Für den französisch-kambodschanischen Fotografen William Keo sind die Pariser Vororte sein zu Hause. In seinem Projekt Beautiful Paradox möchte er alle Aspekte des dortigen Lebens fotografisch abdecken. Das ist aber nicht immer einfach – besonders angesichts der aktuellen negativen Berichterstattung über die andauernden Unruhen. Ein Gespräch über ehrliche Bildsprache, den Einfluss seiner Heimat – und den Versuch, die Wurzel allen Übels zu finden.
Sie haben Ihre Serie Beautiful Paradox genannt – warum?
Über die Heimat zu sprechen ist komplex. Wenn man nicht genug Kenntnis von einem Thema hat, verliert man sich schnell in Klischees – die französische Banlieue ist das perfekte Beispiel dafür. Für mich ist sie nicht nur ein Ort der Gewalt und Armut, als der sie üblicherweise dargestellt wird; es gibt auch Schönheit, Langeweile und magische Momente. Der Titel erinnert mich an die Idee des Widerspruchs, die ich in diesem Projekt zu verwirklichen versuche: ein Ort voller Paradoxe, den ich ebenso liebe wie hasse, der ebenso außergewöhnlich wie enttäuschend, ebenso friedlich wie gewalttätig ist.

Wie ist es für Sie, einerseits ein Beobachter und gleichzeitig ein Teil von allem zu sein?
Ich denke, dass die Nähe zu meinem Thema mich daran hindert, einen Blick von außen zu haben und völlig objektiv oder sogar ehrlich zu sein. Ich stelle die Darstellung dieses Gebiets und seiner Einwohner immer wieder infrage – ich lebe mit denjenigen, die ich ablichte, und die Bilder haben Konsequenzen, weil die Fotografierten meine Nachbarn sind. Ich möchte die Dinge so darstellen, wie sie sind, so wahrhaftig wie möglich. Ich versuche immer, das zu hinterfragen, was wir bereits über die französischen Banlieues wissen. Meine Bilder sollen ein sozialer Kommentar sein, ohne düster zu werden oder ein Déjà-vu.
Wie schaffen Sie Distanz zu den Motiven, die Sie fotografieren?
Es fällt mir schwer, Distanz zu schaffen. Ich arbeite buchstäblich in derselben Straße, in der ich lebe, und selbst im Gefängnis bin ich schon Bekannten begegnet. Ich fotografiere also Leute, die ich kenne, und mit der Polizei gehe ich heute an Orte, an denen ich in meiner Jugend abgehangen habe. Durch die geografische Nähe fühle ich mich so verbunden, dass die einzige Möglichkeit, etwas Abstand zu gewinnen, darin besteht, Projekte an anderen Orten zu machen.
Wie hat Ihr Zuhause Sie in Ihrer Arbeit als Fotograf geprägt?
Es ist ein bisschen albern, aber die Vorstädte haben mich gelehrt, auf der Hut zu sein und auf Details zu achten. Der öffentliche Raum kann in den Banlieues ein gefährlicher Ort sein. Ich habe von meiner Familie und vom Sport gelernt, geduldig und diszipliniert zu sein und meine Sprache an mein Publikum anzupassen. Jenseits meines Zuhauses bin ich die Summe aller Begegnungen, die mich berührt, beeinflusst, mir das Herz gebrochen oder mich glücklich gemacht haben.

Wie erleben Sie die gegenwärtige Situation in den Vorstädten von Paris?
Es tut mir wirklich leid, all die materiellen Schäden zu sehen; ich denke nicht, dass das die richtige Botschaft ist. Ein Supermarkt, in dem meine Eltern früher einkauften, ist niedergebrannt. Ich habe einige Nächte lang über die Unruhen in den Städten berichtet und dabei versucht, die offensichtlichen Bilder von ausgebrannten Autos zu vermeiden. Was hier passiert, ist ein historischer Prozess, und das bedeutet, dass man auch erklären muss, was vorher passiert ist.
Woher kommt diese Wut, und was muss sich ändern?
Die Ursachen sind vielfältig. Der Ansatz der Polizei hat sich seit 2003 geändert. Es gab eine Polizei, die eng mit dem Leben in den Vierteln verbunden und integriert war, aber sie wurde von Nicolas Sarkozy, dem Premierminister und späteren Präsidenten, im Jahr 2007 aufgelöst. 2005 kam es nach dem Tod zweier Jugendlicher, die vor der Polizei fliehen wollten, drei Wochen lang zu Unruhen, die dann allmählich wieder abklangen. Um weitere Ausbrüche zu verhindern, wurde die Polizei mit Gummigeschosswerfern ausgestattet, und in den Vororten wurden repressive Kontrollen verstärkt. Der Dialog zwischen den Wohnvierteln, die sich ausgegrenzt fühlen, und der Polizei, die mitunter von Jugendlichen angegriffen wird, brach ab, wodurch ein Teufelskreis entstand. Nach den Anschlägen vom 13. November 2015 hat die Polizei zudem massiv Bewerber rekrutiert, die nicht annähernd die erforderlichen Kriterien erfüllten und weniger gut ausgebildet waren. Die Polizeigewalt wurde mit der Gelbwesten-Bewegung 2018 sichtbar – die Pläne für eine neue bürgernahe Polizeiarbeit in den Vororten wurden damit begraben … und die Erlaubnis im Jahr 2017, bei Polizeikontrollen schießen zu dürfen, erhöhte die Zahl der Todesfälle noch weiter. Nahel ist einer der seltenen Fälle, in denen das gefilmt wurde – und das war der Auslöser für all diese Unruhen. Es ist von größter Bedeutung, den Dialog zwischen den staatlichen Akteuren und den Einwohnern zu erneuern. Ich habe noch nie eine Regierung erlebt, die so weit von den sozialen Realitäten entfernt war.

Was ist die größte Herausforderung, der Sie sich in der aktuellen Situation stellen?
Meine größte Herausforderung ist es, das einfache Bild zu vermeiden, nach alternativen Geschichten zu suchen, um sie zu bereichern, und mehr Schlüssel zum Verständnis zu bieten, anstatt nur brennende Autos und Leute in Kapuzenpullis zu zeigen – zumindest nicht ausschließlich so etwas, denn diese Bilder sind zu offensichtlich und nur das Ende einer Kette von Ereignissen.
Werden Sie die Serie fortsetzen, und gibt es Aspekte, die Sie gern hinzufügen würden?
Ich möchte weiterhin die Frage der Gesundheit in den Banlieues erforschen und die Situation der Drogenabhängigen oder die Schattenwirtschaft beleuchten. Gleichzeitig möchte ich aber auch auf eine konzeptionellere Art und Weise arbeiten und die Baustellen fotografieren, die das Gebiet umgestalten. Mir gefällt diese Idee, Reportagen, Landschaften und eher konzeptionelle Fotos in einer Strecke zu mischen. Das ist das Gleichgewicht, das ich in der Zukunft finden möchte. Vielleicht probiere ich noch andere Dinge aus, um dieses Projekt weiter zu verdichten. Es wird vielleicht nicht erfolgreich sein, aber ich werde es zumindest versuchen.
Der französisch-kambodschanische Fotograf William Keo wurde 1996 geboren. Zu Beginn seiner Karriere arbeitete er für NGOs, um sein Studium der Art Direction zu finanzieren. Seine Arbeit konzentriert sich auf Kriegs- und Krisengebiete wie Syrien oder die Ukraine; seit 2019 arbeitet er außerdem an seinem Langzeitprojekt Beautiful Paradox über seine Heimat. 2021 wurde er Nominee der Agentur Magnum Photos. Mehr über seine Fotografie finden Sie auf seiner Webseite und seinem Instagram-Profil.
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