Vor sechs Jahren gab es in Myanmar die Hoffnung auf eine friedliche und freiheitliche Zukunft. Die Fotografin Jana Sophia Nolle war 2015 vor Ort, als die demokratischen Oppositionspartei die Wahlen gewann. Ihre Bilder waren geprägt von Zuversicht und Optimismus, von Wandel und Veränderung – heute erzählen sie eine Geschichte über verlorene Zeiten und vergängliche Stimmungen.
Die Lage in Myanmar hat sich seit Februar 2021 erschreckend verändert. Wie haben Sie reagiert?
Ich war zutiefst geschockt und empört. Die brutale Gewalt der Militärjunta und der Polizei bedeutet einen katastrophalen Rückschritt für das Land und eine erneute Traumatisierung der Bevölkerung. Obwohl ich das letzte Mal vor fünf Jahren in Myanmar war, bin ich noch immer mit Freunden und Bekannten dort im Kontakt, ehemalige Wahlbeobachter, Kolleginnen und Einheimische. Die Medienberichte, aber vor allem auch die persönlichen Schilderungen meiner Freunde über den Ausnahmezustand berühren mich sehr. Der Militärputsch wird das Land wieder stark zurückwerfen, politisch, wirtschaftlich und sozial. Ich denke, dass der Militärputsch ein Symbol für alles Konflikte ist, die im früheren Burma schwelten und die bisher nicht geheilt sind.
Die Situation, in der Sie damals fotografierten, sah anders aus …
Vor fünf Jahren gab es ein deutlich wahrnehmbares Gefühl von Hoffnung. Hoffnung auf mehr Freiheit und Frieden. Mit der Wahl 2015 und dem historischen Wahlsieg der National League for Democracy (NLD), der Oppositionspartei von Daw Aung San Suu Kyi, hat Myanmar vorsichtige Schritte in Richtung einer sogenannten gelenkten Demokratie gemacht. Das Land befand sich in einem historischen Transformationsprozess. Ich erinnere mich an die Vor-Wahlzeit, die Wochen der Kampagnen vor dem Wahltag. Insbesondere junge Menschen wurden mobilisiert. Es gab ein intensives Gefühl des Aufbruchs.
Sie sind 2014 als internationale Wahlbeobachterin in das Land gereist, wie kam es dazu?
Neben meinem Studium der Fotografie an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin, von 2015 bis 2018, habe ich Politikwissenschaften und Friedens- und Konfliktforschung studiert. Nach meinem Master-Abschluss an der SOAS University London im Jahr 2012 ergab sich erst ein Job als internationale Wahlbeobachterin für das Carter Center in Nepal. Das Carter Center ist eine jener Organisationen, die internationale Wahlbeobachter entsenden dürfen. 2014 bekam ich dann das Angebot mit einem kleinen Team das Carter Center in Myanmar mit aufzubauen und eine der ersten Wahlbeobachter-Missionen in diesem Land vorzubereiten. Insgesamt war ich ein gutes Jahr vor Ort, von November 2014 bis Dezember 2015.
Ihre Serie „Present and Past“ zeigt die damalige demokratische Entwicklung im Land, auf typische Symbole einer Freiheitsbewegung haben Sie aber verzichtet.
Ich suchte nach Momenten, die für den fragilen Übergang Myanmars von einer Militärdiktatur zu einer disziplinierten, gerichteten Demokratie repräsentativ waren, mit dem Fokus auf den Menschen, die in jener Zeit des historischen Wandels lebten. Die Serie zeigt meine Beobachtungen von Personen, die diese sozialen, kulturellen und politischen Veränderungen entweder aktiv oder passiv mitgestalteten, als einfache Wähler und Bürger des Landes, als Aktivisten, Politiker oder Religionsvertreter. Ich habe oft nach Bildern gesucht, die keine typisch erkennbaren Elemente der „Revolution“ enthielten. Es sind keine offensichtlichen Bilder der „Revolution“ oder des „Kampfes um Veränderung“, sondern eher solche, die ein subtiles Gefühl einer Vergangenheit einfangen, die langsam verschwindet und einer neuen, noch unbekannten und unbestimmten Gegenwart und Zukunft Platz macht.
Wie sind Sie den Menschen begegnet?
Mit meinem Team bin ich monatelang durch größere Städte und Dörfer gereist, einige davon waren zu dem Zeitpunkt Touristen nicht zugänglich. In der Position als Wahlbeobachterin muss ich mit den unterschiedlichen Akteuren des gesellschaftlichen Lebens sprechen und gezielt Interviews führen. Dadurch und auch einfach durch mein Leben vor Ort haben sich Beziehungen und Kontakte ergeben. Ich interviewte eine Vielzahl von Menschen und suchte fotografisch nach Themen und Motiven, die zu meinen Interessengebieten passten: Freiheit, staatliche Überwachung, Menschen, die zwischen dem alten und dem neuen System gefangen waren, und ein neues Selbstbewusstsein der Jugend.
Bis vor kurzem noch sendete Ihre Serie ein hoffnungsvolles Zeichen, war ein Signal des Aufbruchs. Was bedeuten Ihre Aufnahmen heute?
Heute gehören meine Aufnahmen zur Geschichte Myanmars. Sie zeigen einen historischen Moment, einen politischen Umbruch des Landes – meine subjektiven Beobachtungen, gesehen und fotografisch festgehalten aus dem Blickwinkel und der Position einer deutschen Wahlbeobachterin und Fotografin. Ich sehe sie als visuelle Zeitzeugen und Dokumente, als Bilder, die auf einen möglichen gesellschaftlichen Wandel hindeuten können. Es sind Aufnahmen, die eine vergängliche Stimmung eingefangen haben. Vieles erschien damals möglich, doch gleichzeitig auch sehr unsicher, da nicht klar war, ob die Militärjunta bereit war, ihre Macht tatsächlich abzugeben. Mein Blick und damit diese Bilder wurden beeinflusst und geformt durch meine eigenen Hoffnungen auf einen gesellschaftlichen Wandel in Myanmar. Jetzt fände ich dort andere Bilder vor.
Jana Sophia Nolle, geboren 1986, lebt und arbeitet in Berlin. Sie erhielt ihren MSc von der SOAS University London hat die renommierten Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin absolviert. Ihr Ansatz ist multidisziplinär, sie arbeitet mit konzeptioneller Fotografie, Video und Installationen. Nolles Arbeiten wurden international in Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, zuletzt im Torrance Art Museum Los Angeles, Santo Tirso International Museum of Contemporary Sculpture, Unseen Amsterdam und in der Catharine Clark Galerie in San Francisco. Neben ihrer Tätigkeit als bildende Künstlerin arbeitet Nolle als internationale Wahlbeobachterin. Zuletzt lebte und arbeitete sie in Nepal, Myanmar, Weißrussland, Albanien und der Ukraine. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Jana Sophia Nolle auf ihrer Website und in ihrem Instagram-Kanal.
Kommentare (0)