Ausgestattet mit einer Leica Q erkundet Grant Simon Rogers seine Berliner Umgebung. Aus einer Familie von Gärtnern stammend, hat er eine tiefe Verbindung zu Pflanzen. Derzeit lebt er jedoch in einer Wohnung im dritten Stock und hat keinen Zugang zu einem Garten. Für seine Pflanzenporträts wählte Rogers Bildtitel, die auch als Filmtitel funktionieren würden. Mit ausgeklügelter Beleuchtung setzt er die Pflanzen effektvoll in Szene.
Was zeigen Sie mit Ihrer Aerie Terra Incognita?
Diese Flora-Porträts machen mir große Freude und sie sind eine fortlaufende stadtbotanische Erkundung meiner Heimat Berlin. Parks und Gärten sind im wahrsten Sinne des Wortes „ein Garten für die Gartenlosen“ (Sir Sidney Waterlow). Sie sind kuratierte Sammlungen, Museen ohne Wände und spielen eine große Rolle in unserer lokalen Biodiversität. Pflanzen brauchen Licht, um zu überleben. Fotografen brauchen Licht, um Bilder zu machen. Ich muss Bilder machen, um das Gefühl zu haben, dass ich lebe.
Wie ist die Idee für Ihre Serie entstanden?
Sie entstand langsam und größtenteils rückwirkend. Als Gesamtwerk entwickelte sie sich, während ich daran arbeitete. Wenn ich mit Studierenden spreche, diskutieren wir oft darüber, dass ein Werk kein „Projekt“ sein muss. Es ist erstaunlich, wie befreiend dieser Gedanke sein kann. Ich finde, es ein Zeichen von echter Großzügigkeit, Werke zu erschaffen und mit der Öffentlichkeit zu teilen – und „Projekt“ schmälert dies für mich irgendwie. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, was passieren würde, weil ich den kreativen Prozess gut genug kenne, um zu wissen, dass sich etwas ergeben würde. Es würde sich im Laufe dieses Prozesses entwickeln. Bevor ich mit meiner Kamera nach draußen ging, fotografierte ich jeden Zentimeter meines Londoner Hauses und nannte alle Bilder Hic Habitat Felicitas (hier lebt das Glück). Es gab einen persönlichen Grund für diesen Titel, der immer noch gilt. Ich wusste, dass mit der Zeit und wenn ich mich anstrenge, etwas Positives passieren würde. Ich habe das Bild auf Flickr geteilt, wo es sofort auf der Kunstseite This Is Colossal gebloggt wurde. Das war der Ausgangspunkt und daran arbeite ich bis heute.
Wo haben Sie die Bilder aufgenommen?
Ich mache meine Bilder in den öffentlichen Grünflächen, Parks, Gärten der Städte, die mein Zuhause waren. London und jetzt Berlin. Ich bin leidenschaftlich davon überzeugt, wie sehr diese Grünflächen unsere körperliche und emotionale Gesundheit fördern. Jeder Park hat eine Geschichte. In Berlin kann diese Geschichte dunkel sein und sich auf eine brutale Vergangenheit beziehen. Fast alle Bäume in Berlin sind gleich alt, da Berlin 1946/47 für Brennstoffe abgeholzt wurde. Bäume und Pflanzen sind in allen Erzählungen unserer Kindheit enthalten. Als Märchen und als Kulisse für Gräueltaten. Pflanzen versorgen Künstler mit Pigmenten, Kohle und Papier. Die Pflanzenwelt sorgt für unsere Medizin, unsere Nahrung, unseren Schutz.
Woher kommt Ihre Inspiration?
Das Bildermachen ist für mich zu einem meditativen Akt geworden. Ich mache nicht viele Bilder, sondern ich gehe dabei so vor, als würde ich auf Film fotografieren. So habe ich es gelernt. Nichts würde mich daran hindern, tausende Dateien zu erstellen, wenn das ich das wollte, aber es funktioniert für mich nicht.
Wie entscheiden Sie, ob Sie ein Foto machen oder nicht?
Ich habe ein paar Bilder in meinem Fantasie-Portfolio, die ich gerne machen würde, aber die meisten entstehen durch wiederholte Beobachtung. Manchmal stoße ich zufällig auf ein Bild, wenn ich eigentlich nach etwas anderem suche. In diesem Zusammenhang habe ich mir angewöhnt, mich umzudrehen und zu schauen, was das Licht hinter mir macht. Ich mag recht kleine Bäume, da ich mit einem kleinen Blitz nur so viel beleuchten kann und oft auch durch die Architektur im Hintergrund eingeschränkt bin. Daher muss ich mich damit begnügen, ein Motiv eher von unten nach oben zu betrachten, als einen Schritt zurückzutreten. Meine Bilder wurden einmal als Mikro-Landschaften beschrieben. Das gefällt mir und ich betrachte sie auch als Porträts von Pflanzen.
Möchten Sie etwas über Ihre fotografische Technik sagen?
Wenn ich ein Bild teile, dann teile ich auch immer die Kameradaten (Einstellungen) mit. So möchte ich denjenigen, die diese Informationen lesen können, zeigen, wie ich die Fotos mache. Wenn ich es nicht-technisch beschreiben müsste, würde ich sagen, dass ich immer versuche, sie theatralisch aussehen zu lassen. Um dies zu erreichen, unterbelichte ich ein Bild bei Tageslicht und beleuchte es mit einem Blitz erneut. Einfacher geht es nicht.
Die Bildtitel sind sehr aufwendig: The Shape of Wind Through Leaves and the Squeaky Toy, A Christmas Themed Romantic Comedy oder It was a Bright Cold Day in April sind die einen, The Clocks were Striking Thirteen ein weiterer.
Ich bin im Herzen ein Geschichtenerzähler und die Titel, die ich wähle, fassen die gesamte Erfahrung zusammen, die in die Entstehung dieses oder jenes Bildes eingeflossen ist. Wir alle sind die Summe einzelner Teile und all unsere Lebenserfahrungen tragen dazu bei, dieses eine Bild zu erschaffen. Das verstehe ich unter unserer visuellen Kompetenz. Wie kommt es, dass ein Dutzend Fotografen nebeneinander steht und Bilder desselben Moments macht, und doch werden alle unterschiedlich? Unsere visuelle Kompetenz. Jedes Bild, das wir machen, erzählt uns mehr über uns selbst als über das Motiv.
Gibt es etwas, das Sie mit diesem Projekt erreichen möchten?
Grünflächen haben eine Geschichte. Ich bin kein Umweltschützer, aber ich bin eine Art Gärtner. Ich liebe die Tatsache, dass ich umso mehr sehe, je mehr ich hinschaue. Und um diesen Gedanken abzuschließen: „Sieh, was ich verpasst hätte, wenn ich nicht hingesehen hätte.“ Dieser Satz ist für mich von großer Bedeutung.
Grant Simon Rogers wurde 1964 in Singapur geboren und studierte von 1981 bis 1985 Illustration am Portsmouth College of Art, wobei Fotografie Teil dieses Studienganges war. Nach dem Abschluss arbeitete er als Illustrator hauptsächlich für redaktionelle Publikationen und in der Film- und Fernsehbranche, wo er Animationen herstellte. Er ist heute auch in der Lehre tätig: als Gastdozent für die Public Life Long Learning-Programme der National Gallery (NG), der National Portrait Gallery (NPG), der Wallace Collection, des Barbican Art Centre (Artist in Residence, Education), Central Saint Martins, der University of the Arts London und des Institute of Education der University of Central London. Die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens verbrachte Rogers in London, 2018 zog er nach Berlin. Seine Arbeiten wurden in Galerien in London, Berlin, Surrey, Bath und Cambridge gezeigt. Erfahren Sie mehr über seine Fotografie auf seiner Webseite und seinem Instagram-Kanal.
Kommentare (0)