Der Berliner Fotograf porträtiert in seiner Serie Schauspieler, die sich der santomeischen Volkstheaterkunst Tchiloli verschrieben haben. Seine Bilder aus São Tomé und Príncipe erzählen ausdrucksvoll von geschichtlicher Aufarbeitung und Entertainment und von einer tiefen Verbundenheit der Menschen mit Tradition und Erbe.

Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen?

Es war eine Mischung aus Intuition und zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Inspiriert hat mich eine Zeichnung von René Tavares in einem Café in São Tomé. Ich war fasziniert und stellte mir sofort vor, eine Porträtserie der Tchiloli-Schauspieler zu machen. Die Zeit dafür wurde mir unvorhersehbar geschenkt, denn durch einen Militärputsch im Nachbarland Gabun durfte ich nicht ausreisen. Also fing ich an zu recherchieren, fragte mich durch, telefonierte und las über Tchiloli. Es gelang mir schließlich, recht kurzfristig eine exklusive Aufführung zu organisieren – was für ein Glück ich hatte!

Was verbirgt sich genau hinter Tchiloli?

Tchiloli ist eine künstlerische Ausdrucksform, eine Theatertradition, die seit Jahrhunderten auf der Insel São Tomé besteht. Es handelt es sich um eine Nachstellung des portugiesischen Theaterstücks Karl der Große und der Markgraf von Mantua aus dem 16. Jahrhundert. Die Handlung dreht sich um Don Carloto, den Sohn und Erben Kaiser Karls des Großen, der während eines Jagdausflugs seinen besten Freund Valdovinos, den Neffen des Markgrafen von Mantua, ermordet. Tchiloli kombiniert Drama, Tanz und Musik und ist eine Kunst, die die Synthese afrikanischer und europäischer Traditionen symbolisiert und das Zusammenleben zweier unterschiedlicher Kulturen veranschaulicht. Die Tchiloli-Schauspieler, meist Männer, tragen Gehröcke mit bunten Bändern, Pailletten, Dreispitz, Masken und weiße Handschuhe – alles aus sorgfältiger Eigenherstellung.

Ihre Aufnahmen zeigen Porträts der Schauspieler, wie haben diese auf die Kamera reagiert?

Die Porträtserie entstand vor der Aufführung. Den Schauspielern wurde im Vorfeld kommuniziert, dass ich da sein werde, sodass die Kamera sie nicht überraschte. Die M6, mit einem 35er bestückt, wirkt meist harmlos. Sie schüchtert nicht ein, sie ist leise, sowohl beim Auslösen als auch im Design. Rückblickend kann ich also nur sagen, dass ich keine außergewöhnliche Reaktion bemerkte. Ich näherte mich meinen Protagonisten – wie immer und egal wo – mit Respekt und einer klaren Kommunikation.

Gab es Herausforderungen für Sie beim Fotografieren?

Die größte Herausforderung war, nur einen Film zu haben. Meine Zeit in São Tomé war eigentlich abgelaufen, und ich hatte die Anzahl an Filmrollen genau kalkuliert. Tatsächlich aber fand ich noch einen letzten Film in meiner Tasche. Und auf die M6 für Porträtaufnahmen ist einfach Verlass. Sie ist schnell und kompakt, ihre Bauweise und das Gefühl in der Hand – ein perfektes Zusammenspiel aus Genialität und Haptik. Wenn ich durch den Sucher blicke, fokussiere und auslöse, scheint alles andere um mich herum nicht stattzufinden.

Was wollten Sie mit Ihren Bildern zeigen?

Alles ging dermaßen schnell, dass ich eigentlich kaum zum Nachdenken kam. Ich wollte einfach meinen Blick teilen, ich folgte einem Gefühl, einem Gespür. Ich musste es fotografieren.

Sie haben die Porträtierten vor weißem Hintergrund, einem Laken, in Szene gesetzt …

Ich wollte statische, „simple“; Fotos kreieren – ohne Stativ, aber auch nicht in Bewegung. Das weiße Laken diente der Neutralität, um die Farben „ideal“ zu belichten und eine Uniformität zu erlangen. Ich wusste, dass ich wenig Schärfentiefe und auch wenig Grün (Palmen) und wenig Silber (Wellblechzaun) verzeichnen wollte. Ich habe mich bewusst gegen eine starke Tiefenwirkung entschieden, weil ich nur durch das Motiv und nicht durch einen unscharfen Bereich eine Wirkung erzielen wollte. Dennoch wollte ich einen Hinweis geben, wo die Fotos entstanden sind.

Worin liegt für Sie die Faszination der Analogfotografie?

Es ist und bleibt ein Handwerk. Mich fasziniert die entschleunigende Wirkung, Raum und Zeit zu verlangsamen, und die Fähigkeit, ein Foto weitestgehend selbst zu machen – „not taking a photograph but making it“. In der Analogfotografie gibt es Spielraum für eventuelle „Fehler“ oder „schöne Unfälle“, das löst bei mir Gänsehaut aus. Mich fasziniert die Spannung und die Limitierung auf eine bestimmte Menge an Resultaten. Der Prozess fordert mich stetig heraus, in jeglicher Hinsicht.

Ihre Serie ist auch eine Erzählung über Tradition und Erbe; inwieweit ist es für Sie als Fotografen wichtig, diese zu bewahren?

Tradition und Erbe sind große Worte; ich kann erst einmal nur meine Achtung und meinen Respekt bewahren, den ich für die Menschen habe, die ich fotografiere – egal wo auf der Welt. Ich kann nur durch oder aber von meinem Blick reden. Es sind meine Erfahrungen mit Geschichten, die sich vor der Linse abspielen und von denen meine Werke erzählen. Das Ziel besteht für mich nicht darin, Geschichten anderer zu erzählen – es sind ihre eigenen – sondern wie mein Blick das beeinflusst, was mir begegnet, wenn ich auf Reisen in verschiedenen Teilen der Welt Menschen in ihren Gesellschaften und Kulturen fotografiere.

Felix Vollmann

Der Fotograf und Filmschaffende lebt und arbeitet in Berlin. Seine Fotografie fängt Menschen in Räumen ein, die ihr tägliches Umfeld bestimmen, wobei er Porträt- und Straßenfotografie kombiniert, um soziale Landschaften zu dokumentieren. Vor dem Hintergrund seines Masterstudiums in Internationalen Beziehungen gehen seine Bilder über die Grenzen hinaus, reist er vor allem in Länder, die von den Folgen des Krieges, des Kolonialismus oder vom Klimawandel betroffen sind. Deutschlandweit produzierte er Kampagnen in Politik und Werbung.

 

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Instagram: www.instagram.com/felix.vollmann/

Kamera: Leica M6

Objektiv: Summaron-M 1:2.8/35

Filme und Entwicklung/Scan: Kodak Portra 400 und 160; Aperture Film Lab