Er gestalte nicht, er zeige nur, was ist – so beschreibt Lars Eidinger seine fotografische Herangehensweise. Ein Gespräch über Füchse in Berlin, die Widersprüchlichkeit im Alltäglichen und die Kunst, sich unsichtbar zu machen. Ab dem 21. Juli sind Eidingers Bilder in der Leica Galerie Salzburg zu sehen.

Der Titel Ihres Fotoprojekts ist Black & White Thinking. Welches Konzept verbirgt sich dahinter?
Mich beschäftigt das Phänomen des Schwarzweiß-Denkens, die Tendenz, die Welt in Extremen wahrzunehmen, wie wir es heute verstärkt erleben. Dieses Denkmuster, in der Psychologie auch als polarisiertes Denken bezeichnet, gilt als kognitive Verzerrung, weil es uns davon abhält, die Welt so zu sehen, wie sie oft ist; komplex, nuanciert und voller Zwischentöne. Meine Motive sind teilweise mit Worten schwer zu erklären, weil sie Widersprüchliches zeigen und uneindeutig sind. Die Bildsprache hält dem hingegen stand, weil sie nicht erklärt oder kommentiert, sondern offenbart.

Haben Sie Ihre Leica Kamera eigentlich immer dabei?
Nein, das ist auch das Problem einer Kamera generell. Deswegen habe ich auch so lange fast ausschließlich mit dem Smartphone fotografiert, das man ja immer dabeihat. Es ist schon eine andere Art zu schauen oder eine andere Art der Aufmerksamkeit, wenn ich eine Kamera mitschleppe und dann am Ende des Tages denke: „Mann, jetzt habe ich die mitgenommen, jetzt will ich aber auch irgendwas fotografieren.“

Und wenn Sie nur Ihr Smartphone dabeihaben, ist das anders?
Genau, dann habe ich den Druck natürlich nicht.

Wie unterscheidet sich Ihre Art zu fotografieren, wenn Sie mit der Leica arbeiten?
Das Smartphone hat für mich den großen Vorteil, dass es viel mehr meinem Blick entspricht, weil es wie ein Vermittler zwischen mir und dem Motiv ist. Bei der Kamera schaue ich durch den Sucher, nachdem ich das Bild ja eigentlich schon gefunden habe, und korrigiere dann meistens noch einmal die Perspektive. Das führt zu einer Art Verfremdung.

Leica hat Ihnen seit ein paar Monaten eine M11 und ein Summilux-M 1.4/35 ASPH. zur Verfügung gestellt …
Leica wollte mir eigentlich ein eigenes Telefon anbieten, das hat mich aber nicht interessiert, auch weil ich mit meinem Smartphone sehr zufrieden bin. Aber die M11 war für mich eine Herausforderung und ich habe mir davon versprochen, dass sie mich woanders hinbringt. Ich wollte wieder zurück in eine Stilisierung gehen, wie ich es von meiner Spiegelreflex kannte. Deswegen habe ich die Leica auch von Anfang an auf Schwarzweiß gestellt. Ich wollte, dass die Fotografien, die ich damit mache, sich von meinen anderen Bildern absetzen.

Was war Ihre erste Aufnahme mit der Leica?
Das war das Bild mit dem Fuchs auf dem Breitscheidplatz. In der Zeit war ich coronapositiv. Alle Theatervorstellungen sind ausgefallen und ich musste zur Teststation an der Gedächtniskirche, um mich frei zu testen. Als ich rauskam, saß der Fuchs da. Ich habe dreimal auf den Auslöser gedrückt, bis ich gemerkt habe, dass die Kamera noch gar nicht angeschaltet war.

Es hat ja noch geklappt …
Ich habe die Kamera angestellt, habe richtiggehend gezittert vor Aufregung, denn alles musste sehr schnell gehen. Die Belichtung einstellen, die Schärfe ziehen. Ich war wie ein Jäger. Das war eher Glück, dass der Fuchs noch da war – ich habe ihn allerdings im Weglaufen fotografiert – und dass er auf dem einen Bild auch scharf war.

Inwiefern hilft Ihnen die Schauspielerei beim Fotografieren?
Ich verstehe das Phänomen „Präsenz“ und kann es sozusagen auch umkehren. Ich weiß, wie ich mich sichtbar mache, aber ich kann mich auch unsichtbar machen.

Was ist Ihr Trick?
Es ist wichtig mit seinem Umfeld zu schwingen. Ehrlich gesagt, profitiere ich da auch von meiner kleptomanischen Phase als Teenager. Wenn man sich dreimal umguckt, um sich zu vergewissern, dass man unbeobachtet ist, dann ist man schon eine Irritation. Wenn man sich relativ unvermittelt und direkt neben Leute stellt und sie fotografiert, dann nehmen sie das gar nicht wahr.

Wie beschreiben Sie Ihre Bilder?
Ich versuche, Dinge zu fotografieren, die alltäglich sind und ihnen auch ihre Alltäglichkeit wiederzugeben. Die Motive muten vielleicht erst einmal skurril an, weil man sie übersieht oder ausblendet. Aber ich würde sogar behaupten, dass ich die Bilder, die jetzt in der Ausstellung zu sehen sind an einem Nachmittag machen könnte. Es sind ja alles keine außergewöhnlichen Momente, die man erst einmal finden muss. Wir haben einfach verlernt, sie zu sehen, wir blenden sie aus.

Ist das Ihr Antrieb, eher Abseitiges und Nebenschauplätze zu fotografieren?
Eben nicht. Ich würde gar nicht „abseitig“ sagen, ich würde es „allgegenwärtig“ nennen. Ich zeige Motive, die offensichtlich sind …

.… aber ungesehen. Der Jazzmusiker Till Brönner fotografiert auch mit einer Leica und porträtiert dabei oft sein künstlerisches Umfeld, Musikerkolleginnen, Schauspieler, Autorinnen. Warum haben Sie eigentlich nicht Ihr Theaterumfeld fotografiert? Das wäre doch naheliegend.
Sie haben völlig Recht, aber, was sich hinter den Kulissen abspielt, ist ja meine Welt, die ich ohnehin die ganze Zeit um mich habe. Daran wäre der einzige Ehrgeiz zu sagen, ich zeig euch mal, was euch verborgen bleibt. Ich fotografiere aber nicht, um die Bilder anderen zu zeigen. Ich fotografiere erstmal nur für mich. Es geht um das Entdecken.

Bitte vervollständigen Sie diesen Satz: Fotografie ist für mich …
… ein Memento mori. Ich verstehe meine Fotografie in der Tradition des Objet trouvé, ich schaffe oder gestalte nicht. Ich zeige nur das, was da ist.

Vom 21. Juli bis zum 10. September 2022 sind die Fotografien von Lars Eidinger in der Leica Galerie Salzburg zu sehen.
www.leica-galerie-salzburg.com


Lars Eidinger, geboren 1976 in Berlin, gilt als einer der profiliertesten Schauspieler Deutschlands. Seit 1999 ist der vielfach ausgezeichnete Künstler Mitglied des Ensembles der Berliner Schaubühne. Er war international in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen zu sehen. 2020 erschienen Eidingers fotografische Arbeiten unter dem Titel Autistic Disco bei Hatje Cantz. So heißen auch seine DJ-Sets.

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