Die Serie Anima – lateinisch für Atem, Seele und Geist – ist das umfassende Ergebnis eines groß angelegten Fotoprojekts über Pilgerreisen, das Mathieu Richer Mamousse innerhalb von drei Jahren um die ganze Welt führte: von einer heiligen Grotte in Frankreich über die jungsteinzeitliche Kultstätte Stonehenge und den Himalaja bis zu einem Friedhof auf Haiti. Er sprach mit uns über seine Erfahrungen auf dieser Reise und warum die Gewänder der Pilger immer wieder eine wichtige Rolle spielten.

Wie sind Sie auf die Idee zu Anima gekommen?
Ich habe bereits 2017 religiöse Feste und Wallfahrten dokumentiert. Das hat mich angeregt, ein größeres Projekt zu starten. Ich arbeitete hauptsächlich in der Werbe- und Modefotografie und wollte Geschichten fotografieren, die mich interessieren. Zuerst habe ich in Sevilla die Semana Santa, die Karwoche fotografiert. Die Kleidung und die Hingabe einiger Menschen hat mich sofort angezogen. Alles, was dort vor sich ging, hatte etwas Geheimnisvolles und doch Universelles an sich. Das ließ mein Bedürfnis, das Thema weiter zu erforschen, wachsen und ich reiste in den folgenden drei Jahren durch acht weitere Länder. Ich habe mich in erster Linie auf folkloristische Elemente und die Kleidung der Menschen konzentriert – für mich eine neue Herangehensweise an ein bereits breit dokumentiertes Thema.

Ihre Bildsprache ist farbenfroh und poetisch. Was ist Ihnen am wichtigsten bei einem Bild?
Ich habe lange als Lichtassistent in der Mode- und Werbefotografie gearbeitet. Diese Jahre haben meine Augen und meinen Geschmack geschult und definitiv die Art und Weise beeinflusst, wie ich heute Menschen fotografiere. Ich versuche immer daran zu denken, dass ein Foto in gewisser Weise hübsch sein muss, gut beleuchtet und komponiert, aber wesentlich ist, dass es meine Motive peinlich genau wiedergibt.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Locations ausgewählt?
Die haben sich in gewisser Weise von selbst ergeben, wenn ich nach weiteren relevanten Orten und Festen suchte. Ich habe viel recherchiert und immer darauf geachtet, dass sie visuell ähnlich stark sind, um die Einheit der Serie zu bewahren.

Welchen Eindruck haben die Menschen bei Ihnen hinterlassen?
Ein starkes Gefühl der Identifikation und Verbundenheit. Ihr Glaube hat mich sehr bewegt. Außerdem fasziniert mich das Konzept der Repräsentation, dem ich am meisten nachgegangen bin. Diese Wallfahrten und Feiern geben den Menschen die Zeit und die Gelegenheit, alle Schauspieler eines einzigen gigantischen Schauspiels zu sein.

Sie haben mit einer Leica M6 gearbeitet. Warum fotografieren Sie lieber analog?
So verstehe ich meine persönlichen Arbeiten. Wenn man diesen Weg einschlägt, muss man ihn ganz gehen: fotografieren, entwickeln und Abzüge drucken – aber bei Anima war ich noch nicht so geübt darin, Abzüge zu drucken, deshalb habe ich nur die Negative gescannt. Analog zu fotografieren und insbesondere das Fertigen der Abzüge vermittelt Empfindungen, die die digitale Fotografie niemals auslösen könnte. Analoge Fotografie lehrt auch, umsichtiger und organisierter zu sein und nachzudenken, bevor man auf den Auslöser drückt. Ich mag die Bedächtigkeit, zu der sie führt.

Was waren die größten Herausforderungen aus fotografischer Sicht?
Die Menschen so darzustellen, wie sie wirklich sind oder im Moment der Aufnahme sein wollen.

Haben Sie eine generelle fotografische Vorgehensweise?
Ich versuche, so eng wie möglich bei meiner persönlichen Arbeitsweise zu bleiben. Ich habe eine Art, auf Menschen zuzugehen, mit ihnen zu sprechen und sie zu fotografieren, und ich versuche, mich daran zu halten, genauso wie man sich an ein Lieblingsrezept hält. Wenn Sie ein größeres oder langfristiges Projekt fotografieren wollen, das vielleicht zu einem Buch führen soll, ist es wichtig, die Grundidee und den Workflow beizubehalten, um eine gewisse Konsistenz zu erreichen – zumindest sehe ich das so.

Welches Motiv ist Ihr liebstes?
Menschen und wie sie sich durch ihre Kleidung und einzelne Akzente ausdrücken.

Was bedeutet Anima für Sie persönlich?
Viel! Die Reise nach Sevilla war die erste Reise, die ich unternommen habe, um ein bestimmtes Thema zu dokumentieren. Es folgten weitere Reisen, die schließlich zu einem Buch führten. Das ist eine jahrelange Arbeit: fotografieren, eine Auswahl treffen, Menschen begegnen, das Buch machen, es bewerben. Ich könnte mir vorstellen, das ist fast wie das erste Kind. Ich freue mich, dass es jetzt da ist, aber auch auf das nächste Projekt.

Und, was kommt als nächstes?
Im Moment bin ich sehr mit Aufträgen für Werbung und für Zeitschriften beschäftigt. Aber ich verfolge weiter meine eigenen Geschichten, die ich als redaktionelle Inhalte verkaufen möchte. Ideen für ein neues langfristiges Großprojekt nehmen langsam Gestalt an, aber dafür nehme ich mir Zeit.

Mathieu Richer Mamousse, Jahrgang 1989, arbeitet in seinen persönlichen Dokumentarprojekten zu Themen wie Religiosität, Tradition und Folklore. Auf seine Reisen erkundet er die Bedeutung von Gemeinschaftspraktiken und beschäftigt sich mit marginalisierten oder gefährdeten sozialen Gruppen. Er lebt in Paris und ist für französische und internationale Printmedien sowie für kommerzielle Auftraggeber tätig. Anima ist seine erste Buchveröffentlichung. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Mathieu Richer Mamousse auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.

Leica M

The Leica. Yesterday. Today. Tomorrow.