Mal sind farbige Linien mit dickem Pinsel auf die Prints aufgebracht, mal werden Motive nicht auf Papier, sondern auf Stoff geprintet, mal wabert Nebel in Knallfarben durch die Bilder – als Fotokünstlerin wagt Henrike Stahl gerne mal etwas Neues. 2023 war sie als Stipendiatin im Rahmen des Programms Instants im Château Palmer. Die ungewöhnlichen Praktiken des biologisch-dynamischen Landbaus inspirierten sie zu neuen Experimenten. Entstanden ist vor Ort ihre Serie L’arc sera parmi les nuages Hier berichtet sie darüber, was Fotografie für sie bedeutet, was sie inspiriert und warum die Natur für sie die Rolle einer Kuratorin einnimmt..

Was bedeutet die Fotografie für Sie?
Fotografie ist eine Art, in den Dialog miteinander zu treten, Brücken zu bauen zwischen Welten, die weit auseinanderliegen oder durch Vorurteile voneinander getrennt werden. Sie reißt Mauern nieder und macht den Weg für neue Denkansätze. Durch sie kann man sich mit Sanftmut anschauen, ganz wichtig. Leute aufmerksam zu machen, indem man sie mit trashigen Bildern schockiert, finde ich viel zu einfach.

Ganz generell: Wer hat Sie inspiriert?
Als ich anfing: waren das Wolfgang Tillmans, Rineke Dijkstra und Nan Goldin.

Sie fotografieren auch kommerziell, beispielsweise Fashionstrecken. Inwieweit hat diese Art von Arbeit ihre persönliche Bildsprache beeinflusst?
Ich hatte den Dickkopf oder das Glück, überall mal meine Nase reinstecken zu können. Hat länger gedauert, mir einen Namen zu machen, aber ich kann nicht ewig lange das Gleiche machen. Ich finde man muss sehr offen sein und sich für alles interessieren, weil alles sich so schnell verändert gerade in der Fotografie.

Welche Bezüge sehen Sie in Ihrem Werk zu anderen Kunstformen?
Musik ist immer mit dabei in den Ohren, ich male auch auf Prints…

… zum Beispiel zu sehen in Ihrer Serie Le Phénix. Wie haben Sie das entwickelt?
Ich wollte meine Bilder per Hand bearbeiten. Ich habe mit analoger Fotografie angefangen, dann kamen Photoshop und die digitalen Techniken Anfang 2000, und erstmal ganz viele peinliche Versuche mit alledem. Perfektion nervt mich. Beauty-Retuschen auch. Und wenn mich mal an einem Bild was stört, blauer Himmel zum Beispiel, dann streiche ich lieber einen dicken Strich Farbe drüber. Wieder mehr in der Hand halten, taktil arbeiten… Nur so entstehen Unikate.

Auch arbeiten Sie gerne mit Papier.
Ja. Und mit dem Skalpell, ich schneide gerne aus.

Welche Rolle spielt bei Ihrer Arbeit die digitale Bildbearbeitung?
Wie oben gesagt, ich bringe gerne mehr Farbe rein. Aber mache generell keine – oder so wenig wie möglich – Beauty-Retusche. Die Wellen im Buch zum Beispiel habe ich nicht farbverändert, sondern einfach nur die bestehende Farbe komplett übersaturiert, lustig zu sehen wieviele Farben in einem grau-weissen Himmel stecken. Hängt auch mit der Geburt meiner Tochter zusammen, ich kann keine Suche nach einem physischen Idealbild unterstützen, wieso sich nicht einfach mit dem zufrieden geben, was man ist, oder wie man geboren wurde? Es ist doch jeder für etwas da.

Worauf bezieht sich der Titel Ihrer jüngsten Serie L’arc sera parmi les nuages und woher stammt er?
Wir haben ganz viele Parallelen zur Geschichte von der Arche Noah gefunden die zu meinen Bildern passen. Der Versuch Paare oder Gleiche, das Gute über die vorausstehende Sintflut hinaus für später zu retten. Das Buch sollte keinen religiösen Amalgam bekommen, aber der Titel kommt daher. Der war eine Art Friedens-Ansage dass es ab nun keine Sintflut mehr geben soll.. „Es wird der Regenbogen in den Wolken zu sehen sein“ war die Aussage.

Worum geht es in der Strecke?
Wie man unsere Erde über diese Angst der Überschwemmung retten kann, die einem in einem Ort wie Château Palmer – das Weingut liegt sehr nah am Meer – allgegenwärtig ist. Und was man tun kann um unsere gesellschaftlichen Werte darüber hinaus zu retten. Der Austausch ist sehr wichtig. Weiterzugeben was man gelernt hat.

Dinge weiterzugehen an die Nachwelt.
Das kam mir voll auf als ich die jungen Leute aus den Vorstädten von Bordeaux gesehen habe, mit denen dort gearbeitet wurde. Über Grenzen gehen und sich gegenseitig was beibringen. Einander grösser werden lassen.

Wo und wann haben Sie die Motive fotografiert, bei welchen Gelegenheiten? Wie entdecken Sie geeignete Motive?
Ich war viermal im Château Palmer und habe dabei den kompletten Jahreszeitenzyklus abgedeckt, vom Beginn der Vorbereitungen nach dem Winter über das Vergraben der Tierhörner, das Anbinden der Zweige um ihre Erinnerungen auszutauschen, bis hin zur Weinernte und Vorbereitung zum nächsten Winter. Ich war dreimal eine komplette Woche vor Ort und vom Sonnenaufgang bis abends spät unterwegs mit den Winzern im Weingut und im Weinlager.

Warum haben Sie sich für die Arbeit mit Farbe entschieden?
Weil ich Farbe bringen will in die Welt. Für mich entscheidet man sich für Schwarzweiß erst dann wenn die Farbe im Bild stört.

Mit welcher Leica und welchen Objektiven haben Sie fotografiert und was waren Ihre Erfahrungen mit dem System?
Ich war mit der SL2-S und Vario-Elmarit-SL 1:2.8/24-70 Asph unterwegs, tolle Kamera! Man hat kompakt alles bei sich, und kann einfach keine unscharfen Bilder machen. Ich bin kein Technikfreak und viel zu sehr mit den Leuten beschäftigt die ich fotografiere als dass ich mich lange mit der Kameravorbereitung beschäftigen kann, und dafür war Sie ein perfekter Begleiter, ich habe keinen Moment verloren!

Was wünschen Sie sich für Ihre Bilder? Gibt es eine Botschaft, die Sie mit ihnen vermitteln möchten?
Seid sanft zueinander, habt Hoffnung, und wisst dass alles was Ihr macht einen Wert hat, der sich in die Weltgeschichte einträgt.

Als Autodidaktin assistierte die 1980 in Gießen geborene Fotografin Henrike Stahl bereits Steve Hiett und Paolo Roversi. Seit 2001 ist sie im Bereich Porträt und Fashion selbständig. Als Fotokünstlerin experimentiert sie gerne mit Prints, die sie bemalt, faltet oder durch weitere kreative Techniken bearbeitet. 2023 war sie zweite Künstlerin des Residency-Programms Instants von Leica und Château Palmer. Ihre Bilder wurden u.a. in Paris, Berlin und Arles ausgestellt. Sie lebt und arbeitet in Deutschland und Frankreich. Mehr über Ihre Fotografie finden Sie auf ihrer Webseite und ihrem Instagram-Kanal.

Leica SL2

It's your choice.