Der Darién Gap an der Grenze zwischen Nord- und Südamerika ist ein dicht bewachsenes Dschungelgebiet, durch das sich Tag für Tag zahlreiche Geflüchtete kämpfen. Viele von ihnen kommen aus Kriegs- und Krisenregionen, sie haben ihr altes Leben hinter sich gelassen und schlagen sich über Tage hinweg durch das Dickicht – immer in der Hoffnung auf ein Licht am Ende des Tunnels. Der Fotograf Federico Rios Escobar hat diesen Trek ebenfalls auf sich genommen – und nicht nur einmal. Seine eindringlichen Aufnahmen dokumentieren, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie auf der Suche nach einem menschenwürdigen Leben sind.

Was hat Sie dazu bewogen, dieses umfangreiche und anspruchsvolle Projekt in Angriff zu nehmen?
Im Jahr 2021 überquerten mehr als 130 000 Menschen den Darién Gap, die meisten von ihnen aus Haiti. Im Jahr 2022 erreichte die Zahl bereits 250 000. Sie waren zumeist Venezolaner, viele von ihnen zermürbt von jahrelanger wirtschaftlicher Not – aber sie sind nur ein Teil einer vielfältigen Migrantenbewegung. Heute wagen Dutzende von Nationalitäten die gefährliche Passage auf dem Weg in die Vereinigten Staaten und riskieren alles in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Familien. Was hat sie dazu bewogen, alles hinter sich zu lassen? Wenn die Leser dieser Zeilen in der Lage sind, sich so etwas vorzustellen, werden sie verstehen, dass Migration kein Verbrechen ist, dass niemand illegal ist und dass die Menschlichkeit immer siegen wird, egal wie hoch die Hürden sind, und die Menschen für ihre Lieben all das tun werden, was sie tun müssen. Für mich als Fotograf ist es unmöglich, nicht von der Lawine von Leuten bewegt zu werden, die ihr Leben auf der Suche nach einer Chance riskieren, weil sie in ihren Ländern kein Leben führen können. Für uns bei der New York Times ist dies seit mehreren Jahren ein wichtiges Thema; meine Arbeit in Lateinamerika wird vom gesamten Team der Zeitung umfassend unterstützt.

Wie haben Sie das Vertrauen der Flüchtlinge gewonnen und sie dazu gebracht, sich Ihnen zu öffnen?
Es ist wichtig zuzuhören, zu verstehen, nicht zu urteilen, sich Zeit zu nehmen und die Hand zu reichen. Ich habe das Glück, mit Julie Turkewitz zusammenzuarbeiten; sie ist eine Kollegin, die weiß, wie man Herzen öffnet, wann man zuhört und wann eine Umarmung dringend nötig ist. Sie hilft mir dabei, menschliche Brücken zu anderen zu schlagen. Als Fotograf tue ich mein Bestes, um zu hören, was die Leute sagen. Und das bedeutet, offen zu sein, auch wenn Migranten mir sagen, dass sie nicht fotografiert werden wollen. Es ist für uns alle wichtig, daran zu denken, dass nicht jeder in seinen verletzlichsten Momenten fotografiert werden möchte.

Diese Reise war bereits Ihre dritte in diese Region. Haben sich die Trips in irgendeiner Weise voneinander unterschieden?
Jede Reise ist anders, etwa hinsichtlich der Erfahrungen und der Geschichten derjenigen, die unterwegs sind. Aber die Migration selbst ist hier und überall gleich: Es handelt sich immer um arme Leute, die ihr Leben riskieren und voller Hoffnung sind, dass ein neues Ziel ihnen eine bessere Zukunft bietet.

Welche fotografische Ausrüstung haben Sie mitgenommen?
Ich hatte unter anderem eine Leica M10 mit einem Summilux-M-35-mm-Objektiv und einem Summilux-M 50 dabei. Die Kamera hat angesichts der unerträglich schwierigen Bedingungen gut funktioniert, auch wenn die Feuchtigkeit des Dschungels in Objektiven und Kameragehäusen immer ein Albtraum ist. Man möchte das Objektiv nicht vom Gehäuse abnehmen, aber die Feuchtigkeit ist auf dem Sensor, im Sucher, im Objektiv, einfach überall. Man hat Schlamm an den Händen, und es regnet die meiste Zeit. Wenn man das Glück hat, dass es nicht regnet, durchquert man Flüsse, in denen einem das Wasser bis über die Hüfte ragt. Es ist nicht einfach, in diesem Teil der Welt ein elektronisches Gerät zu tragen, aber alles in allem hat die Kamera sehr gut funktioniert.

Was waren die größten fotografischen Herausforderungen, denen Sie während des Projekts gegenüberstanden?
Es gibt viele wirklich schwierige Herausforderungen in einer solchen Situation: Wenn ich Menschen fotografiere, suche ich immer nach ihrem Einverständnis. Ich möchte, dass sie wissen, wo ihre Fotos veröffentlicht werden sollen. Für mich ist es wichtig, dass sie verstehen, warum ich dort bin und warum ich die Geschichte für wichtig halte. Als Journalisten sehen wir den Horror von Tausenden von Migranten, die verzweifelt im Dschungel leben, ohne Wasser oder Nahrung, und an den Leichen anderer Migranten vorbeilaufen, die es nicht geschafft haben. Aber für einen Journalisten wird es nie so hart sein wie für einen Migranten. Sie haben nichts mehr, es geht für sie um alles oder nichts. Letztendlich besteht die größte Herausforderung darin, an den Journalismus zu glauben und zu tun, was man tun muss.

Wie hat dieses Projekt Ihre Perspektive auf Flüchtlinge und ihre Erfahrungen verändert?
Die meisten Migranten fliehen vor Armut und Gewalt. Die Welt wendet sich von ihnen ab und sagt ihnen, dass sie Bürger zweiter Klasse seien und nicht die gleichen Chancen verdienen wie andere. Je mehr ich über Migranten weiß, desto ungerechter erscheint mir ihre Situation.

Wie sind Sie mit dem emotionalen Tribut umgegangen, den die schwierigen Bedingungen und Erfahrungen der Flüchtlinge gefordert haben?
Meine Frau und meine Kinder sind die Säulen meiner Stärke. Journalisten sprechen oft nicht laut über ihre eigene emotionale Situation: Ich bin mir sehr bewusst, dass ich externe Hilfe benötige, um psychisch stabil zu sein. Die psychische Betreuung eines Journalisten ist so wichtig wie die körperliche Vorbereitung eines Sportlers. Ich bekomme meine Hilfe von einem Fachmann zu Hause, und ich habe auch meine Familie und Freunde, die mir den Rücken stärken. Und dann sind da noch meine Kolleginnen und Kollegen bei der New York Times, ein ganzes Netzwerk um mich herum, das mir hilft, an Themen wie diesem weiterzuarbeiten.

Der freiberufliche Fotograf Federico Rios Escobar lebt in Kolumbien und schreibt regelmäßig für die New York Times. Im Laufe seiner Karriere hat er sich auf Themen wie Konflikte, Migration und die Beziehung zwischen Gesellschaft und Umwelt fokussiert. Seine Arbeiten sind unter anderem in Publikationen wie National Geographic, dem Stern oder Geo erschienen. Rios Escobar ist mit mehreren internationalen Preisen ausgezeichnet worden. Mehr über seine Fotografie erfahren Sie auf seiner Webseite und seinem Instagram-Kanal.

Leica M

The Leica. Yesterday. Today. Tomorrow.