Seit mehr als 30 Jahren ist der australische Fotograf in Ländern wie Afghanistan, Angola, Burma, Burundi, Kambodscha, Indien, Irak, Israel, Ruanda, Somalia und Zaire unterwegs. In Langzeitprojekten beleuchtet er umfassende Themen wie Krieg und Klima. Ihn begleiten dabei diverse Leica-Kameras, deren Vorzüge er nicht mehr missen möchte. Neben seinen Reportagen widmet er sich auch künstlerischen Projekten. Kürzlich erschien sein jüngster Bildband Fucked Up Fotos bei Steidl, in dem er Fehlbelichtungen, Filmfehlern und anderen Unfällen mit der Kamera ins Rampenlicht verhilft.
Hier gibt er Einblicke in Gedanken zu seiner fotografischen Herangehensweise, wie er seine Themen findet, sein Archiv bearbeitet sowie in künstlerische Projekte.
Was bedeutet Straßenfotografie für Sie?
Für mich ging es bei der Fotografie schon immer darum, Spaß zu haben, und nichts bereitet mir mehr Vergnügen als die Straßenfotografie. Ich liebe die Freiheit und die Freude, die mir die Straßenfotografie bringen. Man begibt sich auf unbekanntes Terrain, auf dem alles möglich ist. Wenn ich unterwegs kein Glücksgefühl empfinde, bleiben meine Augen verschlossen. Es geht darum, zu beobachten und auf den richtigen Moment zu warten.
Wie erkennen Sie diesen Moment?
Man spürt es, wenn alles zusammenpasst: das Motiv, das Licht und die Stimmung. Wenn man diesen Moment eingefangen hat, ist das etwas ganz Besonderes, sehr Aufregendes. Das Ganze ist wie eine Art Tanz mit Fremden im Rhythmus der Straße. Dann macht es Spaß und ist eine Herausforderung. Selbst wenn man den Moment verpasst oder übersieht, ist das in Ordnung – er wird früh genug kommen. Der Schlüssel ist Geduld, großartige Fotos bekommen diejenigen, die warten.
Holen Sie sich Inspiration aus Büchern oder anderen Medien?
Ich lese viele Bücher und recherchiere ausgiebig für meine Projekte, bevor ich mich an einen Ort begebe. Ich fühle mich sehr verantwortlich dafür, die Menschen, die ich fotografiere, wertzuschätzen und versuche, meine Arbeit so ehrlich und überzeugend wie möglich zu präsentieren. Es ist lustig, na ja, vielleicht auch nicht ganz so lustig, aber in letzter Zeit habe ich darüber nachgedacht, ein großes fotografisches Archiv und Memoiren zu erstellen. Ich scheine in vielen meiner Arbeiten dem „Tod“ zu folgen – oder ist er mir gefolgt? Ich blicke durch meinen Sucher auf die Toten und entkomme meinem eigenen Tod öfter, als ich an zwei Händen abzählen kann.
Wie haben Sie die Bearbeitung und die Auswahl der Bilder festgelegt? Wie groß sind Ihre Archive?
Über 30 Jahre Archivmaterial ist eine Menge Arbeit! Ich habe meine Auswahl auf die Fotografien beschränkt, die ich mit Leica M-Kameras gemacht habe und davon diejenigen ausgewählt, die mich persönlich am meisten berühren. Einige davon sind preisgekrönt und vielleicht bekannt, andere sind ruhiger. Die endgültige Auswahl sollte Bilder jeder meiner Leica M-Kameras umfassen, angefangen bei der M3 bis hin zur M11. Das Editieren für ein Portfolio ist wie das Editieren für eine Retrospektive: Man ist nie ganz zufrieden und fragt sich, welche Aufnahmen aus dem eigenen Lebensarchiv man vielleicht übersehen hat. Letztendlich sind diese Fotografien Fenster in das Leben anderer und gleichzeitig in die eigene Seele. Ich bin sehr stolz auf sie alle.
Sie erkunden gerne neue und innovative Wege in der Fotografie und arbeiten oft mit anderen Künstlern, Autoren und Kreativen im Rahmen von Büchern, Ausstellungen, Filmen und Theater zusammen.
Wenn man so viele Jahre als Fotograf unterwegs ist, kann man ziemlich einsam und selbstgefällig werden. Die Kunst des Fotografierens ist in erster Linie eine Solo-Reise – die ich liebe! Aber im Laufe der Zeit habe den Wert erkannt und schätzen gelernt, den die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern für meine Arbeit und meine Ideen haben kann. Ich arbeite sehr viel mit dem wunderbaren Schriftsteller Jacques Menasche zusammen, weil wir den kollaborativen Prozess absolut verstehen, der unsere Stärken und Talente hervorbringt. Jacques hat einen starken fotografischen Hintergrund und wir haben den gleichen Musik- und Literaturgeschmack, was bei gemeinsamen Projekten zu unglaublich kreativen Ergebnissen führt.
Fotografie und Kunst zu verbinden, ist eine gute Sache.
Meine One-Man-Show, die ich vor einigen Jahren aufführte, war eine Idee, um die Kraft meiner Fotografie, meiner Geschichten und meines Lebens einem Live-Publikum zu präsentieren. Das Publikum konnte dabei nicht nur die unverfälschte Authentizität und Emotion meiner Bilder erleben, sondern es bekam auch Einblicke in meine private Welt und meine persönlichen Offenbarungen. Wenn ich kreativ herausgefordert werde und andere künstlerische Elemente mit der Fotografie kombinieren kann, um die Wirkung zu verstärken oder sie interessanter zu machen, dann ist das eine großartige Sache.
Ihr neuestes Buch, das diesen Herbst erscheint, trägt den Titel Fucked Up Fotos. Worum geht es darin?
Dieses Buch zeigt ausschließlich Arbeiten, die ich ursprünglich übersehen hatte und hebt meine Philosophie der Unvollkommenheit auf eine ganz andere Ebene. Es enthält die Missgeschicke, Fehler und allgemeinen Pannen, die mir unterwegs passierten – Fotos, die niemals in die Öffentlichkeit gelangt wären. Jetzt starren sie mich mit Nachdruck an und erinnern mich an Zeiten, als ich die Filmklappe meiner Kamera im Sonnenlicht öffnete, weil ich vergessen hatte, dass ich noch einen abgewickelten Film darin hatte oder an Filmrollen, die am Zoll durchleuchtet wurden. In diesen Fotografien steckt wenig von mir selbst, genau genommen habe ich sie gar nicht bewusst gemacht. Es sind die Unvollkommenheiten in Fotografien, die diese einzigartig, schön und großartig machen. Perfektion ist langweilig.
Der autodidaktische Fotograf Stephen Dupont wurde 1967 in Sydney geboren und besitzt einen Master in Philosophie. Neben der Dokumentarfotografie arbeitet er in den Bereichen Kunst und Film. Seine Langzeitprojekte behandeln umfassende Themen wie Krieg und Klima. Dupont erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den W. Eugene Smith Grant for Humanistic Photography im Jahr 2007 sowie mehrere World Press Photo Awards. Er arbeitet regelmäßig für TIME, Newsweek, The Sunday Times Magazine, GEO, Vanity Fair und The New York Times Magazine. Duponts Werke werden weltweit in Galerien, Museen und auf Festivals ausgestellt, unter anderem NYPL, Peabody Museum, ICP, Polka, Noorderlicht, Visa pour l’Image. Im Herbst 2024 erscheint sein neuestes Buch mit dem Titel Fucked Up Fotos bei Steidl. Mehr über seine Fotografie erfahren Sie auf seiner Webseite und seinem Instagram-Kanal.
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