Kreativer Bilddesigner, engagierter Fotojournalist, poetischer Erzähler: Die aktuelle Ausstellung im Ernst Leitz Museum zeigt das Werk des Magnum-Fotografen Werner Bischof (1916–1954) in seiner ganzen Breite. Trotz seines frühen Todes durch einen Autounfall in den Anden mit nur 38 Jahren zählt Bischof noch heute mit seiner gestalterischen Präzision und emotional ansprechenden Bildästhetik zu den wichtigsten Schweizer Fotografen des 20. Jahrhunderts. Eindrücklich belegt die aufwendige Museumspräsentation seine Entwicklung von einem zurückgezogenen, künstlerisch arbeitenden Studiofotografen zum von der Gewalt der Geschichte getriebenen Fotojournalisten.

Die Ausstellung in Wetzlar entstand in enger Kooperation mit Marco Bischof, dem ältesten Sohn des Fotografen, und Tania Kuhn, engste Mitarbeiterin des Werner Bischof Estates. Neben vielen heute längst ikonischen Aufnahmen, wie dem Flöte spielenden Jungen oder den Shinto-Priestern im Schneetreiben, sind auch viele unbekannte Motive und Dokumente zu entdecken, die von der großen Humanität und dem präzisen Auge des Fotografen Zeugnis ablegen.

Die Auswahl beginnt mit seinen Anfängen in Zürich, wo er ab 1936 nach seinem Fotografiestudium als Studiofotograf brillierte. Ein Schwerpunkt sind im weiteren Verlauf Arbeiten als Foto-Dokumentarist, die ihn nach 1945 zunächst durch Europa und mit seinem Eintritt in die Bildagentur Magnum ab 1949 bis zu seinem tragischen frühen Tod 1954 hinaus in die Welt und vor allem nach Asien führten. Ebenso werden freie Arbeiten präsentiert, die er unabhängig von seinen Aufträgen verwirklichte. Die kreative Vielfalt Bischofs belegen darüber hinaus einige Zeichnungen, die während seiner zahlreichen Reisen entstanden.
Wir sprachen mit Marco Bischof über die aktuelle Ausstellung.

Was zeichnet die Ausstellung im Ernst Leitz Museum aus Ihrer Sicht aus?
Es ist eine umfassende Ausstellung des Gesamtwerks, das die Vielseitigkeit von Werner Bischof zeigt. Es ist ganz wichtig, dass man ihn in seiner Zeit sieht – einer Zeit, in der die Fotografen den Menschen zeigten, wie die Welt aussieht. Es war eine Zeit ohne Fernsehen oder gar Internet, und die Leute konnten nicht reisen, so wie es heute möglich und selbstverständlich ist.

Und Sie haben den besten Einblick in das Archiv Ihres Vaters…
Ja, das Wunderbare an dem Archiv ist sein umfassendes Material und die Eigenschaft, immer wieder neue Überraschungen hervorzubringen. So ist der Werner Bischof Estate seit langer Zeit bemüht, dieses wichtige Material zugänglich zu machen.

Wie hat sich für Sie persönlich der Blick auf Ihren Vater und sein Lebenswerk verändert?
Zu Beginn der Übernahme des Archivs von meiner Mutter Rosellina Burri-Bischof verfügte ich über wenig Kenntnis, doch mit zunehmender Arbeit wuchs das Interesse. Ein ganz wichtiger Punkt ist die Vollständigkeit des Archivs, das heißt, es sind nicht nur Fotografien, sondern auch Briefe, Tagebücher, Publikationen, Zeichnungen und vieles mehr, die einen wunderbaren Einblick in das Werk und Leben von Werner Bischof erlauben.

Gibt es in der Ausstellung einzelne Motive, die Ihnen besonders wichtig sind?
In den 30 Jahren, in denen ich nun zusammen mit Tania Kuhn mit dem Archiv arbeite, sind mir alle Bilder ans Herz gewachsen, und so hat jedes einzelne seine Geschichte.

Welche Rolle haben die Zeichnungen Ihres Vaters, die Sie mit einigen Beispielen in die Ausstellung integriert haben?
Werner Bischof war ein „Renaissance Man“, das heißt ein Mensch mit verschiedenen Talenten und Ausbildungen. Ursprünglich wollte er Maler werden, doch das Leben kam anders, und so wurde er ein außergewöhnlicher Fotograf, der auch Begabung im Zeichnen und Schreiben besaß. Oft näherte er sich einer Situation, indem er erst zu zeichnen begann, um danach zu fotografieren.

Ihr Vater fotografierte sowohl mit seiner Leica IIIc und einer Rolleiflex Automat – können Sie einschätzen, wann er die eine oder die andere Kamera bevorzugte?
Ich denke, er hat das sehr intuitiv entschieden.

Wie würden Sie seinen Zugang zur Welt und seine fotografischen Interessen beschreiben?
Ich sehe ihn als einen fotografierenden Humanisten, den das Interesse an der menschlichen Natur beschäftigte. Was natürlich während der sogenannten „Goldenen Jahre des Fotojournalismus“ nicht immer nur gut ankam. Oft mussten „Sensationen“ her für die Presse, doch Werner Bischof fühlte sich als Künstler und liebte es, grundlegende Essays zu machen.

Der Schweizer Fotograf Werner Bischof wurde am 26. April 1916 geboren. Seinen Wunsch, Malerei zu studieren, gibt er zugunsten der Fotoklasse von Hans Finsler an der Kunstgewerbeschule Zürich (1932–1936) auf. Danach werbegrafische Aufträge und Gründung eines eigenen Ateliers. Ab 1942 regelmäßig Veröffentlichungen im Schweizer Magazin Du. Nach 1945 Neuorientierung als Bildjournalist, 1949 Eintritt in die Fotografenkooperative Magnum Photos. 1951 sechsmonatiger Aufenthalt in Indien im Auftrag von Life, 1951/52 ein Jahr in Japan, 1952 Kriegskorrespondent in Indochina, 1953 viermonatiger Aufenthalt in den USA und danach Reisen durch Südamerika, auf denen er für Magnum Photos berichtete. Am 16. Mai 1954 stirbt Bischof in Peru bei einem Autounfall. Er hinterließ seine Frau Rosellina, die er 1949 geheiratet hatte, und seine Söhne Marco (geboren 1950) und Daniel (geboren neun Tage nach Bischofs Tod). Mehr über seine Fotografie erfahren Sie auf seiner Webseite.

Die Ausstellung Werner Bischof: Fotograf, Künstler, Zeitzeuge läuft noch bis zum 9. Juni 2024. Weitere Informationen und die Öffnungszeiten finden Sie auf der Website des Ernst Leitz-Museums.

Die Ausgabe 2.2024 des LFI Magazins enthält ein umfangreiches Portfolio von Werner Bischof.