Jedes Jahr im Herbst findet im Engadin ein Bergrennen statt: Das Bernina Gran Turismo vereint Renn- und Sportwagen aus der Vor- und Nachkriegszeit mit einer malerischen Landschaft. Der Schweizer Gian Marco Castelberg fotografiert Fahrer, Autos, Kulisse klar und direkt – und führt damit den Betrachter an den Ort des Geschehens.

Man sagt: „Auto fängt mit A an und hört mit O auf“. Wie viele der Oldtimer halten das Bergrennen überhaupt durch?

Tatsächlich weiss ich das nicht so genau. Spannend aber ist, dass defekte Autos zum Teil in harter Nachtarbeit repariert werden, um am nächsten Tag wieder am Rennen teilnehmen zu können. Aufgeben scheint also die absolut letzte Möglichkeit zu sein. Sie wird erst in Betracht gezogen, wenn wirklich jeder andere Strick reisst.

Hast Sie selbst auch ein Faible für Oldtimer?

Absolut.

Wie sind Sie zum Bernina Gran Turismo gekommen?

Durch einen Auftrag vom Bianco Magazine, das sehr ästhetische Lifestyle- und Berggeschichten produziert.

Was fasziniert Sie an diesem Rennen mehr – die Fahrer oder die Autos?

Es gibt kein Mehr oder Weniger. Für mich ist die Symbiose von Fahrer und Fahrzeug das Spannende.

Ihre Porträts der Fahrer sind zumeist schwarz-weiss. Dagegen erscheinen die Autos in Farbe, warum?

Einerseits möchte ich den individuellen Charakter der Fahrer durch die Schwarz-Weiss-Bilder „sichtbarer“ machen. Dagegen wirken die zum Teil sehr bunten Farben der Autos gegen das trotzige Wetter in der kahlen Bergwelt fast schon surreal.

Worin liegt die Schwierigkeit, bei einem „Rennen“ gute Fotos zu machen?

Es ist wahrscheinlich wie bei fast jedem Bild: Man muss zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Dabei hilft es, wenn man die Bilder antizipiert und für sich bereits visualisiert hat, bevor man den Auslöser drückt.

Ihre Fotos zeigen auch das Skurrile eines Oldtimeralltags – den Regenschirm, den man im Auto halten muss. Ist das Komische ein Teil Ihrer fotografischen Herangehensweise?

Ich versuche, meine Reportagen als eine Art Bestandsaufnahme individueller Momente zu gestalten, die im Kontext jedoch eine grössere zusammenhängende Geschichte ergeben. Dabei dürfen diese skurrilen kleinen Momente nicht fehlen, sie sind ja, unabhängig von mir, vorhanden. Aber es ist nicht so, dass ich spezifisch danach suchen würde, wie es zum Beispiel Martin Parr macht.

Wie würden Sie den „typischen“ Oldtimerfahrer beschreiben?

Die Oldtimerfahrer auf einen Typ zu reduzieren, würde ihnen nicht gerecht werden. Aber eine Gemeinsamkeit, die sie alle teilen, ist die Begeisterung und die Liebe zum Detail, mit der sie sich um die Technik ihrer Fahrzeuge kümmern.

Sie haben die Leica SL für Ihre Aufnahmen verwendet – was war für Sie das Besondere daran?

Man könnte als Analogie die Autos beim Bernina Gran Turismo verwenden: Auch wenn sich jedes Fahrzeug aus ähnlichen Teilen zusammensetzt, so lebt doch ein ganz anderes Gefühl – man könnte es fast schon Geist nennen – in diesen Oldtimern. Ähnlich verhält es sich mit den Kameras aus dem Hause Leica: Auch wenn sie, wie die Konkurrenz, mit modernster Technik ausgestattet sind, so unterscheidet sich doch das Gefühl, mit welchem man die Bilder aufnimmt. Eine Leica ist nicht nur ein Arbeitsgerät. Eine Leica ist die Essenz der Fotografie.

Wie läuft bei Ihnen der technische Prozess beim Fotografieren genau ab?

Der Prozess des Fotografierens startet schon vor dem technischen Teil. In diesem Falle sind die Kenntnisse über den Strassenverlauf, die Umgebung und die optimalen Aufnahmepositionen genauso wichtig wie die Kameratechnik. Der rein technische Prozess ist dann ein Ablauf von Wissen, Erfahrung und persönlichen Präferenzen.

Das Auto stellt – genau wie eine Strasse – einen Eingriff in die Natur dar. Trotzdem scheinen sich beide auf Ihren Bildern nahezu harmonisch in diese einzufügen. Absicht oder Intuition?

Harmonie und Ästhetik sind ja universelle Themen und überall um uns herum vorhanden. Tatsächlich ist es so, dass sich Autodesigner sehr häufig von der Natur, ihren Formen und Farben, inspirieren lassen. Ich habe natürlich absichtlich nach Winkeln und Bildern gesucht, in denen sich die Formen und Linien der Natur und die der Fahrzeuge in Harmonie befinden. Wann genau es dann soweit ist, ist jedoch Intuition.

Haben Sie beim Bernina Gran Turismo ein Lieblingsauto für sich entdeckt?

Kein eigentliches Lieblingsauto in dem Sinne. Mich haben eher immer wieder aufs Neue die sehr unterschiedlichen Formensprachen und Details der Autos in ihren Bann gezogen.

 Gian Marco Castelberg

Als ein guter Freund ihm einst sein Schwarz-Weiss-Labor und die Bücher von Richard Avedon und Anton Corbijn zeigte, war seine Passion klar. Gian Marco Castelberg war Teil der Gruppe autodidaktischer Fotografen (GAF) und arbeitet seit 2001 selbstständig für nationale und internationale Medien und Werbeaufträge. Er lebt in der Nähe von Zürich.

http://www.gmcastelberg.com