Ab diesem Monat wird im portugiesischen Leica Werk in Vila Nova de Famalicão ein großes Jubiläum gefeiert: Seit genau 50 Jahren besteht die Dependance und ergänzt die Produktion des Wetzlarer Traditionsunternehmens. Doch nicht nur die Geschichte der technischen Innovationen wird gefeiert, auch die Fotografie selbst steht im Fokus des Jubiläums. Keine 40 Kilometer vom Leica Werk wird ebenfalls ein Jubiläum gefeiert: So präsentiert die Leica Galerie Porto eine Ausstellung mit Werken aus 50 Jahren von Alfredo Cunha.

Er hat auf der ganzen Welt gearbeitet, doch im Zentrum seiner Fotografie stand immer sein Heimatland Portugal. Ganz sicher gehört Alfredo Cunha zu den bedeutendsten Fotografen des Landes. In seiner langen bildjournalistischen Karriere hat er die wechselvolle Geschichte mit seinen Leica Kameras begleitet und ein unvergleichliches Archiv zu Politik, Gesellschaft, Städten und Landschaft, vor allem aber zu den Menschen Portugals geschaffen. Das Werk des 1953 geborenen Fotografen ist die lebendige Chronik eines halben Jahrhunderts. Beste Gelegenheit, wieder einen Einblick in sein Werk zu erhalten, bietet die Ausstellung Portugal from 1973 to 2023: A Work in Progress in der Leica Galerie Porto, die gerade eröffnet wurde und noch bis in den Januar 2024 besucht werden kann. Die Ausstellung ergänzt die Jubiläumsschau Von Famalicão in die Welt: 50 Jahre Leica in Portugal, die am Produktionssitz gezeigt wird. Fotografie wird auch hier eben nicht nur als Technik und optische Innovation verstanden, sondern immer geht es um die Menschen, um die Beschäftigten im Werk, aber auch um die Fotografen, die mit Leica Kameras die Welt im Blick haben. Und Alfredo Cunha gehört mit seiner Leidenschaft für Leica Kamera zu den prominentesten Vertretern innovativer Fotografie, der dabei seiner Bildsprache treu geblieben ist, sie kontinuierlich verfeinert hat und auf ein herausragendes Lebenswerk blicken kann.

Ein wesentlicher Schlüssel für das Verständnis von Cunhas Fotografie ist sein direkter Zugang zu den Menschen; früh wurde er von den europäischen humanistischen fotografischen Vorbildern geprägt, ebenso ein paar Jahre später von den amerikanischen Realisten des Bildjournalismus. Als genauer Beobachter hat er die politische, soziale und gesellschaftliche Entwicklung Portugals begleitet. Von besonderer Bedeutung sind seine Aufnahmen, die während der Nelkenrevolution nach dem 25. April 1974 entstanden. Sein Werk ist vor allem eine reiche Chronik Portugals, das er in den unterschiedlichsten Facetten dokumentiert hat: ländliche Arbeit, Ernten, die Dörfer und kleinen Städte mit Werkstätten, Festen, Prozessionen, Musikkapellen, die Widersprüche der Großstädte, die Umbrüche mit Demonstrationen und Kundgebungen, der Alltag auf den Straßen. Viele Dinge haben sich verändert – das Land, in dem er bevorzugt fotografiert, und auch die Ausrüstung, die er für seine Arbeit verwendet, von der analogen Technik zur Digitalfotografie, die er seit 2003 nutzt. Auch die Erfahrungen mit Covid-19 hat er 2020 in der ergreifenden Serie Hope festgehalten. Natürlich auch wieder in Schwarzweiß.

Ihrer Vorliebe für Schwarzweiß sind Sie stets verbunden geblieben?
Ja, Schwarzweiß ist seit jeher meine Sprache. Bei den mehrfarbigen Versuchen, die ich im Laufe meines Lebens unternommen habe, bemerkte ich, dass Farbe mich vom Wesentlichen ablenkt und ein unnötiges Rauschen einführt. Für mich ist das Wesentliche die Form, nicht die Farbe.

In Ihrer langen Karriere nutzten Sie eine Vielzahl von Kameras. Was schätzen Sie an Leica?
Ich habe tatsächlich mit unzähligen Kameras gearbeitet, aber ich hatte immer auch eine oder zwei Leica Kameras. Die erste war eine Leica M3, im Jahr 1972 erworben. Ich habe mit der M3, M2, M6 und M7 gearbeitet, auch mit einer Leicaflex SL, die ich wegen der langen Brennweite schätze. Leica Kameras sind robust und haben eine fantastische optische Qualität – sie sind ein Arbeitsgerät, aber sie wurden gleichzeitig zu einer Verlängerung meines Auges. Natürlich tragen die Leichtigkeit und Diskretion der M-Kameras und jetzt auch der Q2 Monochrom viel zu meiner Vorliebe für diese Kameras bei. Neben der Q2 Monochrom verwende ich derzeit eine Micro-4/3-Kamera mit Leica-Prime-Objektiven – zum Beispiel einem Summilux 1:1.4/12, einem Nocticron 1:1.2/42.5 und auch einem 100–400er-Zoom. Ich liebe extreme Brennweiten – weitwinkelige Objektive und lange Brennweiten.

Und wie ist Ihre Haltung zur digitalen Fotografie?
Ich unterscheide nicht zwischen analog und digital; sie nähern sich immer mehr an. Die Technik ist nicht wichtig, das resultierende Bild ist das, was zählt. Ich schätze die Demokratisierung, die die digitale Fotografie mit sich gebracht hat, sie hat das Auftreten vieler neuer junger Fotografen ermöglicht.

Vor mehr als zehn Jahren hat sich Cunha aus dem aktiven Bildjournalismus zurückgezogen, aber von Ruhestand keine Spur. Im Gegenteil: Seither hat er zahlreiche Bildbände veröffentlicht, sein Archiv geordnet, Ausstellungen vorbereitet. Nun auch wieder in Porto – und der Titel A Work in Progress verspricht, dass wir auch in den nächsten Jahren weitere Motive des Fotografen entdecken können.

Alfredo Cunha wurde am 8. Oktober 1953 in Celorico da Beira geboren. Familiär durch die Fotografie geprägt, beginnt er 1970, als professioneller Fotograf in der Werbung zu arbeiten. Seine Karriere als Bildjournalist startete er bei der Zeitung „Notícias da Amadora“. In der Folgezeit arbeitete er für viele Zeitungen, Magazine und Nachrichtenagenturen. Er war offizieller Fotograf zweier portugiesischer Präsidenten, Ramalho Eanes und Mário Soares. Seit 1972 hat er über 30 Bildbände publiziert, bis heute entwickelt er neue freie und redaktionelle Projekte. Zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1995 der Orden des Infante Dom Henrique. Mit seiner Familie lebt er heute in Vila Verde, in der Nähe von Braga.

Mehr Informationen zur Leica Galerie Porto finden Sie hier.
Ein Portfolio zu Alfredo Cunhas Werk findet sich in der LFI-Ausgabe 5/2021.