Seine Bilder fangen zeitlose Erinnerungen an das Leben und die Freiheit ein. Die Aufnahmen des Wiener Fotografen Alex Dietrich, die in italienischen Badeorten entstanden sind, stellen eine Art Dolce Vita für das neue Jahrtausend dar. Sie erinnern an ein besonderes Gefühl, an Sommerferien und an die eigene Kindheit.

Was bedeutet der Sommer für Sie?
Sonne, Licht, Wärme und Anstrengung. Eine angenehme Art der Anstrengung – alles fällt ein bisschen schwerer, vor allem, wenn es richtig schwül ist, und im Schatten oder in der Nacht kühlt es sich nicht einmal ab. Die Menschen, die Erfrischung im Wasser suchen, sind sich ähnlicher als sonst, soziale Grenzen verschwinden und trotz der Hitze herrscht am Meer, am Fluss oder am See eine entspannte und angenehme Stimmung. Man genießt die Sommerabende, wenn die Sonne erst viel später untergeht. Alle wollen draußen sein, alles spielt sich draußen ab. Spiele, Konzerte, Theater, der Besuch im Café etc. Meiner Meinung nach geschieht viel mehr gemeinsam.

L’estate ist das italienische Wort für Sommer. Warum Italien?
Das Projekt steht für meine Entdeckung Italiens. Dadurch dass ein Teil meiner Familie in Frankreich lebt, bin ich sehr frankophil. Aber vor einiger Zeit habe ich spontan mit Freundinnen und Freunden zwei Reisen nach Norditalien unternommen und dabei hat es mich irgendwie gepackt. Seitdem war ich oft dort und ich liebe es – vor allem am Meer. Und mich begeistern Projekte wie La lunga strada di sabbia von Pasolini & Paolo di Paolo, die mit dem Auto den ganzen Stiefel abgefahren sind. Ich liebe auch das Buch von Claude Nori, Un été italien, und die Fotos von Luigi Ghirri. Und am wichtigsten: der Antrieb meiner Freundin Leonie Novotny, mit der ich dieses Projekt durchführe. Sie begleitet meine Fotos mit Texten und ich begleite ihre Texte mit Fotos.

Ihre Serie ist ein Langzeitprojekt, das noch läuft. Wie kommen im Sommer Jahr für Jahr neue Motive zustande?
Weil ich mich im Sommer einfach gern draußen aufhalte und so viele Eindrücke sammle. Jedes Jahr entdecke ich sogar in Wien noch Ecken, die ich vorher nicht wahrgenommen habe. Ich treffe andere Menschen, die mir neue Dinge zeigen, oder mir kommen in den kälteren Monaten Ideen, die ich im Sommer umsetzen möchte. Und es besteht ein gewisser Zeitdruck – der echte Sommer in Wien dauert nicht so lange, vor allem wenn man nicht immer Zeit hat, oder wenn eine Woche nur Regen vorhergesagt ist. Das bedeutet, dass die Tage zum Fotografieren nur so dahinschmelzen. An den wenigen Tagen muss dann auch etwas dabei herauskommen.

Wie gehen Sie bei der Auswahl Ihrer Motive vor?
Wenn ich an einen neuen Ort komme, versuche ich mich mit dem Fotografieren etwas zurückzuhalten, weil alles noch so spannend und interessant erscheint. Die besten Fotos entstehen meist, nachdem ich die Umgebung kennengelernt habe, denn dann weiß ich, was für mich wirklich interessant ist. Ich habe die Kamera immer dabei: Entweder sehe ich eine Situation, die ich sofort festhalten möchte, oder ich sehe einen Ort oder eine Person – aber es fühlt sich für mich nicht so an, ich weiß, es fehlt mir etwas. Dann warte ich und hoffe, dass sich der passende Moment ergibt. Wenn das nicht der Fall ist, gehe ich zurück an den Ort, bis ich das Foto machen kann, das ich mir vorgestellt habe.

Warum fotografieren Sie nur in Schwarzweiß?
Das war etwas, das sich vor fast 15 Jahren, als ich noch studierte, herauskristallisiert hat. Ich ziehe nicht nur den Look, sondern auch das Verfahren vor. Schwarzweiß-Filme kann ich ohne großen Aufwand selbst entwickeln und einfacher Abzüge machen. Ich versuche nicht, es aktiv zu verhindern, aber de facto mache ich es einfach nicht. Ich probiere es maximal einmal im Jahr mit einem Farbfilm, aber die Ergebnisse gefallen mir selten. Ich schließe aber nicht grundsätzlich aus, dass es ein Projekt geben könnte, bei dem ich Farbe einsetze.

Es ist nicht nur der Mangel an Farbe, der Ihre Bilder fast retrospektiv wirken lässt …
Meine Neigung zur Nostalgie spielt dabei eine große Rolle. Ohne zu viel darüber nachzudenken, suche ich nach Bildern, die zeitlos erscheinen. Mit zeitlos meine ich, dass sie vor 60 oder sogar 100 Jahren aufgenommen worden sein könnten, aber vielleicht auch erst letzte Woche. Das ist natürlich unglaublich schwierig. Es gibt so viele Dinge wie Kleidung oder Smartphones, die es leicht machen, zu erkennen, dass sie zeitgemäß sind. Das gilt sogar am Strand: Auch Bademode ist Trends unterworfen. Zum Glück für mich kommt aber praktisch jeder Trend wieder. Außer der Auswahl des Motivs mache ich nichts – ich verwende keine älteren Objektive, ich bearbeite die Bilder nicht auf eine besondere Weise, ich retuschiere sie nur, um Staub zu entfernen. Nur weil mich etwas stört, beschneide ich die Fotos auch nicht.

Ist der Sommer zeitlos?
Ich wünschte, der Sommer wäre zeitlos – in dem Sinne, dass immer Sommer wäre. Andererseits wäre er dann auch nicht mehr so besonders. Ich glaube, genau das ist es, was den Sommer für mich tatsächlich zeitlos erscheinen lässt: seine Besonderheit. Ein besonderes Gefühl. Erinnerungen an die Sommerurlaube in meiner Kindheit. Vielleicht gelingt es mir, ein wenig von dem Gefühl heraufzubeschwören, das man hat, wenn man ein Foto sieht, das vor 30 Jahren im Sommerurlaub entstanden ist. Zeitlose Erinnerungen. Wenn mir das auch nur ansatzweise gelingt, bin ich glücklich.

Alex Dietrich, 1987 in Wien geboren, wuchs im Bezirk Simmering auf. Als Jugendlicher folgte er einem Impuls und erwarb eine kleine Digitalkamera, mit der er Freunde und Bands fotografierte. Er studierte Künstlerische Fotografie am FotoK in Wien. Seither hat er eine Reihe von DIY-Fotozines produziert, im Text/Rahmen Verlag das Buch Da letzte Schmäh veröffentlicht und an vielen Gruppen- und Einzelausstellungen teilgenommen. Über die Fotografie von Alex Dietrich erfahren Sie mehr auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.