. Ab 1970 waren dann Laser-Projekte im öffentlichen Raum sein großes Thema, beispielsweise 1977 auf der Documenta 6 in Kassel.

Wie charakterisieren Sie Horst H. Baumann?
Vom Wesen her als selbstbewusst, eher laut als leise und wenn, dann immer vorne mit dabei. Was seine Kunst betrifft: ausgesprochen experimentierfreudig, neugierig, Regeln bewusst ignorierend. Keiner, der sich ein Häuschen mit Garten wünscht, sondern lieber zum Hörer greift, um mit der Nasa Laser-Projekte zu diskutieren. Er war ein wirklicher Solitär, kompromisslos bis zum Schluss.

Wie kam es schließlich zum Titel der Retrospektive?
Für mich war und ist Horst H. Baumann in doppelter Hinsicht Visionär. Zum einen, was seine Begeisterung für Technik betrifft. Science-Fiction hat er regelrecht gelebt. Und dann dieser Mut, auch formal-ästhetisch Grenzen zu überwinden. Übrigens fiel der Begriff auch in Gesprächen mit Zeitzeugen immer wieder: der „Visionär“ Baumann.

Horst H. Baumann wurde am 19. Juni 1934 in Aachen geboren. 1954 Beginn des Studiums der Hüttenkunde, das er nach vier Jahren endgültig aufgibt, um ganz als Fotograf zu arbeiten. Seine erste Leica erwarb er 1952, zahlreiche Auszeichnungen und Veröffentlichungen folgten. Baumann unternahm viele Reisen und experimentierte intensiv mit den Möglichkeiten der Farbfotografie, weiterhin diverse Ausstellungsbeteiligungen und internationale Erfolge. Laserscape Kassel – auf der Documenta 6, bis heute regelmäßig vorgeführt, markiert seine Hinwendung zur Licht- und Laserkunst. Nach längerer Krankheit starb Horst H. Baumann am 24. Mai 2019 in Düsseldorf.

Zephyr/Raum für Fotografie präsentiert ab Mitte Januar die Ausstellung Apropos Visionär. Der Fotograf Horst H. Baumann im neuen Museum Peter & Traudl Engelhornhaus der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Zu sehen sind etwa 600 Arbeiten.

Das begleitende Buch mit zirka 350 Seiten und 350 Abbildungen erscheint im Steidl Verlag.

Die LFI 1/2023 präsentiert ein umfangreiches Portfolio aus dem Werk von Horst H. Baumann.