1975 wurde Pier Paolo Pasolini ermordet, sein Tod scheint bis heute nicht aufgeklärt. Im Jahr seines 100. Geburtstags findet im Palazzo delle Esposizioni, Rom, vom 8. Juli bis zum 4. September 2022 die Ausstellung Reflecting Pasolini mit Bildern des Hamburger Künstlers Ruediger Glatz statt. Er begleitete mehrere Performances von Olivier Saillard und Tilda Swinton, die mit dem Kostümfundus des Filmemachers umgingen, fotografisch und schuf darüber hinaus eine persönliche Hommage an PPP.

Pier Paolo Pasolini war ein Multitalent: Lyriker, Romancier, Drehbuchschreiber, Regisseur, auch bildender Künstler. Haben Ihnen die Schauspielerin Tilda Swinton und Modehistoriker Olivier Saillard verraten, wie sie auf die Idee kamen, eine Performance zu den Kostümen in seinen Filmen zu machen?

Den Vorschlag, ein Projekt um Pier Paolo Pasolini zu machen, wurde nach meiner Kenntnis geboren durch Clara Tosi Pamphili, selbst eine Modehistorikerin aus Rom und seinerzeit Vizepräsidentin der Azienda Speciale Palaexpo, die Olivier Saillard diesen Vorschlag machte. Saillard ist ein großer Verehrer von PPP und seines Werks und sprach daraufhin Tilda Swinton an, mit der er bereits vier Performances konzipiert und umgesetzt hatte. Swinton, ihrerseits auch eine Verehrerin von Pasolinis Werk, war mit Saillard durch den Regisseur Derek Jarman in Kontakt gekommen, mit dem sie in den 1980ern und 90ern zusammengearbeitet hatte.

Wie war die Performance choreografiert: im Stil einer Modenschau oder doch eher wie ein Ballett?

Die Performance wurde von Saillard, seinem Partner Gaël Mamine und Swinton konzipiert und über eine Woche in etlichen Proben ausgearbeitet. Streng genommen hat sie sich auch mit jeder Aufführung weiterentwickelt. Ich bin kein großer Kenner der Abläufe im Ballett, gehe aber davon aus, dass man sie mit einem Ballett vergleichen kann, da speziell Swintons Wahrnehmung einen starken Einfluss auf ihren Teil der Performance hatte.

Hat sich Swinton zur Art ihrer Darstellung geäußert? Mich erinnert die Serie zur Performance sehr an Orlando, einen ihrer früheren Filme. Dort agiert sie auch in Männer- und Frauenkleidung aus ganz verschiedenen Epochen.

Nach meinem Verständnis ist ihre Darstellung maßgeblich von ihrer Wahrnehmung der Filme, auf die die beiden Bezug genommen haben, und der daraus resultierenden Emotionen geprägt gewesen.

Welche Filme waren das?

In der Reihenfolge ihrer Entstehung waren das Il vangelo secondo Matteo (Das 1. Evangelium – Matthäus), Uccellacci e uccellini (Große Vögel, kleine Vögel), Edipo Re (Edipo Re – Bett der Gewalt), Porcile (Der Schweinestall), Il Decameron (Decameron), I racconti di Canterbury (Pasolinis tolldreiste Geschichten), Il fiore delle mille e una notte (Erotische Geschichten aus 1001 Nacht) und schließlich Pasolinis letzter Film Salò o le 120 giornate die Sodoma (Die 120 Tage von Sodom).

Kann man von einem Pasolini-Stil bei den Kostümen in seinen Filmen sprechen? Was machte diesen Stil aus?

Der Stil der Kostüme ist maßgeblich geprägt durch den Kostümbildner Danilo Donati, der in Zusammenarbeit mit Pasolini und dem Haus Farani die Kostüme zu allen Pasolini-Filmen, mit Ausnahme von Medea, gestaltet hatte. Eine Aussage über den Stil zu treffen, bewegt sich etwas außerhalb meiner Kompetenz, wenn ich diese jedoch auf Basis dessen, was ich gesehen habe, und meiner Wahrnehmung treffe, bin ich der Ansicht, dass es diesen Stil gab und dass er reduziert und intensiv zugleich, passend zu seinen Filmen, war.

Sie haben von der CL über die M10-R und 11 bis zur SL2 vier Leica Kameras und noch mehr Objektive eingesetzt. Haben sich dabei für bestimmte Sujets typische Kombinationen ergeben?

Ich bin ein großer Freund von zu einzelnen Momenten oder auch ganzen Projekten passenden Kamera-Objektiv-Kombinationen. Als ich im Juni 2021 Embodying Pasolini begleitete, empfand ich die M, damals die M10-R, und vor allem die CL als optimale Kamera. Die M10-R mit einem 50er erlaubte mir gerade bei den Proben, bei denen ich mich komplett frei bewegen konnte, hochauflösende Bilder auf eine sehr natürliche Art mit etwas Distanz zu schießen. Mit der CL und ihrem unverwüstlichen elektronischen Verschluss, ihrem geringen Gewicht sowie etwas längeren Brennweiten konnte ich auch während der Performance ohne zu stören ungehindert arbeiten. Bei diesen Shootings habe ich mich sehr viel bewegt und diese beiden Kameras waren perfekt für diesen Einsatz. Da die Leica Kameras noch keine Mehrfachbelichtung erlauben, hatte ich noch eine japanische DSLR dabei, mit der ich in Kombination mit dem Leica Summilux-R 1:1.4/80 wunderbare Mehrfachbelichtungen machen konnte.

Im April 2022 lichtete ich eine weitere Performance von Embodying Pasolini in Solomeo auf einer Theaterbühne ab. Hier wiederum war die SL2 mit dem Lumix S 1:4.5–5.6/70–300 Macro OIS die perfekte Kombination, um aus der Ferne das Geschehen mit Langzeitbelichtungen aus der Hand zu begleiten. Die M11 kam dann beim Arbeiten an der Serie On PPP ins Spiel. Ursprünglich gab es den Gedanken, die Motive großformatig im Museum zu präsentieren und die Auflösung gab mir die Gewissheit, die technischen Ressourcen dafür zu haben.

In On PPP haben Sie eine Hommage an Pasolini und sein Werk fotografiert. Handelt es sich um reale Orte, an denen sich der Künstler aufgehalten hat, um Orte aus seinen Filmen oder um Ihre ins Bild gesetzten Assoziationen? Steht etwa das Giotto-Fresko der Vogelpredigt von Franziskus für Pasolinis tiefe Sympathie für die „einfachen Leute“? Oder Piero della Francescos Fresken aus Arezzo für den Kurzfilm La ricotta oder die Verfilmung des Evangeliums Matthäi?

Meine Serie und Hommage an Pasolini On PPP hat sich im Prozess entwickelt. Ursprünglich war der Gedanke, Locations aus seinen Filmen Jahre später erneut aufzusuchen, dann kamen Orte der Inspiration und am Ende auch Orte aus seinem Leben hinzu. Tatsächlich werde ich im Rahmen der Ausstellung Reflecting Pasolini im Palazzo delle Esposizioni vom 8. Juli bis zum 4. September 2022 nur einen aktuellen Ausschnitt aus dem Projekt präsentieren, da mir im Prozess, der gefühlt sehr kurz war, klar wurde, dass ich die Serie bis zur Eröffnung nicht komplett abschließen kann. Es werden nicht nur weitere Motive entstehen, sondern es wird auch noch ziemlich sicher ein weiterer fotografischer Ansatz, der sich mit den Emotionen auseinandersetzt, hinzukommen.

Das Giotto-Fresko in Assisi ist eine klare Referenz seines Films Uccellacci e uccellini und Pieros Fresken in Arezzo eine Referenz und Inspiration Pasolinis für Il Vangelo secondo Matteo. Wegen der aktuellen Corona-Umstände musste ich auf Einlass in die Kapelle warten und nutzte die Zeit, um in einem nahe gelegen Restaurant ein Mittagessen einzunehmen und mir dabei wieder Ausschnitte aus dem Film anzusehen. Ich verließ das Restaurant und in diesem Moment lief ein Italiener an mir vorbei, der dem Jesus-Darsteller unglaublich ähnlichsah und mich inspirierte, ihn zu porträtieren.

Der dritte Teil von Reflecting Pasolini ist übrigens das Zine The Long Road to Pasolini, Volume 1, die Aufnahmen habe ich alle aus einem Fiat 500 fotografiert. Es ist im Shop des Palazzo erhältlich.

Als Regisseur hat Pasolini in Schwarzweiß begonnen und später zumeist Farbe verwendet. Sie haben sich durchgängig für Schwarzweiß entschieden. Was waren Ihre Gründe?

Der Großteil meiner Arbeiten ist in Schwarzweiß, da ich so nicht nur den Prozess schlank halte, sondern damit auch den Fokus unkompliziert auf die Elemente lenken kann, um die es mir geht. Wenn eine Serie Farbe benötigt, wird sie auch Farbe zeigen. Im Fall von On PPP wollte ich anfangs die Orte der Farbfilme tatsächlich auch in Farbe abbilden, bis ich gemerkt habe, dass die Ruhe, die eine einheitlich in Schwarzweiß fotografierte Serie ausstrahlt, mehr dem entspricht, was ich wollte. Meine Bilder sind eine Interpretation mit fotografischen Mitteln und die Entscheidung, das 2022 in Schwarzweiß zu realisieren, ein klarer Hinweis auf diese Haltung.


Ruediger Glatz, 1975 in Heidelberg geboren, begann seine künstlerische Karriere als Graffiti-Writer. Als Teenager handelte er zudem mit Sprühdosen-Retourenware und entwickelte ab 1997 auch selbst Sprühdosen. 2000 fand er die Fotografie als Medium, um sich künstlerisch auszudrücken, und 2007 beschloss er, die Fotografie zum Hauptberuf zu machen. Heute ist er in erster Linie als Künstler tätig und betreibt eine Kommunikationsagentur, unter deren Dach er auch angewandt arbeitet. Er lebt in Hamburg. Erfahren sie mehr über die Fotografie von Ruediger Glatz auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.

www.ruedigerglatz.comwww.instagram.com/ruedigerglatz

Ausstellung: vom 8. Juli bis zum 4. September läuft im Palazzo delle Esposizioni die Ausstellung Reflecting Pasolini von Ruediger Glatz.

Buch: Bei Rizzoli erscheint am 6. September der Bildband Embodying Pasolini mit einem Vorwort von Tilda Swinton, Beiträgen von Olivier Saillard und Clara Tosi Pamphili und den Fotografien von Ruediger Glatz.

In der LFI 6/2022 erscheint ein Portfolio zu Reflecting Pasolini von Ruediger Glatz. Das Magazin kommt am 5. August auf den Markt.