Was gäbe man sich selbst im Rückblick gern mit auf den Lebensweg? Mit dieser Ausgangsfrage ist in den letzten sieben Jahren eine spannende Porträtserie entstanden: Die aktuellen Schwarzweiß-Porträts, die sie mit ihren Leica Monochrom-Kameras (M10 und Q2) aufgenommen hatte, ergänzte Gerwers um Kinderbilder und handschriftliche Briefe der Porträtierten, die sie an sich selbst als Kind adressiert hatten. So entstand mit jeder Dreikombination eine komplexe (Selbst-)Reflexion der bisher 25 Protagonisten, die über ein einfaches Porträtbild weit hinausgeht. Unter anderem sind die Fotografen Nik Út, Ivo von Renner, Kristian Schuller und Wolfgang Zurborn, der Kunsthistoriker Klaus Honnef, die Schauspielerin Andrea Lüdke und der Sammler Michael Horbach dabei. Wir sprachen mit der Fotografin über ihr Projekt der Time Travelers.

Gab es einen Auslöser für die Idee zu dieser ungewöhnlichen Porträtreihe?
Irgendwie flog sie mich an … Seit meiner Jugend beschäftige ich mich mit psychologischen Themen, teils aufgrund eigener Aufarbeitung, aber eben auch weil mich Menschen und ihre Beweggründe, Handlungsweisen sowie Emotionen sehr interessieren. Um nun tiefere Einblicke in das Innenleben eines Menschen zu geben, entstand die Idee der Begegnung mit dem Kind, das die jeweilige Person einmal war. Um die Gedanken in Worte zu fassen und anderen visuell sichtbar zu machen, empfand ich die Form eines möglichst handgeschriebenen Briefes als geeignet, denn die Handschrift ist auch eine Art „Seelenschrift“.

So wird aus dem Porträtierten mit dem Blick zurück ein Zeitreisender?
Richtig. Time Travelers ist getragen von der Reise durch verschiedene Zeiten. Die nächste Aufgabe war es, die Teilnehmenden in der Gegenwart abzulichten und in das Porträt einzubauen.

Was war schwieriger: das Porträt umzusetzen oder den Brief und das Kinderporträt zu erhalten?
Gute Frage! Jedes Porträt stellte mich immer wieder erneut vor die Aufgabe, einerseits mit den Zeitreisenden den geeigneten Ort (und Zeitpunkt) zu finden und andererseits die Umsetzung des gewünschten Themas fotografisch so zu gestalten, dass Aussage und Visualisierung zusammenpassten. Dreidimensional zu sehen und zu denken war notwendig, um zu einem möglichst spannenden Ergebnis zu kommen. Das Kinderbild stellte tatsächlich für manchen eine Hürde dar. Nicht jeder Zeitreisende hatte ein solches Foto im eigenen Fundus. Da mussten schon mal die Fotoalben der Eltern durchforstet oder angefragt werden. Und jeder Brief war eine Herausforderung; im Grunde verständlich, denn die Aufgabenstellung löste häufig psychische Prozesse aus. Wie man sich vorstellen kann, sind diese oft dynamisch und benötigen ihre individuelle Zeit.

Wie war das Setting für die Schwarzweiß-Porträts?
Die Aufgabenstellung für die Teilnehmenden lautete: möglichst in einem Raum hinter einem Fenster zu stehen und in die Ferne zu schauen, in Gedanken versunken. In der Scheibe sollte sich etwas spiegeln, das für die betreffenden Personen von Bedeutung ist: richtungsändernd, kraftgebend oder richtungsweisend. Manchen Porträts gingen weite Spaziergänge voraus, bis der passende Ort gefunden war. Meist halfen die Ideen der Teilnehmenden oder Recherchen meinerseits, einen geeigneten Ort zu finden. So hat jedes Porträt seine eigene, besondere Entstehungsgeschichte.

Hat das Stilmittel der Spiegelungen schon früher eine Rolle für Ihre Arbeit gespielt?
Spiegelungen in Fenstern hatten immer schon eine starke Anziehungskraft für mich. Es ist so spannend, was sich darin entdecken lässt und welche neuen Bezüge sich anbieten.
Das geht auch prima in manchen meiner Oldtimer-Geschichten, wo ich diese „Technik“ immer wieder umsetze, wenn sich die Gelegenheiten bieten.

Der Scheibe reflektiert in ihrem Projekt nicht einfach, sondern ist durchlässig. Welche Ebenen kommen dort für Sie zusammen?
Zum einen ist da ein Porträt einer Person in einem Raum, welche möglichst präsent dargestellt wird – dazwischen finden sich in der Scheibe Reflektionen und Lichtbrechungen, welche planerisch einbezogen und platziert werden. Darüber hinaus zeigen die Spiegelungen die äußere Welt: die Dinge, Orte, Strukturen, Räume. Alle Zutaten sollen ein komplexes Bild ergeben. Nicht immer erschließt sich dem Betrachter sofort, was genau er da vorfindet oder dessen Bedeutung. Es dürfen Rätsel bleiben, Fragen entstehen.

 

 

Welche Begegnungen und Erlebnisse sind für Sie bei der Erarbeitung besonders in Erinnerung geblieben?
Jedes einzelne Shooting war inspirierend und ein Geschenk für mich, denn es waren die Begegnungen mit den Menschen, die für mich zählten! Ganz besonders jedoch war die Begegnung mit Nick Út und Kim Phuc: Wir saßen zwei Stunden auf dem Bett in Nicks Hotelzimmer.
Kim saß links neben mir, Nick saß am Schreibtisch. Das war so unreal! Diese Frau, die sich in meinem Kopf als „das brennende Mädchen aus Vietnam“ eingeschrieben hatte – während meine eigene Welt der Fotografie noch ganz fern war – diese Frau, der berühmte Fotograf und ich nun gemeinsam in einem Raum: unfassbar für mich, bis heute. Kim ist so warmherzig und fröhlich, ich habe sie sofort tief in mein Herz geschlossen und bin beeindruckt, wie viel Arbeit und Herz sie in ihre Funktion als UNESCO-Friedensbotschafterin steckt. Das in zwei Fotografien – beide sind einmal vor und einmal hinter der Scheibe zu sehen – festzuhalten, bedeutete eine große Verantwortung, aber auch Ehre für mich.

Ist das Projekt abgeschlossen?
Ich werde es weiterführen, mir dabei aber auch wieder ausreichend Zeit geben und dem Leben dabei den Lauf lassen. Ich werde sehen, wem ich begegnen darf und was sich daraus entwickelt. Das Projekt habe ich 2015 gestartet. Zwischendurch pausierte ich immer wieder zeitweise, kümmerte mich verstärkt um den Ausbau meiner beruflichen Tätigkeit als Fotografin von Oldtimern und die Arbeit als Onlineredakteurin für das Fotomagazin ProfiFoto. Tatsächlich gab mir Corona und das damit verbundene Wegbrechen von Aufträgen den Raum, final Gas zu geben und das Projekt endlich in die Welt zu bringen. Nach sieben Jahren wird meine damalige Visualisierung einer Ausstellung nun Realität.

 

Die Ausstellung Time Travelers ist am 23., 25. und 27. Februar sowie am 2. und 3. März 2022 in der Kölner Michael Horbach Stiftung zu sehen.

Die Vernissage wird am 23.02. ab 19:15 Uhr live übertragen: https://youtu.be/LCr203g6ayo

 

„Ihre erste Kamera besaß Petra Gerwers schon als Neunjährige und hat seither gespürt, dass ihr das Medium Fotografie etwas ganz Außerordentliches bieten kann: einen unmittelbaren Dialog mit der sie umgebenden Welt, ohne das Gesehene einer begrifflichen Logik unterordnen zu müssen. Vertrauend auf eine intuitive Wahrnehmung entwickelt sie in verschiedenen fotografischen Projekten eine sehr persönliche, subjektive Bildsprache“ (Wolfgang Zurborn). Als freiberufliche Fotografin hat sie sich vor allem mit ihren Oldtimer-Fotografien einen Namen gemacht (www.classiccar-photo.de). Ferner ist sie als Onlineredakteurin für das Fotomagazin ProfiFoto tätig.

www.petragerwers.com